Biografie

Familiengeheimnisse

In einfachen Worten beschreibt Wollschlaeger seine verblüffende Geschichte. Foto: pr

Biografie

Familiengeheimnisse

Der Deutsch-Amerikaner Bernd Wollschlaeger beschreibt seinen Weg vom Nazi-Sohn zum konvertierten Juden

von Tobias Prüwer  08.05.2017 16:52 Uhr

Sie hatte den Stern schon bemerkt, wandte ihren Blick ab und schien erschrocken; er schien ihr sogar Angst zu machen. Sie packte meine Hand.» Die Mutter zerrt Bernd Wollschlaeger von dem unheilvollen Symbol weg, da war er neun. Im Gegensatz zu ihrer Panik war der Junge vom Anblick des Davidsterns fasziniert, den er durch Zufall auf dem Weg zum Zahnarzt erblickte. Man muss den Vorfall schon schicksalhaft nennen, liest man Wollschlaegers Lebensweg, auf dem er zum jüdischen Glauben fand und nach Israel auswanderte.

In Bamberg wird Wollschlager 1958 geboren. Der Vater ist stolz auf seine Vergangenheit als Panzerkommandant in der Wehrmacht und seine Auszeichnung mit dem Eisernen Kreuz. Seine Haltung changiert zwischen der Behauptung, vom NS-Vernichtungsfeldzug nichts gewusst zu haben, und offener Schoa-Leugnung. Außer Anekdoten vom Militär kommt ihm ohnehin nicht viel von «früher» über die Lippen.

Schweigen Auch die liebevolle Mutter umgibt eine Aura des Schweigens, so als ob sie, je nach Betrachter, ein dunkles oder ein leuchtendes Familiengeheimnis hütete. Gewissheit wird er nie bekommen, doch ahnt Wollschlaeger, dass die Mutter selbst verleugnete jüdische Wurzeln hat.

Seinem antisemitischen Vater zum Trotz fühlt er sich schon in jungen Jahren zum Judentum hingezogen. Sind es anfangs eher Schuld- und Verantwortungsgefühl, die sein Interesse motivieren, so zieht ihn mehr und mehr der jüdische Glaube selbst an – bis der nicht praktizierende Katholik vom Rabbinatsgericht als Ger Zedek, als rechtmäßiger Konvertit, angenommen wird.

In einfachen Worten beschreibt Wollschlaeger seine verblüffende Geschichte. Immer wieder reflektiert er in der Rückschau sein Handeln und Tun, sodass der Leser interessante Innenansichten eines Suchenden erfährt. Auf diese Weise gelingt dem heute in den USA Lebenden neben der Auseinandersetzung – für eine Abrechnung sind seine Worte zwar deutlich, aber zu gefühlig – mit seinem Vater eine fesselnde autobiografische Lektüre. Dadurch trägt das Buch Züge eines Bildungsromans, sieht man doch einem Menschen bei der inneren Reifung zu.

Gerade aufgrund der simplen Sprache verschlingt man als Leser die Seiten, will wissen, wohin das Schicksal Wollschlaeger als Nächstes verschlägt – bis man auf die letzte Seite kommt, wo er das Kaddisch am Grab seiner Eltern rezitiert und einen Stein aus Jerusalem darauf legt.

Bernd Wollschlaeger: «Ich bin Jude aus dem Herzen. Wie ich die Nazi-Vergangenheit meines Vaters bewältigte». Europa, München 2017, 272 S., 18,90 €

Nazivergangenheit

Keine Ehrenmedaille für Rühmann und Riefenstahl

»NS-belastet« oder »NS-konform« – das trifft laut einer Studie auf 14 Persönlichkeiten der Filmbranche zu. Ihnen wird rückwirkend eine Auszeichnung aberkannt, die die Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO) zukünftig nicht mehr vergeben will

von Niklas Hesselmann  21.11.2025

TV-Tipp

Ein Skandal ist ein Skandal

Arte widmet den 56 Jahre alten Schock-Roman von Philip Roth eine neue Doku

von Friederike Ostermeyer  21.11.2025

TV-Kritik

Allzu glatt

»Denken ist gefährlich«, so heißt eine neue Doku über Hannah Arendt auf Deutsch. Aber Fernsehen, könnte man ergänzen, macht es bequem - zu bequem. Der Film erklärt mehr als dass er zu begeistern vermag

von Ulrich Kriest  21.11.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Bettina Piper, Imanuel Marcus  21.11.2025

Holzstörche zur Geburt in Niederösterreich. Noch immer werden neben den klassischen Namen viele biblische Namen den Kindern gegeben.

Statistik

Diese hebräischen Vornamen in Österreich sind am beliebtesten

Österreichische Eltern wählen gern Klassiker. Unter den Top Ten sind auch viele Namen biblischen Ursprungs

von Nicole Dreyfus  20.11.2025

Kino

»Fast ein Wunder«

Das israelische Filmfestival »Seret« eröffnete in Berlin mit dem Kassenschlager »Cabaret Total« von Roy Assaf

von Ayala Goldmann  20.11.2025

Gespräch

»Der Überlebenskampf dauert an«

Arye Sharuz Shalicar über sein neues Buch, Israels Krieg gegen den palästinensischen Terror und die verzerrte Nahost-Berichterstattung in den deutschen Medien

von Detlef David Kauschke  20.11.2025

»Jay Kelly«

In seichten Gewässern

Die neue Netflix-Tragikomödie von Noah Baumbach startet fulminant, verliert sich dann aber in Sentimentalitäten und Klischees

von Patrick Heidmann  20.11.2025

TV-Tipp

Sie ging über Leichen: Doku »Riefenstahl« zeigt eine überzeugte Nationalsozialistin

Das Erste zeigt Andres Veiels vielschichtigen Dokumentarfilm über Leben und Wirken von Hitlers Lieblingsregisseurin Leni Riefenstahl. Der Film geht auch der Frage nach, wie ihre Filme bis in die Gegenwart ausstrahlen

von Jens Hinrichsen  20.11.2025