Kunst

Erste Schritte

Vorsichtige Öffnung: Vom 30. November bis 2. Dezember können die Ausstellungen des Museums nach vorheriger Anmeldung besichtigt werden. Foto: Dor Kedmi

An Kunstgenuss war nicht zu denken. Nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober schloss das Tel Aviv Museum of Art seine Türen. In den darauffolgenden Wochen wurde der Museumsvorplatz zu einem Ort der Versammlung im Zeichen der Sorge um die vermissten und in den Gazastreifen entführten Menschen. Am 20. Oktober erinnerte dort eine große Schabbat-Tischinstallation an ihr Schicksal, wenige Tage später erfolgte die offizielle Umbenennung in »Platz der Geiseln und Vermissten«.

Nach der Freilassung der ersten Geiseln im Zuge eines von den USA, Katar und Ägypten vermittelten Abkommens wagt das Museum nun einen vorsichtigen Öffnungsschritt. Vom 30. November bis 2. Dezember können die Ausstellungen nach vorheriger Anmeldung im Rahmen von Führungen besichtigt werden. So bietet sich endlich wieder die Gelegenheit, die mit »Tomorrow We Fly« überschriebene Retrospektive von Ilya und Emilia Kabakov zu sehen – die erste Schau des aus der ehemaligen Sowjetunion stammenden, international renommierten Künstlerduos in Israel und zugleich die letzte große Ausstellung, an der Ilya Kabakov arbeitete.

Ilya Kabakov starb im Mai im Alter von 89 Jahren

Er starb im Mai im Alter von 89 Jahren. In der umfangreichen, von Shahar Molcho und Anat Peled kuratierten Präsentation sind Werke aus mehr als 40 Jahren zu sehen, darunter noch in Moskau entstandene Gemälde von Kabakov sowie mehrere Bilder und begehbare Rauminstallationen, die Ilya und Emilia Kabakov seit 1989 gemeinsam in Long Island schufen.

Dass Grundkenntnisse der russischen Sprache sowie der sowjetischen Geschichte und Kultur den Besuch dieser Ausstellung erheblich erleichtern, wird schon im ersten Saal deutlich, wo der Besucher auf Ilya Kabakovs großformatiges Gemälde »Next Stop: Tarakanovo« von 1979 stößt.

Zuerst fällt eine riesige Dampflokomotive ins Auge, die in einer heroischen Diagonale zukunftshungrig durch den Bildraum schießt. Am rechten oberen Bildrand ist in akkurater Schreibschrift eine kurze Sentenz aus einem kommunistischen Lied aufgetragen, die die vordergründig pathetische Grundstimmung untermalt. In der Bildmitte indes prangt unübersehbar ein großer Textkasten mit der plakativen Überschrift »Nächster Halt: Tarakonovo«. Darunter in kleiner Schrift mehrere Ortsnamen mitsamt Zeitangaben.

Mit feiner Ironie bricht Kabakov das Pathos der Sowjetpropaganda.

Woran liegt es, dass dieses Gemälde sowjetisch sozialisierte, russischsprachige Menschen zum Schmunzeln bringt? Mit feiner Ironie bricht Kabakov hier das in den 70er-Jahren längst müde und durchschaubar gewordene Pathos der Sowjetpropaganda. Nicht nur verwandelt er die symbolisch in die kommunistische Zukunft strebende Lokomotive in einen profanen Vorortzug mit Halt an allen Unterwegsbahnhöfen. Er persifliert zudem die Parole »Nächster Halt: Kommunismus«, indem er das große historische Ziel durch die real existierende Ortschaft Tarakonowo im Moskauer Umland ersetzt, deren Name so viel wie »Kakerlakendorf« bedeutet.

Mit seinen Bildern wurde Ilya Kabakov, der ursprünglich den durch staatliche ideologische Vorgaben weniger belasteten Beruf des Kinderbuchillustrators ergriff, zu einem bedeutenden Protagonisten des »Moskauer Konzeptualismus«, einer abseits des offiziellen sowjetischen Kunstbetriebs agierenden Szene, die nach dem Zusammenbruch der UdSSR international viel Anerkennung erfuhr. Dieses Renommee geht auch auf die von Ilya und Emilia Kabakov gemeinsam geschaffenen Rauminstallationen zurück, die eigentlich nichts anderes als begehbare Bilder sind.

