Kino

Filmischer Roman einer Dreiecksgeschichte

Bildgewaltiges Epos: die Schauspielerin Oshrat Ingadashet in »America« Foto: Laila Films

America ist ein filmischer Roman. Ofir Raul Graizer erzählt seine gefühlvolle, an einen Pedro Almodóvar erinnernde Dreiecksgeschichte in Kapiteln und lädt seine Bilder mit literarischer Poesie auf. Sie haben geradezu haptische Qualität, sind von flirrenden Farben durchzogen und bevölkert von Pflanzen à la Couleur, deren Düfte man in der Nase zu haben meint. Am ehesten sticht dabei der Salbei heraus.

Wollte man dem Film ein Element zuordnen, so wäre es das Wasser. Nicht nur, weil America selbst melodramatisch aufgeladen und zugleich auch sanft zwischen den erzählerischen Klippen hin und her schaukelt, sondern weil das kühle Nass hier bei schicksalhaften Wendungen eine zentrale Rolle spielt.

Der Film beginnt passenderweise bei Eli (Michael Moshonov), einem in die Vereinigten Staaten emigrierten Schwimmtrainer, der in Chicago mit Kindern arbeitet. Ein Anruf bringt die Ereignisse in Gang: Weil sein Vater bereits vor einem Monat verstorben ist – man konnte Eli Greenberg, wie er vorher hieß, wegen seines neuen Namens nicht früher finden –, reist er in seine Heimat Israel. Dort nimmt er Kontakt zu Yotam (Ofri Biterman) auf, einem Freund aus Kindertagen, der in Tel Aviv mit seiner Verlobten Iris (Oshrat Ingadashet) einen Blumenladen betreibt. Als die beiden Freunde an einem paradiesischen Wasserfall schwimmen wollen, rutscht Yotam aus und landet im Koma.

Zweisamkeiten in unterschiedlichen Konstellationen

America erzählt eine dreigeteilte Geschichte um Zweisamkeiten in unterschiedlichen Konstellationen. Der Film zeigt zunächst die wiederaufflammende Freundschaft zwischen dem Schwimmlehrer und Yotam – eine gewisse Homoerotik steckt in den Bildern. Nach dem Unfall dann kommen sich Eli und Iris, die ihm zunächst die Schuld gibt, näher, als sie den Garten in seinem Elternhaus herrichtet. Später richtet der Film den Fokus auf Iris und Yotam.

Der 1981 geborene und in Berlin lebende israelische Regisseur und Drehbuchautor, der am Sapir College in Israel Film studierte, scheint ein Faible für Dreieckskonstellationen zu haben. In seinem gefeierten Debüt The Cakemaker erzählte er von einem Berliner Konditor, der nach Israel reist, um die Frau seines verstorbenen Liebhabers aufzusuchen.

Mit America präsentiert Graizer einen vor Leben berstenden, völlig unkitschigen Film und arbeitet mit produktiven Auslassungen und Beiläufigkeiten. Als Eli erstmals das Haus seines Vaters betritt, erzählen an der Wand hängende Gewehre und Pistolen von der gewaltvollen Ader seines alten Herrn. Später erfahren wir am Rande, dass er ein Polizist und Kriegsheld war, der seine Frau geschlagen hat. Iris, die wegen ihrer äthiopischen Wurzeln im Krankenhaus einmal für eine Putzfrau gehalten wird – ein so beiläufiges wie treffendes Bild für rassistische Vorurteile –, ist mit 15 vor ihren extrem traditionellen Eltern geflohen.

Israelische Gesellschaft und Migration

Durch seine Figuren erzählt America von der israelischen Gesellschaft und von Migration. Eli hat wegen der Familiengeschichte quasi seine Identität negiert, indem er seinen Nachnamen in Cross änderte. Er flieht vor seiner Vergangenheit wie jene Figur in dem Song »A Quiet Life« von Blixa Bargeld und Teho Teardo, der einmal zu hören ist. »No quiet life for me« heißt es dort, und auch für Eli scheint es kein ruhiges Leben geben zu können.

Im Zentrum des Films stehen jedoch die verschiedenen Spielarten der Liebe. Unsentimental und tiefgründig erzählt Graizer von den teils drastischen Ereignissen. Die drei verbinden unumstößliche Beziehungen, die auch am Ende auf die Probe gestellt werden. Und wieder spielt Wasser eine entscheidende Rolle.

Der Film läuft ab 7. März im Kino.

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