Nachruf

Erinnerung an einen Universalgelehrten

Christoph Stölzl sel. A. (1944–2023) Foto: picture alliance/dpa

Der Tod von Christoph Stölzl (1944–2023) am 10. Januar bewegt viele. Ich frage mich: An wen erinnerte mich der geschätzte Kollege und Freund? Die Antwort: Stölzl verkörperte den Typus eines Intellektuellen, eines Universalgelehrten, wie es ihn zur Zeit der Weimarer Republik gab. Hochgebildet, belesen, fein-bürgerlich angezogen, nicht unter einem Fach subsumierbar.

Historiker, Kulturwissenschaftler, Musikwissenschaftler, Musiker, Museologe, Kurator, Publizist, Kulturpolitiker – Stölzl war alles. In unserem heutigen akademischen System hätte dieses »alles« schnell zu einem »nichts« werden können. Wir lieben die Spezialisierung. Stölzl war keinesfalls spezialisiert. Und er war trotzdem erfolgreich. Vielleicht sollte ich sagen: gerade deshalb.

Wie viele russisch-, ukrainisch-, weißrussisch-jüdische Intellektuelle älterer Generation habe ich zwischen Petersburg, Kiew, Boston, Berlin und Tel Aviv sozial und professionell untergehen sehen? Ich will sie nicht zählen. Ein gewisser Pessimismus als Folge diverser Traumata und Kataklysmen begleitet auch einige von uns, die heutigen deutschen Juden. Der aktuelle Krieg macht es keinesfalls besser.

OPTIMIST Christoph Stölzl war kein hundertprozentiger Optimist, doch er war meistens gut drauf. Aus einem wesentlichen Grund: Dinge interessierten ihn. Er war immer gedanklich und sehr oft praktisch tätig. Die von ihm geführten Institutionen kann man gerade noch aufzählen, seine Ausstellungen und seine Veröffentlichungen nicht mehr. Er hatte Glück: Seine Interessen hielten ihn jung und halfen ihm – meistens – gegen dunkle Wolken.

Stölzl schätzte das Judentum. Und die Juden. Die heutigen und besonders die aus dem Fin de Siècle und der Weimarer Zeit. Deswegen war die Stiftung Exilmuseum Berlin sein fest geplantes Lieblingsprojekt. Er lehnte das Banale des Philosemitismus ab. Christoph Stölzl hatte selbst jüdische Wurzeln, auf die er stolz war und die er – wie alles, was er anfasste – sorgfältig studierte.

Seine Lebensgefährtin, Larissa Miller, ist postsowjetisch-jüdischer Herkunft. Juden in ihrer Verwandtschaft hatten also beide. Stölzl war kein Patriarch, er war auch nicht paternalistisch im Umgang. Aber das Stölzlsche liebevoll-ironische »Kinder!« bleibt mir – wie so vieles noch – unvergessen.

Zahl der Woche

2 Jahre

Fun Facts und Wissenswertes

 09.12.2025

Sehen!

»Golden Girls«

Die visionäre Serie rückte schon in den jugendwahnhaftigen 80er-Jahren ältere, selbstbestimmt männerlos lebende Frauen in den Fokus

von Katharina Cichosch  09.12.2025

Film

Woody Allen glaubt nicht an sein Kino-Comeback

Woody Allen hält ein Leinwand-Comeback mit 90 für unwahrscheinlich. Nur ein wirklich passendes und interessantes Rollenangebot könnte ihn zurück vor die Kamera locken.

 09.12.2025

Glosse

Der Rest der Welt

Von Kaffee-Helden, Underdogs und Magenproblemen

von Margalit Edelstein  08.12.2025

Eurovision Song Contest

»Ihr wollt nicht mehr, dass wir mit Euch singen?«

Dana International, die Siegerin von 1998, über den angekündigten Boykott mehrerer Länder wegen der Teilnahme Israels

 08.12.2025

Feiertage

Weihnachten mit von Juden geschriebenen Liedern

Auch Juden tragen zu christlichen Feiertagstraditionen bei: Sie schreiben und singen Weihnachtslieder

von Imanuel Marcus  08.12.2025

Vortrag

Über die antizionistische Dominanz in der Nahostforschung

Der amerikanische Historiker Jeffrey Herf hat im Rahmen der Herbstakademie des Tikvah-Instituts über die Situation der Universitäten nach dem 7. Oktober 2023 referiert. Eine Dokumentation seines Vortrags

 07.12.2025

Zwischenruf

Die außerirdische Logik der Eurovision

Was würden wohl Aliens über die absurden Vorgänge rund um die Teilnahme des jüdischen Staates an dem Musikwettbewerb denken?

von Imanuel Marcus  07.12.2025

Los Angeles

Schaffer »visionärer Architektur«: Trauer um Frank Gehry

Der jüdische Architekt war einer der berühmtesten weltweit und schuf ikonische Gebäude unter anderem in Los Angeles, Düsseldorf und Weil am Rhein. Nach dem Tod von Frank Gehry nehmen Bewunderer Abschied

 07.12.2025