Sprachgeschichte(n)

Diskriminierend oder nicht problematisch

Zum Begriff »Jude« im gedruckten Duden Foto: Marco Limberg

Sprachgeschichte(n)

Diskriminierend oder nicht problematisch

Der Online-Duden hat seinen Hinweis zu den Begriffen »Jude« und »Jüdin« überarbeitet. Woher kommen die Wörter?

von Christoph Gutknecht  17.02.2022 08:48 Uhr

Nach Kritik von Zentralratspräsident Josef Schuster an einem »Besonderen Hinweis« des Online-Duden zum Begriff »Jude« hat die Redaktion des Rechtschreibwörterbuchs nun reagiert. In dem ursprünglichen Eintrag hatte es geheißen: »Gelegentlich wird die Bezeichnung Jude, Jüdin wegen der Erinnerung an den nationalsozialistischen Sprachgebrauch als diskriminierend empfunden. In diesen Fällen werden dann meist Formulierungen wie jüdische Menschen, jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger oder Menschen jüdischen Glaubens gewählt.«

Schuster sagte dazu jüngst: »Das Wort ›Jude‹ ist für mich weder ein Schimpfwort noch diskriminierend.«

ÜBERARBEITUNG Mittlerweile lautet der überarbeitete Eintrag: »Wegen des antisemitischen Gebrauchs in Geschichte und Gegenwart, besonders in der Zeit des Nationalsozialismus, werden die Wörter Jude/Jüdin seit Jahrzehnten von der Sprachgemeinschaft diskutiert. Gleichzeitig werden die Wörter weithin völlig selbstverständlich verwendet und nicht als problematisch empfunden.

Der Zentralrat der Juden in Deutschland, der die Bezeichnung selbst im Namen führt, spricht sich für die Verwendung aus. Besonders im öffentlichen Sprachgebrauch finden sich auch alternative Formulierungen wie jüdische Menschen, Bürger/-innen, Mitbürger/-innen oder – in religiösem Zusammenhang – Menschen jüdischen Glaubens. Eine weitere Variante ist ich bin jüdisch/er ist jüdisch (…).«

Woher kommt der Begriff? Das Wort für Juden auf Hebräisch, »Jehudi«, stammt laut jüdischer Tradition von dem Verb »lehodot«, danken, und geht zurück auf die Erzmutter Lea, die G’tt für die Geburt ihres vierten Sohnes dankt: »Als sie schließlich ihren vierten Sohn zur Welt brachte, sagte sie: ›Jetzt will ich dem Herrn danken‹, und nannte ihn Jehuda« (1. Buch Mose 29,35). Weitere Quellen geben die Bedeutung des Wortes »Jehudi« schlicht mit »judäisch« oder »Judäer« wieder. Weil das ehemalige Südreich Juda und die Provinz Judäa in der Geschichte des Volkes Israel eine herausragende Stellung einnahmen, gilt diese Bezeichnung heute für alle Angehörigen des Judentums.

SYNONYME Als andere Wörter für Jude/Jüdin nennt der Duden »Bar-Mizwa«, »Israelit/in«, »früher spöttisch Mauschel« und »veraltet-abwertend Itzig«. Erwähnt wird auch das Wort »Sabre« vom hebräischen »Tzabar« (wörtlich »Kaktusfeige«), dem Terminus, der in den 30er-Jahren nach Einwanderungswellen primär osteuropäischer Juden in die Region Palästina entstand. Er gilt für in Eretz Israel geborene Juden.

Und in den USA? Die Bezeichnung »Jew« beleuchtet Cynthia Baker, Professorin für Religion am Bates College (in Lewiston/Maine), aus linguistischer und theologischer Sicht in ihrer Monografie Jew (New Brunswick, NJ 2017). Im modernen English verwandte man den Ausdruck »Israelite«, um auf heutige Juden und solche zu verweisen, die von der Antike bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts lebten. Seit der Gründung Israels ist es kaum üblich, von Juden als »Israeliten« zu sprechen: Die Bürger des Staates, ob jüdisch oder nicht, werden »Israelis« genannt. »Jew/Jude« gilt seitdem als ethno-religiöse Bezeichnung.