Die Früchte der gemeinsamen Arbeit veranschaulicht in der Tel Aviver Ausstellung etwa die Rauminstallation »Where is Our Place«. Der Besucher findet sich zunächst inmitten einer buchstäblich doppelbödigen Museumskulisse, die von den durch die Decke ragenden Beinen zweier adrett gekleideter Kulturbürger dominiert wird. Die von ihnen betrachteten, in Goldrahmen eingefassten Gemälde sind nur im Ansatz zu erkennen, da sie ebenfalls von der Raumdecke abgeschnitten werden.

In der rätselhaften Kulisse wird der Betrachter zum Darsteller

Auf Augenhöhe sind ergänzte Schwarz-Weiß-Fotografien aus dem Leben der Sowjetunion und des Ostblocks zu sehen. Und dann wird man selbst zum Riesen: Im Museumsboden eröffnen sich Durchblicke zu Landschaftsmodellen, die man gleichsam aus der Vogelperspektive betrachtet. In dieser rätselhaften Kulisse wird der vermeintlich passive Betrachter zum Darsteller – und durchläuft nebenbei mehrere Perspektivwechsel.

In einem Videofilm spricht Ilya Kabakov von dem für seine Arbeit notwendigen künstlerischen und kulturellen »Gepäck«. Für die Retrospektive im Tel Aviv Museum of Art ist ein solches Gepäck zwar hilfreich, aber nicht zwingend notwendig. Beim Ausstellungsbesuch wenige Wochen vor der kriegsbedingten Schließung des Museums erblickte man auch russischsprachige Museumsbesucher, die mit fragendem Blick durch die Säle wanderten.

www.tamuseum.org.il/en/Art-weekend-Dec2023

Holzstörche zur Geburt in Niederösterreich. Noch immer werden neben den klassischen Namen viele biblische Namen den Kindern gegeben.

Statistik

Diese hebräischen Vornamen in Österreich sind am beliebtesten

Österreichische Eltern wählen gern Klassiker. Unter den Top Ten sind auch viele Namen biblischen Ursprungs

von Nicole Dreyfus  19.11.2025

TV-Tipp

Sie ging über Leichen: Doku »Riefenstahl« zeigt eine überzeugte Nationalsozialistin

Das Erste zeigt Andres Veiels vielschichtigen Dokumentarfilm über Leben und Wirken von Hitlers Lieblingsregisseurin Leni Riefenstahl. Der Film geht auch der Frage nach, wie ihre Filme bis in die Gegenwart ausstrahlen

von Jens Hinrichsen  19.11.2025

Nazivergangenheit

Keine Ehrenmedaille für Rühmann und Riefenstahl

»NS-belastet« oder »NS-konform« – das trifft laut einer Studie auf 14 Persönlichkeiten der Filmbranche zu. Ihnen wird rückwirkend eine Auszeichnung aberkannt, die die Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO) zukünftig nicht mehr vergeben will

von Niklas Hesselmann  19.11.2025

Magdeburg

Telemann-Preis 2026 für Kölner Dirigenten Willens

Mit der Auszeichnung würdigt die Landeshauptstadt den eindrucksvollen Umgang des jüdischen Dirigenten mit dem künstlerischen Werk Telemanns

 19.11.2025

Sachsen-Anhalt

Judenfeindliche Skulptur in Calbe künstlerisch eingefriedet

Die Kunstinstallation überdeckt die Schmähfigur nicht komplett. Damit soll die Einfriedung auch symbolisch dafür stehen, die Geschichte und den immer wieder aufbrechenden Antisemitismus nicht zu leugnen

 19.11.2025

Kino

Unter erschwerten Bedingungen

Das »Seret«-Festival zeigt aktuelle israelische Filmkunst in Deutschland – zum ersten Mal nur in Berlin

von Chris Schinke  19.11.2025

Bonn

Bonner Museum gibt Gemälde an Erben jüdischer Besitzer zurück

Das Bild »Bäuerliches Frühstück« aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts wird restituiert

 19.11.2025

Perspektive

Humor hilft

Über alles lachen – obwohl die Realität kein Witz ist? Unsere Autorin, die israelische Psychoanalytikerin Efrat Havron, meint: In einem Land wie Israel ist Ironie sogar überlebenswichtig

von Efrat Havron  19.11.2025

New York

Rekordpreis für »Bildnis Elisabeth Lederer« bei Auktion

Bei den New Yorker Herbstauktion ist wieder ein Rekord gepurzelt: Ein Klimt-Gemälde wird zum zweitteuersten je versteigerten Kunstwerk – und auch ein goldenes Klo wird für einen hohen Preis verkauft

von Christina Horsten  19.11.2025