Theater

Drobkins bühnenreifer Furz

Eine der besten (auch unterhaltsamsten und charmantesten) Adressen im weltweiten Netz der Computer trägt den Namen »Old Jews Telling Jokes«. Ältere Herrschaften beiderlei Geschlechts treten vor einer weißen Leinwand auf. Keine Requisiten, keine Illustrationen, kein Schnickschnack, gar nichts. Der Name des Menschen, der da steht, wird eingeblendet, es ertönt eine Klesmermelodie (keine Sorge, der Moment ist nur sehr kurz), dann erzählt der ältere Herr oder die ältere Dame einen Witz.

Viele dieser Witze sind wunderbar schmutzig und beinahe alle sind gut. C’est tout. Das war es schon. Die Stimmung hebt sich sofort, wenn man jene Seite angeklickt hat. Miese Laune, Zukunftsängste, Depressionen – alles wie weggeblasen, sobald Ed und Norman, Annie und Debbie den Mund aufmachen. Es soll schon ganze trübe Nachmittage gegeben haben, die einfach im Orkus verschwunden sind, während die Zuschauer vor den Computerbildschirmen sich durchs Programm gelacht haben.

schön schmutzig Peter Gethers und Daniel Okrent hatten nun die Idee, aus der Webseite einen Bühnenabend zu machen. Zu diesem Behufe haben sie das Westside Theatre angemietet, eine bekannte Adresse jenseits des Broadway zwischen der achten und der neunten Avenue, und sie haben einen Regisseur engagiert, der nicht nur ein Goj, sondern außerdem noch hetero ist: Marc Bruni. (Doch, so etwas gibt es: heterosexuelle, nichtjüdische Regisseure. Amerika ist eben ein Land der Wunder!)

Und Bruni hat dann aus dem Haufen von Witzen tatsächlich etwas geformt, ein Ganzes, das meistens zum Brüllen komisch, in manchen Momenten aber auch ergreifend ist – mithilfe von fünf professionellen Schauspielern sowie einem Mann am Klavier. Geht das denn?

Ja, es geht. Wenn man die Witze nach Themen gruppiert (»Geburt«, »Sex vor der Hochzeit«, »Geld«, »Religion«, »Sex nach der Hochzeit«, »Doktorwitze« und so weiter); wenn man die Witze nicht nur erzählt, sondern auch spielt; wenn man Lieder dazwischen streut.

Am Ende sang das gesamte Publikum in dem voll besetzten Theater einen trefflichen Song von Tom Lehrer mit: I’m spending Chanukka in Santa Monica. (Das ist das Lied, in dem »Rosh Hashona« sich auf »Arizona« reimt und »Jom Kippa« auf »Mississippa«.)

blähungen Übrigens waren nicht alle fünf Schauspieler alt, es spielten an diesem Abend auch zwei hübsche junge Menschen mit: Audrey Lynn Weston und Bill Army. Hinreißend aber auch die Filmschauspielerin und Komödiantin Marilyn Sokol; ihre weiße Lockenfrisur ließ sie wie ein Schaf aussehen – und sie erzählte mit weitem Abstand die unanständigsten Witze von allen. Flankiert wurde Marilyn Sokol von zwei Herren, die man zumindest in Amerika aus dem Fernsehen kennt: Lenny Wolpe und Todd Susman.

Vielleicht die schönste Nummer des Abends war der Witz von Drobkins Furz, der hier auf dem Papier nicht wiedergegeben beziehungsweise hingerichtet werden soll. Denn Witze sind Rohkost, die mit den Ohren, nicht mit den Augen genossen werden wollen; wenn man Witze aufschreibt, ist das jedes Mal so, als würde man Salatblätter zu Matsch zerkochen. Jedenfalls spielt Lenny Wolpe in jenem Witz den unglückseligen Dr. Drobkin; Bill Army gibt einen jungen Mann in einer Hotelrezeption, der glaubt, er könne dem Älteren 20 Jahre nach seinem furchtbaren Missgeschick noch Eizes geben. Und Todd Susman spielt mit Bravour, Elan und weit ausgreifenden Gesten den Furz. Ja, es ist kompliziert.

»gekwetsch« Mithilfe ihrer Witze spannten die fünf Schauspieler an diesem Abend ein jüdisch-amerikanisches Panorama vor uns auf: ein Menschenleben von der Geburt über die Brit Mila bis zum Tod – mit viel »Gekwetsch« über Ehefrauen, Ehemänner, Gott, den Antisemitismus und Sodbrennen, versteht sich. Zwischendurch gab es aber auch fünf Ruhepunkte, in denen die Schauspieler beinahe als sie selbst vor das Publikum hintraten und erzählten, welche Rolle jüdische Witze in ihrem Leben gespielt hatten. Lenny Wolpe berichtete von seinem Vater, einem richtigen »Litwak«, der auch in Amerika besser Jiddisch als Englisch sprach – aber das Band, das ihn mit seinem Sohn verband, war nicht die jiddische Kultur; es waren die Witze.

Und Bill Army erzählte, wie er seinem Vater am Handy, als der ihm mitteilte, er sei an Krebs erkrankt, sofort und wie unter Zwang einen blöden Doktorwitz erzählte; der Vater antwortete zunächst mit verblüfftem Schweigen, dann aber mit einem rabenschwarzen Scherz; und so ging es immer weiter hin und her, bis der Sohn an den Tisch in der Kneipe zurückkehrte, von dem er gerade eben aufgestanden war, und immer noch prustend vor Lachen berichtete: »Mein Vater hat Krebs!« Seine Freundin ermahnte ihn daraufhin streng: »Es gibt Situationen, in denen ist es einfach ab – so – lut unpassend, mit Humor zu reagieren.« An das Publikum gewandt, fasste Bill Army die Moral des Theaterabends zusammen: »Das mag schon sein. Aber ich habe noch keine derartige Situation erlebt.«

»Old Jews Telling Jokes«, Westside Theatre, 407 West 43rd Street, New York, NY 10031, Tel. 001-212-315-2244
www.oldjewstellingjokesonstage.com

Das Online-Original findet man unter

www.oldjewstellingjokes.com

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