Wien ohne Walzer? Unvorstellbar, und erst recht nicht ohne Johann Strauss. Den Vater (1804–1849) kennt man vor allem als Komponisten des »Radetzky-Marschs«, der Sohn (1825–1899) machte mit »An der schönen blauen Donau« als »Walzerkönig« die schwungvollen Tänze im Dreivierteltakt berühmt; ein Erfolg, der bis heute anhält.
Am 1. Januar erklingt die Musik der Strauss-Familie traditionell im Goldenen Saal des Musikvereins, wenn die Wiener Philharmoniker zum Neujahrskonzert aufspielen – eine Art Eurovision Song Contest der klassischen Musik. Millionen Zuschauer in mehr als 90 Ländern verfolgen es live.
Am Neujahrstag geht auch das Wiener Johann-Strauss-Jahr 2025 zu Ende, das den 200. Geburtstag des Walzerkönigs feierte. Das Jubiläumsjahr voller Konzerte, Operetten-Inszenierungen und Open-Air-Events hat das öffentliche Bewusstsein für den Walzer neu belebt. Doch zwischen all den funkelnden Melodien verbirgt sich eine Geschichte, die lange nicht mehr erzählt wurde. Das Jüdische Museum Wien präsentiert sie zurzeit in einer Kabinettsausstellung.
Der Walzerkönig hatte einen jüdischen Urgroßvater
Im Sommer 1938 feierte die Propagandapresse Johann Strauss als »deutsch und volksnah«. Kurz nach dem Anschluss Österreichs untersuchten zwei Wiener Genealogen die Ahnen der berühmten Musiker und machten eine Entdeckung, die für die NS-Kulturfunktionäre heikel war: Der Komponist des »Radetzky-Marschs« war den Nürnberger Gesetzen zufolge »Vierteljude«, der Walzerkönig hatte einen jüdischen Urgroßvater: Johann Michael Strauss.
Einer der beiden Forscher übermittelte die Ergebnisse sofort dem Wiener Gausippenamt, von da gingen sie weiter ans Reichssippenamt und die Reichskulturkammer in Berlin. Propagandaminister Joseph Goebbels erkannte schnell: Die Musik von Johann Strauss war zu populär, um sie aus den Konzertsälen zu verbannen. Er erklärte den Stammbaum der Familie zur »Geheimen Reichssache« und zwang die Forscher zur Verschwiegenheit.
Die Schlüsselurkunde, die alles belegt, findet sich im Trauungsbuch der Wiener Dompfarrei St. Stephan. Dort ist nachzulesen, dass Johann Michael Strauss, der 1762 eine katholische Wienerin heiratete, jüdisch war. Goebbels ließ das Trauungsbuch nach Berlin bringen, Fotokopien anfertigen und alle entscheidenden Hinweise löschen. Beamte des Reichssippenamts gaben dem Stephansdom eine Kopie zurück, das Original verschwand in den Tresoren des Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchivs.
Nach dem Krieg veröffentlichte der zweite der beiden Familienforscher, Hanns Jäger-Sunstenau, den Stammbaum und die entscheidenden Urkunden. Damit trat die jahrzehntelang verschleierte Geschichte der berühmten Musikerfamilie ans Licht – aufgedeckt von einem Mann, der in seiner Biografie schreibt, dass ihn die Gestapo vorlud, weil er selbst jüdische Vorfahren hatte.
Die Ausstellung ist noch bis zum 16. Januar 2026 zu sehen.