Interview

»Es gibt immer noch sehr viel zu tun«

Die Journalistin und Fotografin Sharon Adler Foto: Mara Noomi Adler

Interview

»Es gibt immer noch sehr viel zu tun«

Sharon Adler über eine Online-Reihe von Porträts jüdischer Frauen, den 8. März als Feiertag und Kritik an Alice Schwarzer

von Ayala Goldmann  08.03.2023 08:28 Uhr

Frau Adler, wer auf die Reihe »Jüdinnen nach 1945 – Erinnerungen. Brüche. Perspektiven« auf der Website der Bundeszentrale für politische Bildung schaut, sieht dort das «Who is Who« der jüdischen Frauen in Deutschland wie Hetty Berg oder Lala Süsskind - aber auch Frauen, die weniger bekannt sind. Nach welchen Kriterien haben Sie ausgewählt?
Den Herausgeberinnen, also Anja Linnekugel von der Redaktion Deutschland Archiv der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) und mir, ist es wichtig, Frauen zu porträtieren, die im Sinn der jüdischen Gemeinschaft etwas angeschoben oder bewirkt haben. Sei es hauptberuflich oder ehrenamtlich – es sind alles Frauen, die gegen Widerstände und Herausforderungen gekämpft haben oder es noch tun. Der Bekanntheitsgrad der Personen ist nicht unbedingt der Faktor, wer in der Reihe porträtiert oder interviewt wird. Genauso wichtig ist es uns, das Wirken von Frauen sichtbar zu machen, die nicht in einer Encyclopedia Judaica Aufnahme finden würden. Wir haben auch viele eher unbekannte Frauen berücksichtigt wie die Autorin und Psychotherapeutin Rahel R. Mann oder wie Rachel Shneiderman, die Gemeindeschwester in der Jüdischen Gemeinde zu Berlin war, dort die Pflegedienstleitung viele Jahre innehatte und extrem viel bewirkt hat.

Wer sind die jüngeren Interviewpartnerinnen?
Uns ist es ganz wichtig, eine große Vielschichtigkeit abzubilden, also verschiedene Altersgruppen und Frauen aus Ost- und Westdeutschland, natürlich auch verschiedenste Nationalitäten - und Aktivistinnen zu porträtieren wie etwa Dalia Grinfeld, die erste Präsidentin der Jüdischen Studierendenunion Deutschland (JSUD) und Gründungsmitglied des jüdisch-queeren Vereins Keshet Deutschland. Die Klammer unserer »wilden Mischung« ist vielleicht, dass die Frauen sich vielfach und in unterschiedlichsten Bereichen engagieren. Dann wäre da noch Noa Luft zu nennen, die Koordinatorin der Jüdischen Campuswoche. Da geht es um den Austausch von jüdischen Studierenden mit nicht-jüdischen Studierenden. Sie stammt aus der Nähe von Köln – wir nehmen also nicht nur die jüdische Berliner Bubble wahr, sondern wir schauen weit über Berlin hinaus. Und wir wollen auch in kleinere Ortschaften gehen, das haben wir für die Zukunft mit im Blick.

Die beiden gerade von Ihnen genannten Namen kannte ich – aber wer ist zum Beispiel Ella Ponizovsky Bergelson?
Das ist eine Künstlerin, die ich durch meine ehrenamtliche Arbeit bei der »Stiftung Zurückgeben« kennengelernt habe. Ich finde es sehr spannend, wie sie sich den großen Themen Integration und Migration durch Visualisierung von Sprache annähert. Sie bringt im öffentlichen Raum Kalligrafien an, und zwar nicht nur dekorative Elemente, sondern jiddische, hebräische, arabische und deutsche Lyrik und Prosa. Ich habe sie auf einer ihrer »Baustellen« aufgesucht, sie lässt sich an den Hauswänden von einem Kran hochziehen. Ella ist in Moskau geboren, nach Israel eingewandert und lebt seit 2016 in Berlin. Übrigens habe ich viele Frauen interviewt, die aus Israel nach Berlin gekommen sind – da geht es meist um die Veränderung von Wahrnehmung einer Stadt und inwiefern sie ihr biografisches Erbe mit in ihre Arbeit und ihr Erleben bringen. Was sind für sie die jüdischen Elemente von Berlin und was ist für sie das jüdische Berlin? Das ist ein großes Thema.

Sie sind Fotografin und haben die Frauen auf der Website selbst aufgenommen. Wer ist die Zielgruppe dieser »Sammlung«?
Ende 2019, unter dem Eindruck des Anschlags auf die Synagoge in Halle, wurde das Projekt von einer Redakteurin des Deutschland Archiv der bpb konzipiert, wie schon erwähnt von Anja Linnekugel. Sie hat mich damals als Mitherausgeberin ins Boot geholt. Im Moment besteht die Zielgruppe aus Menschen, die sich auf der Website der bpb informieren – also Lehrkräfte, Pädagoginnen und Pädagogen, die über jüdisches Leben etwas wissen wollen und bisher noch nicht so sehr den Blick auf die Protagonistinnen geworfen hatten. Also auf die Frauen, die sich engagieren und einbringen, und da liegt bei uns der Fokus auf den Frauen nach 1945. Für die Zukunft ist auch eine Ausstellung zu der Reihe geplant, die auch durch Deutschland wandern soll - also bei der bpb ausgeliehen werden kann. Zudem sollen ausgewählte Texte als Buch in der Schriftenreihe der bpb erscheinen.

Der Internationale Frauentag ist in Berlin ein Feiertag. Wie wichtig ist dieser Tag für Sie?
Ich bin eine der Unterstützerinnen der ersten Stunde, die den 8. März zum gesetzlichen Feiertag machen wollten! Der 8. März ist aber nicht nur ein Tag des Feierns, sondern auch ein Tag des Protests. Die Forderungen, die an diesem Tag erhoben werden, haben bis heute an Aktualität nicht verloren. Wie gerecht ist denn heute etwa die Verteilung der Gehälter? Es gibt immer noch sehr viel zu tun. Die Künstlerin Rachel Kohn, die wir in unserer Reihe auch interviewt haben, setzt sich für eine gerechte Bezahlung von Frauen in der Kunstwelt ein. Ich selbst bin mit einer Künstlerin verheiratet und weiß, dass Frauen in Galerien und Museen unterrepräsentiert sind. Und in der Literatur werden Frauen weniger verlegt, weniger rezipiert und bekommen dadurch auch weniger Preise.

Auf welche Frau sind Sie schlecht zu sprechen?
Auf die ehemalige Feministin Alice Schwarzer, die zusammen mit der Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht alle Frauenrechte ignoriert, diskreditiert und mit Füßen tritt. Ich würde mir wünschen, dass da endlich ein großer Aufschrei durch die Frauenbewegung geht. Weltweit und auch in der Ukraine wird die Vergewaltigung von Frauen als Kriegswaffe eingesetzt. Das können wir nicht hinnehmen.

Mit der Fotografin, Journalistin, ehrenamtlichen Vorständin der Stiftung Zurückgeben und Gründerin des Online-Magazins AVIVA-Berlin sprach Ayala Goldmann.

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