Jubiläen

Eine Wissenschaft für sich

Studentinnen der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg Foto: Marco Limberg

Die Jüdischen Studien begehen in diesem Jahr drei wichtige Jubiläen. Vor 200 Jahren wurde die Disziplin begründet, die man damals noch Wissenschaft des Judentums nannte. Vor 100 Jahren entstand mit der Akademie für die Wissenschaft des Judentums in Berlin die erste rein akademische Institution auf diesem Gebiet.

Und vor 40 Jahren erhielt die Bundesrepublik Deutschland mit der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg (HfJS) erstmals eine Einrichtung, die sich unter anderem durch die Ausbildung von Religionslehrern und -lehrerinnen dem Fortbestand jüdischen Lebens in Deutschland widmet.

akademiker Als sich im Jahr 1819 eine Handvoll junger jüdischer Akademiker, die erst kurz zuvor Zugang zum Studium an deutschen Universitäten erhalten hatten, zu einem »Verein für die Cultur und Wissenschaft der Juden« zusammenschloss, konnten sie schwerlich ahnen, dass sie eben eine neue wissenschaftliche Disziplin ins Leben gerufen hatten. In einer Zeit, in der vieles Überkommene infrage gestellt wurde, wollten sie am Wissen um die jüdischen Quellen der Vergangenheit festhalten, betrachteten diese jedoch nicht mehr als Leitfaden für ihr tägliches Leben, sondern als Objekte des wissenschaftlichen Studiums.

Mit der nun einsetzenden Assimilationsbewegung fürchteten sie, dass in wenigen Generationen die Kenntnis der hebräischen Sprache und das Wissen um die jüdische Kultur verschwinden könnte. Auch aus der Skepsis über eine Zukunft jüdischen Lebens heraus widmeten sie sich der jüdischen Vergangenheit. Einer der frühen Vertreter der Disziplin, Moritz Steinschneider, wurde später mit dem Satz zitiert, man wolle dem Judentum lediglich ein ehrenvolles Begräbnis bereiten.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war dies für viele ihrer Nachfolger nicht mehr ausreichend. Hebräisch war nicht ausgestorben – im Gegenteil, es war durch den Zionismus als Alltagssprache wiederbelebt worden. Auch die jüdische Religion war keineswegs ein Relikt der Vergangenheit – von der Orthodoxie bis zur Reformbewegung hatte sie sich in zahlreichen neuen Ausdrucksformen Platz geschaffen. Unter diesen Vorzeichen plädierten jüdische Gelehrte für eine Neuausrichtung der Wissenschaft des Judentums.

Martin Buber sprach von einer »Jüdischen Wissenschaft«, die eine Brücke von der Vergangenheit zur Zukunft bauen und konkret zur Stärkung jüdischen Lebens beitragen sollte.

brücke Martin Buber sprach nun von einer »Jüdischen Wissenschaft«, die eine Brücke von der Vergangenheit zur Zukunft bauen und konkret zur Stärkung jüdischen Lebens beitragen sollte. 1919 gründeten dann einige Wissenschaftler die Akademie für die Wissenschaft des Judentums, die der Disziplin auch die lange verwehrte Anerkennung in der deutschen akademischen Landschaft verschaffen sollte.

Denn schon seit den 1830er-Jahren hatten sich die Gründerväter der Disziplin darum bemüht, eine Professur für Jüdische Literatur oder Jüdische Geschichte und Kultur an einer deutschen Universität einzurichten. Doch vergeblich! Immer wieder wurde ihr Anliegen auch noch während der Weimarer Republik zurückgewiesen.

Ironischerweise wurden erst nach dem Völkermord an den deutschen und europäischen Juden die ersten Professuren für Judaistik, wie die Disziplin nun genannt wurde, an deutschen Universitäten eingerichtet. Unter den Studierenden – und auch unter den Dozenten – waren nun kaum noch Juden.

zentralrat Dies sollte sich mit der Etablierung einer eigenen Institution durch den Zentralrat der Juden in Deutschland, der 1979 eingerichteten Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg, ändern. Diese stand zwar ebenfalls Studierenden aller Konfessionen offen, aber die Hochschule bildete auch Religionslehrer aus und bot zumindest eine Vorausbildung für angehende Rabbiner an.

Die Erkenntnis, dass eine neue Generation von Juden in Deutschland nicht nur Synagogen und Gemeindezentren benötigte, sondern auch Religionslehrer, Kantoren und Rabbiner, war langsam durchgesickert.

Die Hochschule spiegelte damals auch einen entscheidenden Aufbruch im deutschen Judentum wider und stand in der Tradition von Bubers »Jüdischer Wissenschaft«, die akademisches Wissen mit gelebtem Judentum verbinden sollte.

Die Erkenntnis, dass eine neue Generation von Juden in Deutschland nicht nur neue Synagogen und Gemeindezentren benötigte, sondern auch deutschsprachige Religionslehrer, Kantoren und Rabbiner, war langsam durchgesickert.

zuwanderung Niemand konnte 1979 allerdings ahnen, dass zehn Jahre später die Mauer fallen würde und sich durch die Zuwanderung aus der ehemaligen Sowjetunion die jüdische Gemeinschaft in Deutschland mehr als vervierfachen sollte, dass es neue akademische Einrichtungen für Jüdische Studien und sogar Rabbinerseminare geben würde. Der Hochschule für Jüdische Studien gebührt das Verdienst, zu einer Zeit, als die Zukunft jüdischen Lebens in Deutschland noch alles andere als gesichert war, die richtigen Signale gesendet zu haben.

Ihre Aufgabe ist aber lange noch nicht beendet. Auch mit der gewachsenen Zahl von Juden in Deutschland und ihren zahlreichen Institutionen entbehrt die jüdische Gemeinschaft geistiger Führungspersönlichkeiten vom Format eines Franz Rosenzweig, Martin Buber oder Leo Baeck. Es bleibt eine Herausforderung, eine intellektuell und religiös gebildete Schicht junger deutscher Juden zu erziehen, die in der breiteren deutschen Öffentlichkeit neben den Vertretern der politischen Institutionen wahrgenommen wird. Mit ihnen gemeinsam wollen wir in zehn Jahren das 50-jährige Bestehen der Hochschule in Heidelberg feiern.

Der Autor ist Historiker, er lehrt an der Ludwig-Maximilians-Universität München und der American University Washington.

Andrea Kiewel

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