Antisemitismus

documenta will Konsequenzen ziehen

Offensichtlicher Skandal: Im Juni 2022 wurde ein Banner des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi mit antisemitischen Darstellungen in Kassel wieder abgehängt. Foto: IMAGO/Hartenfelser

Kassels weltbekannte Kunstausstellung documenta war vor zwei Jahren wegen zahlreichen Antisemitismus-Skandalen in die Kritik geraten – nun blickt Hessens neuer Kulturminister Timon Gremmels mit Spannung auf die Aufsichtsratssitzung in dieser Woche. Dabei geht es in einem vertraulichen Gespräch um die Umsetzung der Empfehlungen des kritischen Abschlussberichts zur documenta des Jahres 2022, sagte der Sozialdemokrat in Wiesbaden der Deutschen Presse-Agentur.

Neben dem Zeitplan bis zur nächsten Weltkunstausstellung 2027 geht es nach seinen Worten auch darum, ein Konzept mit Handlungsempfehlungen zu erarbeiten, das sicherstellt, dass Antisemitismus und andere Formen der Menschenfeindlichkeit auf der documenta keinen Platz haben. »Das hat es früher nicht gegeben. Daraus werden Lehren gezogen«, betonte der 48-jährige Minister, der auch Vize-Aufsichtsratschef der Kunstschau ist. Die nur alle fünf Jahre organisierte documenta gilt neben der Biennale in Venedig als international wichtigste Präsentation von Gegenwartskunst.

»Nicht wieder in so einen Skandal schlittern«

Zu einer Petition mit Tausenden Unterschriften gegen eine befürchtete Einschränkung der Kunstfreiheit im Zuge eines möglichen neuen Verhaltenskodexes zur documenta sagte Gremmels: »Diese große Sorge nehme ich sehr ernst. Umgekehrt habe ich aber auch die Erwartung, dass wir nicht wieder in so einen Skandal schlittern wie bei der letzten documenta. Judenhass darf keine Bühne erhalten.« Zugleich sei eben die Kunstfreiheit zu garantieren. Beides müsse die neue künstlerische Leitung in geeigneter Weise sicherstellen. Einen neuen Verhaltenskodex hatte eine Managementberatung im Abschlussbericht der documenta 2022  vorgeschlagen. 

In der Kultur spiegeln sich laut Gremmels Weltkonflikte wider - eine große Herausforderung für die documenta: »Man kann nicht jedes Spannungsverhältnis mit Formulierungen und Forderungen im Vorhinein verhindern, aber ich erwarte schon, dass die künftige künstlerische Leitung ein Konzept präsentiert, wie sie die Einhaltung der Menschenwürde gewährleistet - auch wenn es naturgemäß keine hundertprozentige Absicherung geben kann.« Es wird dem hessischen Minister zufolge »immer Diskussionen um Grenzfälle geben«. Genau solche gesellschaftlichen Debatten seien auch Teil der documenta.

Neue künstlerische Leitung bis Ende des Jahres?

Gremmels bekräftigte, es sei immens wichtig, bis Ende dieses Jahres eine künstlerische Leitung benannt zu haben. Dann ließe sich die documenta 16 wie schon lange geplant vom 12. Juni – 19. September 2027 ausrichten. »Ich bin mir sehr sicher, dass die neue Findungskommission eine geeignete künstlerische Leitung, egal ob Einzelpersönlichkeiten oder ein kleines Team, finden wird. Eine documenta zu kuratieren ist eine große Herausforderung, aber auch sehr attraktiv«, sagte Gremmels. 

Sollte sich die nächste Auflage der Schau aus irgendwelchen Gründen bis 2028 verschieben, »wäre das aus meiner Sicht kein ganz großes Problem, aber eben nicht wünschenswert«, ergänzte der Minister. 

Als Nordhesse bekräftigte Gremmels, dass die »documenta auch nicht an einem anderen Ort denkbar sei: »Sie gehört zur Identität von Kassel. Sie steht auch auf den Ortsschildern.« Seit 1999 trägt die Kommune den offiziellen Namenszusatz »documenta Stadt« mit Zustimmung des hessischen Innenministeriums. Damit soll ihre Verbindung mit der Weltkunstschau auch zwischen den Ausstellungen betont werden.

Die documenta 15 war vor zwei Jahren von mehreren handfesten Antisemitismus-Skandalen überschattet worden. Nach Antisemitismus-Vorwürfen gegen ein Mitglied der Findungskommission für die nächste Ausgabe der Ausstellung war zunächst dieses Mitglied und später die gesamte Findungskommission zurückgetreten.  dpa/ja

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