Doch das Wort »Jew« wurde so oft von Antisemiten abwertend eingesetzt, dass es im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert durch das Lexem »Hebrew« ersetzt wurde: zum Beispiel in der Bezeichnung »Young Men’s Hebrew Association«. Die deutsche Entsprechung »Jude« wurde in der Nazizeit im Rahmen der antisemitischen Kampagnen bis zum Völkermord häufig verwendet. Später wurde »Jew«, auch in den USA, neutral benutzt und durchlief einen Prozess der Wiederaneignung.

Manche Menschen bevorzugen noch heute das Adjektiv »Jewish«, obwohl man auch zunehmend hört: »I’m a Jew« statt »I’m a Jewish person«. Wird »Jew« attributiv benutzt (zum Beispiel in »Jew lawyer« oder »Jew ethics«), gilt die Äußerung als vulgär: »Jewish« ist in solchen Kontexten die akzeptable Alternative.

Österreich

Neue Direktorin für das Jüdische Museum Hohenems

Historikerin Irene Aue-Ben-David übernimmt die Leitung und bringt internationale Erfahrung aus Jerusalem mit

von Nicole Dreyfus  16.12.2025

Basel

Mann wollte Juden während des ESC angreifen

Kurz vor dem »Eurovision Song Contest« in der Schweiz wurde ein 25-Jähriger wegen konkreter Gewaltdrohungen festgenommen und ausgewiesen

von Nicole Dreyfus  16.12.2025

Berlin

Umstrittene 88: Der schwierige Umgang mit rechten Codes

Im Berliner Fußball sorgt die Debatte um die Rückennummer 88 und dem Hitler-Bezug für Kontroversen. Warum das Verbot erneut scheiterte und wie der Fußball insgesamt mit rechtsextremen Codes umgeht

von David Langenbein, Gerald Fritsche, Jana Glose  16.12.2025

Wien

ESC 2026: ORF will israelfeindliche Proteste nicht ausblenden

Die Debatte und der Boykott einzelner Länder wegen der Teilnahme Israels haben den ESC 2026 bisher überschattet. Auch beim Event im Mai selbst drohen Proteste. Wie geht der ORF damit um?

 16.12.2025

Washington D.C.

Trump sorgt mit Angriffen auf ermordeten Rob Reiner für Empörung

Der jüdische Regisseur sei an einem »Trump-Verblendungssyndrom« gestorben, schreibt der Präsident. Dafür erntet er seltene Kritik aus den eigenen Reihen

 16.12.2025

Nachruf

Filmproduzent mit Werten

Respektvoll, geduldig, präzise: eine Würdigung des sechsfachen Oscar-Preisträgers Arthur Cohn

von Pierre Rothschild  15.12.2025

Meinung

Xavier Naidoos antisemitische Aussagen? Haken dran!

Der Mannheimer Sänger füllt wieder Konzertsäle. Seine Verschwörungserzählungen über Juden und holocaustrelativierenden Thesen scheinen kaum noch jemanden zu stören

von Ralf Fischer  15.12.2025

Los Angeles

Bestürzung über Tod von Rob Reiner und Ehefrau Michele

Der jüdische Regisseur und seine Frau wurden tot in ihrem Haus aufgefunden. Die Polizei behandelt den Fall als mögliches Tötungsdelikt

 15.12.2025

Justiz

Gericht: Melanie Müller zeigte mehrmals den Hitlergruß

Melanie Müller steht erneut vor Gericht: Die Schlagersängerin wehrt sich gegen das Urteil wegen Zeigens des Hitlergrußes und Drogenbesitzes. Was im Berufungsverfahren zur Debatte steht

von André Jahnke  14.12.2025