Berlinale

Ein Recht auf Kinoglück?

Die 66. Berlinale steht im Zeichen des »Rechts auf Glück« – so hat es Festivaldirektor Dieter Kosslick vorab verkündet. Ob auch die Liebhaber israelischer Filme und »jüdischer« Themen bei den Internationalen Filmfestspielen Berlin, die an diesem Donnerstag beginnen, mit seinem Programm glücklich werden?

Für jüdische Prominenz ist jedenfalls gesorgt: Die Brüder und Kultregisseure Ethan und Joel Coen eröffnen mit ihrer monumentalen Komödie Hail, Caesar! den Hauptwettbewerb – und auch Darsteller George Clooney wird in Berlin erwartet. Der Film läuft außer Konkurrenz und kommt am 18. Februar in die Kinos.

Historisch Mit der Verfilmung des Klassikers von Hans Fallada Jeder stirbt für sich allein unter dem Titel Alone in Berlin von Vincent Perez (mit Emma Thompson und Daniel Brühl) ist das Thema Widerstand gegen das NS-Regime auch dieses Jahr im Wettbewerb präsent. Mit Spannung erwartet wird in der Nebensektion Panorama Special außerdem das Regiedebüt des Jury-Präsidenten der Berlinale von 2014, James Schamus, der den Roman Indignation (Empörung) von Philip Roth über einen jüdischen Metzgersohn und College-Studenten vor dem Hintergrund von McCarthy-Ära und Koreakrieg verfilmt hat.

Literaturfans dürfen sich außerdem auf eine Inszenierung des Briefwechsels zwischen Paul Celan und Ingeborg Bachmann (Die Geträumten) im Internationalen Forum des Jungen Films freuen. Eine Preisverleihung an einen prominenten jüdischen Filmschaffenden gibt es auch: Der 80 Jahre alte US-Produzent Ben Barenholtz wird mit einer Berlinale-Kamera ausgezeichnet.

Für Aufsehen sorgen dürfte Hans Steinbichlers Verfilmung Das Tagebuch der Anne Frank (mit Lea von Acken und Martina Gedeck). Der Film wird als Weltpremiere in der Jugendreihe Generation gezeigt und kommt am 3. März in die Kinos. Der Premiere geht ein Streit voran: Yves Kugelmann, Geschäftsführer des Anne-Frank-Fonds, hatte Steinbichler aufgefordert, eine angebliche Bewerbung für die Verfilmung des Lebens von NS-Regisseurin Leni Riefenstahl zurückzustellen. Der Fonds wolle nicht Teil einer »Anne-Leni-Heirat« sein, hieß es. Der Regisseur wiederum sagte laut Presseberichten, ihm sei ein entsprechendes Angebot gemacht worden, er habe aber noch keinen Vertrag unterschrieben.

Israel In jedem Fall erfreulich: Israel spielt bei der 66. Berlinale zwar eine Nebenrolle, aber keine unbedeutende. Das könnte nicht zuletzt daran liegen, dass das Festival diesmal den Nahen Osten als einen seiner Schwerpunkte bestimmt hat. Israel ist in den Nebensektionen Panorama und Forum mit vier Produktionen und einer Koproduktion vertreten. Dazu kommen Filme israelischer Regisseure, die im Ausland leben.

Im offiziellen Programm der Berlinale laufen zwei israelische Beiträge, wenn auch nicht im Hauptwettbewerb: Das Berlinale Special zeigt mehrere Folgen der erfolgreichen Serie The Writer, die der arabisch-israelische Schriftsteller Sayed Kashua gemeinsam mit Shay Capon konzipiert hat. Zudem ist mit Tsomet Haruhot (Die Windeskreuzung) von Rotem Murat ein israelischer Kurzfilm im Rennen um den Goldenen Bären – es geht um den Horrortrip eines jungen Paares auf dem Weg zum Kurzurlaub im Sinai.

Dazu gibt es Filme jüdischer Regisseure im queeren Jubiläumsprogramm »Teddy 30«, darunter experimentelle Werke der im Oktober 2015 verstorbenen französischen Regisseurin Chantal Akerman und den unvergesslichen israelischen Klassiker Machboim (Hide and Seek, 1980) von Dan Wolman. Die Handlung spielt 1946, vor der Staatsgründung Israels, in Palästina und schildert in bedächtigen Kameraeinstellungen die Einsamkeit der Helden – des zwölfjährigen Uri, dessen Mutter nur für Schoa-Waisen und die Jugend-Alija lebt, und des jüdischen Lehrers Balaban, der wegen seiner Liebesbeziehung zu einem Araber von Uris übereifrigen patriotischen Freunden für einen Spion gehalten wird.

kulinarisch Im Wettbewerb um den Gläsernen Bären läuft der Kurzbeitrag Mushkie von Aleeza Chanowitz in der Jugendsektion Generation 14plus – ein Film über die Missgeschicke einer amerikanischen Teenagerin aus chassidischem Milieu beim heimlichen Sex mit einem Israeli. Und in der Sektion Kulinarisches Kino wird mit Café Nagler von Yariv Barel und Mor Kaplansky eine Dokumentation über einen der angesagtesten Orte im Berlin der 20er-Jahre und dessen Geschichte gezeigt.

Was die Auswahl der Regisseure angeht, ist das »israelische« Programm der Berlinale nicht allzu innovativ. Wobei sich im Fall von Tomer Heymann (I shot my love, The queen has no crown) die Treue der Berlinale-Macher zu Altbekanntem und alten Bekannten lohnt: Mit Who’s gonna love me now präsentiert Tomer Heymann, der 2006 für Paper Dolls den Panorama-Publikumspreis der Berlinale gewann, mit seinem Bruder Barak einen leidenschaftlichen wie bewegenden Dokumentarfilm.

