Kino

Digital ist besser

Dies sind zweifellos die packendsten Sci-Fi-Filme, die in einer unmittelbaren Zukunft spielen und unser ganz alltägliches Leben betreffen. Filme, die uns nah und fern zugleich erscheinen wie etwa Alphaville von Godard oder Fahrenheit 451 von Truffaut oder jetzt Her von Spike Jonze. Zuerst sehen wir das Bild eines Mannes, der geradezu unscheinbar wirkt.

Der Schnurrbart, die Brille, die brave Frisur – es dauert, bis wir in dem Antlitz Joaquin Phoenix erkennen. Phoenix in der Rolle des Theodore ist so etwas wie der archetypische Angestellte der Zukunft, ein wenig kafkaesk, ein wenig Nerd. In seinen Computer diktiert er reihenweise romantische Briefe, die er in einer Agentur für »handgeschriebene, persönliche Briefe« für Kunden verfasst.

Alles ist falsch und echt zugleich bei Theodore. Imagination und Wahrheit werden eins. Während er die Briefe formuliert und seinem Computer diktiert, vermischen sich die Brieffiktionen mit eigenen Erinnerungen, vor allem an seine zerbrochene Ehe. Theodore, der durchaus witzig sein kann, bleibt doch ein Verlorener im Los Angeles der nahen Zukunft.

Mails Er driftet durch die transparente urbane Wohlfühllandschaft von L.A., die übrigens vom viel moderneren Shanghai »verkörpert« wird. Geleitet und gereizt wird er von den Signalen der Mails, Screens und Games. Wenn er zu Hause aus dem Panoramafenster blickt, sieht er eigentlich ein Werbebild der glitzernden Stadt.

Zur Unterhaltung spielt er ein gigantisches 3D-Computer-Game, in dem eine animierte Figur verzweifelt nach einem Ausweg sucht aus dem Labyrinth eines fernen Planeten. Auf dem Smartphone betrachtet er die Nacktaufnahmen eines hochschwangeren TV-Starlets. Ein Bild vollkommener Körperlichkeit, beinahe körperlos gemacht auf dem Screen seines Gerätes. Eine diffuse Sehnsucht und Begierde umhüllt den vereinsamten Theodore.

Natürlich ist Spike Jonzes neuer Film auch eine Kritik an einer irrwitzigen digitalen Zukunft, die aus den L.A.-Bewohnern scheinbar glückliche Onanisten macht, deren Träume und Triebe sich in den mannigfaltigen technischen Geräten widerspiegeln.
Man wird nach diesem Film Menschen, die in Smartphones und Tablets vertieft sind, mit anderen Augen betrachten.

Aber Jonze geht weiter: Er zeigt, wie die virtuellen Welten auf Vorstellungen der Romantik und der Moderne beruhen. E.T.A. Hoffmann, Kafka und Timothy Leary könnten Paten des Films sein. Und Jonze, der sonst wie Michel Gondry auf selbstverliebte Weise kreativ ist, wird hier wagemutig: Er macht aus seinem komplexen Film einen schönen, traurigen Trip, er bezieht den Zuschauer ein in ein Melodram der Imagination.

Scarlett Johansson Jonze gönnt Theodore eine große Liebe. Sie wird nicht in der Versöhnung mit seiner Frau Catherine (Rooney Mara) liegen, sie wird sich nicht mit einem Blind Date (Olivia Wilde) erfüllen und auch nicht in der Freundschaft zu seiner Nachbarin Amy (Amy Adams), einer Doris Day der Zukunft. Theodore verliebt sich ganz allmählich und immer heftiger in die weibliche Stimme und künstliche Intelligenz seines neuen Computerbetriebssystems. Samantha nennt sich diese körperlose Frau, die in der Originalfassung von Scarlett Johansson gesprochen wird.

Auf manchmal ironische, manchmal bizarre, aber stets ernsthafte Weise schildert Jonze diese unmögliche Lovestory. Nachdem Theodore seine Hemmungen in Anbetracht dieser tatsächlich Grenzen überschreitenden Liebe abgelegt hat, gibt es kein Halten mehr. Immer begleitet die sexy gebrochene Stimme Samanthas den verzückten Theodore. Gewiss sind Joaquin Phoenix und Scarlett Johansson eines der schönsten Liebespaare dieser Dekade.

Ein Liebespaar der fast körperlosen Sehnsucht, gegen jede Chance. Irrwitziger und zugleich subtiler Höhepunkt: wenn eine verzweifelte Samantha eine echte Frau per Internet auswählt und quasi als Körper-Avatar zu einem Sexrendezvous mit Theodore schickt. Diese echte Frau will dabei nichts anderes, als am bald gefährdeten Glück von Theodore und Samantha teilnehmen. Spike Jonzes hypnotischer, schwindelerregender Film, eine leise-ironische Studie in Sachen Sehnsucht, lässt den Zuschauer, einen weiteren Teilnehmer dieses Glücks, verstört und verzaubert zurück.

www.herthemovie.com

Sehen Sie hier den Trailer:
www.youtube.com/watch?v=XsQqMwacZQw

TV-Tipp

Sie ging über Leichen: Doku »Riefenstahl« zeigt eine überzeugte Nationalsozialistin

Das Erste zeigt Andres Veiels vielschichtigen Dokumentarfilm über Leben und Wirken von Hitlers Lieblingsregisseurin Leni Riefenstahl. Der Film geht auch der Frage nach, wie ihre Filme bis in die Gegenwart ausstrahlen

von Jens Hinrichsen  14.11.2025

Kunst

Illustrationen und Israel-Hass

Wie sich Rama Duwaji, die zukünftige »First Lady von New York«, auf Social Media positioniert

von Jana Talke  13.11.2025

Kino

Zwischen »Oceans Eleven« und Houdini-Inszenierung

»Die Unfassbaren 3« von Ruben Fleischer ist eine rasante wie präzise choreografierte filmische Zaubershow

von Chris Schinke  13.11.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

 13.11.2025

Film

Dekadenz, Krieg und Wahnsinn

»Yes« von Nadav Lapid ist provokativ und einseitig, enthält aber auch eine tiefere Wahrheit über Israel nach dem 7. Oktober

von Sascha Westphal  13.11.2025

Kolumne

Hineni!

Unsere Autorin trennt sich von alten Dingen und bereitet sich auf den Winter vor

von Laura Cazés  13.11.2025

Zahl der Woche

-430,5 Meter

Fun Facts und Wissenswertes

 12.11.2025

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 13. November bis zum 20. November

 12.11.2025

Interview

»Niemand hat Jason Stanley von der Bühne gejagt«

Benjamin Graumann, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Frankfurt, weist die Vorwürfe des amerikanischen Philosophen zurück und beschuldigt ihn, Unwahrheiten über den Abend in der Synagoge zu verbreiten

von Michael Thaidigsmann  12.11.2025