Dessen Held ist der Homosexuelle Saar Maoz, der als 17-Jähriger und ältester Sohn von sieben Geschwistern aus einem religiösen Kibbuz im Norden Israels ausgeschlossen wurde, sich von seiner Familie lossagte und nach London zog. Dort tauchte er in ein »freies« Leben mit Sex- und Drogenpartys ein, bis er sich mit HIV infizierte.

Favorit Trotz des Konflikts mit Eltern und Geschwistern, die seinen Lebensstil zutiefst verurteilen und seine Infektion als Strafe für die Todsünde des »mischkav sachar« (männlicher Beischlaf) deuten, sucht der gebeutelte Held und Sänger des London Gay Men’s Chorus den Kontakt – und auch die Angehörigen stellen sich der schmerzhaften Auseinandersetzung. Ein Film voller Höhen und Tiefen, der allen Beteiligten großen Respekt abnötigt, und ein israelischer Favorit für den Panorama-Publikumspreis im Bereich Dokumentation.

Ebenfalls Chancen auf diesen Preis in der Sparte Spielfilm könnte die israelische Produktion Sufat Chol (Sand Storm) haben. Das Regiedebüt von Elite Sexer, das am 25. Januar beim Sundance Film Festival Premiere hatte, schildert den Streit um Traditionen in einer Beduinenfamilie: Der Vater heiratet eine zweite Frau, die Mutter will der Tochter die Beziehung zu einem jungen Mann verbieten; letztere wehrt sich jedoch. Dass die Regisseurin mit dem Leben beduinischer Frauen vertraut ist, merkt man dem jungen und frischen Film deutlich an.

Allzu betont jugendlich kommt der 56-jährige Filmemacher und Berlinale-Stammgast Udi Aloni mit Junction 48 daher. Der Regisseur, den Panorama-Chef Wieland Speck das »enfant terrible« Israels nennt, hat mit dem palästinensischen Rapper Tamer Nafar als Darsteller eine Geschichte über den Alltag arabischer Jugendlicher zwischen Hip-Hop und Drogen im israelischen Lod inszeniert. Die Handlung dürfte das Publikum nicht durch Vielschichtigkeit überraschen. Aloni, Sohn der verstorbenen linksliberalen Politikerin Schulamit Aloni, war zuletzt mit seinem Beitrag Art/Violence über das Freedom Theatre in Dschenin 2013 bei der Berlinale präsent.

Flüchtlinge Ein alter Bekannter ist auch Avi Mograbi, der diesmal zudem als Juror in der Internationalen Kurzfilmjury sitzt. Seine Flüchtlingsdoku Bein Gderot (Between Fences) im Forum widmet sich dem tristen Alltag von Asylsuchenden aus dem Sudan und Eritrea, die im Süden Israels im Internierungslager Holot untergebracht sind. Die Flüchtlinge – alles Männer –, die aus humanitären Gründen nicht in ihre Heimat abgeschoben werden dürfen, sind nicht eingesperrt: Sie dürfen das Lager in bestimmtem Radius verlassen und werden auch nicht an der Teilnahme an Demonstrationen gehindert. Doch ihre gesellschaftlichen Perspektiven im jüdischen Staat sind gleich null.

Vor diesem Hintergrund inszeniert der Regisseur Theaterworkshops, in denen die Flüchtlinge – teils in ausgezeichnetem Hebräisch und mit typisch israelischem Sarkasmus – über ihre Gefühle sprechen. Eine Dokumentation, die in Zeiten der Flüchtlingskrise bei den Filmfestspielen auf ein großes Echo stoßen dürfte.

Als weitere Produktion eines israelischen Regisseurs ist der Spielfilm Inertia von Idan Haguel im Forum zu nennen – eine skurrile Geschichte über einen Ehemann, der spurlos verschwindet. Und last but not least gibt der Israeli Omer Fast mit der britischen Produktion Remainder im Panorama sein Regiedebüt.

buenos aires Mit dem Spielfilm El Rey del Once (Der zehnte Mann), angesiedelt in einem jüdischen Viertel von Buenos Aires, ist auch der argentinische Regisseur Daniel Burman nach Berlin zurückgekehrt. 2004 war er für seinen Film El Abrazo Partido (The Lost Embrace) mit dem Großen Preis der Jury und dem Silbernen Bären der Berlinale ausgezeichnet worden. 2006 zeigte das Panorama Derecho de Familia. Burmans neues Werk, der mit seinem Helden Ariel offenbar an vorherige Erfolge anknüpfen möchte, setzt sich ironisch, aber auch liebevoll mit orthodox-jüdischem Leben in Buenos Aires auseinander.

Weniger humorvoll präsentiert sich die Regisseurin und Kamerafrau Danae Elon mit P.S. Jerusalem im Forum. Die Tochter des israelischen Autors Amos Elon dokumentiert ihre gescheiterte Rückkehr in die Heimatstadt, in der Feindseligkeiten zwischen Juden und Arabern zunehmen – eine Rückkehr, von der ihr Vater ausdrücklich abgeraten hatte.

Ein Projekt von hohem politischem Anspruch, das mit seiner Subjektivität und der penetranten Einbeziehung von Elons Ehemann und den Kindern nicht durchgehend fesseln kann. Dennoch vermittelt die Dokumentation interessante Einblicke in den Unterricht an der arabisch-jüdischen »Hands in Hands«-Schule in Jerusalem, auf die im November 2015 ein Brandanschlag verübt wurde.

Die Bandbreite »jüdischer« und israelischer Themen bei der 66. Berlinale ist also groß – sowohl Fans kritischer Polit-Dokus als auch Spielfilmliebhaber dürften auf ihre Kosten kommen.

www.berlinale.de

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