Kino

Die Welt von gestern

Schemenhaft: Michal Waszynski, der einer der bekanntesten polnischen Regisseure war und 1904 als Moshe Waks geboren wurde Foto: Salzgeber

Als Michal Waszynski 1965 starb, wurde er in Rom pompös mit einem katholischen Begräbnis beigesetzt. Weltweit wurde über seine Beerdigung ausführlich berichtet. Waszynski, 1904 als Moshe Waks geboren, war bekannt, weil er die in Europa gedrehten Big-Budget-Filme amerikanischer Produktionsfirmen wie Untergang des römischen Reiches (1964) betreute und mit Stars wie Brigitte Bardot und Audrey Hepburn Partys feierte.

Heute liegt Michal Waszynski in der Gruft der Familie Dickmann, und auf dem Weg dahin schneiden die beiden Filmemacher Elwira Niewiera und Piotr Rosolowski in ihrem neuen Dokumentarfilm Der Prinz und der Dybbuk einen Ausschnitt aus Waszynskis legendärem Film Der Dybbuk (1937) gegen: wie der Totengeist zwischen den Gräbern langsam immer näher auf uns Zuschauer zukommt.

übertritt Waszynski, der sich in Italien als Prinz ausgab, war Jude, und Der Dybbuk ist sein persönlichster Film gewesen; der Mythos vom Dybbuk, der sich in den Körpern der Lebenden einnisten kann, sollte ihn bis an sein Lebensende beschäftigen. Vielleicht, weil die Umklammerung durch den bösen Geist auch die Frage der Identität berührt. Denn Waszynski hat mit seiner Geschichte und vor allem mit seinem Judentum vor dem Zweiten Weltkrieg Tabula rasa gemacht, was in dem Film einen großen Raum einnimmt.

Moshe Waks alias Waszynski war ein Mann mit vielen Gesichtern. Geboren wurde er Anfang des 20. Jahrhunderts als Jude in einem Ort namens Kowel, der heute in der Ukraine liegt und früher zu Polen gehörte. An ebendiesem Ort begeben sich die beiden Regisseure nun auf Spurensuche. Es gibt noch heute Überreste des jüdischen Friedhofs, aber die alte Synagoge beherbergt nun eine kleine Textilfabrik.

Die Kamera fährt über die fertig produzierten Anzüge, und man fühlt sich erinnert an die Kleiderberge in den Konzentrationslagern. Immer wieder montieren die beiden Filmemacher solche metaphorischen Sequenzen in ihren Film und weisen damit über die individuelle Geschichte Waszynskis hinaus. »Mein Ort verschwindet, als hätte ich nie eine Jugend gehabt«, schrieb er in den späten 30er-Jahren in sein Tagebuch.

Kameratrupp 1922 verließ Waszynski Kowel, konvertierte zum Katholizismus – und wurde der prominenteste polnische Regisseur seiner Zeit, mit einer enormen Produktivität. Allein 1938 kamen sieben Filme von ihm in die Kinos. 1941 schloss er sich der Armee der polnischen Exilregierung an, als Mitarbeiter eines Kameratrupps. 1944 filmte er die Schlacht um Monte Cassino. Er drehte drei Filme auf Italienisch und arbeitete dann nur noch als Produzent in Italien und Spanien.

Und er ist in dieser Zeit gezwungen, einen weiteren Teil seiner Persönlichkeit zu verleugnen: seine Homosexualität.
Auch wenn Der Prinz und der Dybbuk der Biografie von »Mike« folgt, ist der Film kein simpler filmkundlicher Dokumentarfilm, der Fakt an Fakt reiht. Er montiert sein Material zu einem berührenden Essay über Identität, Illusion und europäische Geschichte.

Archivaufnahmen aus den Schtetln erinnern daran, dass es diese Welt nicht mehr gibt und die Menschen aus den Filmen von den Nazis umgebracht wurden. Zu den bewegendsten Sequenzen gehören Amateuraufnahmen aus der römischen Wohnung des vermeintlichen Aristokraten. Einmal steht Waszynski am Fenster und raucht, das Licht von draußen überstrahlt die Szene, und er wirkt so schemenhaft wie ein Totengeist. »Wir suchen den Dybbuk«, hat er in seinen späten Jahren immer wieder zu seinem Fahrer gesagt.

Ab Donnerstag im Kino

Film

Spannend, sinnlich, anspruchsvoll: »Der Medicus 2«

Nach zwölf Jahren kommt nun die Fortsetzung des Weltbestsellers ins Kino

von Peter Claus  25.12.2025

ANU-Museum Tel Aviv

Jüdische Kultobjekte unterm Hammer

Stan Lees Autogramm, Herzls Foto, das Programm von Bernsteins erstem Israel-Konzert und viele andere Originale werden in diesen Tagen versteigert

von Sabine Brandes  25.12.2025

Menschenrechte

Die andere Geschichte Russlands

»Wir möchten, dass Menschen Zugang zu unseren Dokumenten bekommen«, sagt Irina Scherbakowa über das Archiv der von Moskau verbotenen Organisation Memorial

 25.12.2025

Rezension

Großer Stilist und streitbarer Linker

Hermann L. Gremliza gehört zu den Publizisten, die Irrtümer einräumen konnten. Seine gesammelten Schriften sind höchst lesenswert

von Martin Krauß  25.12.2025

Glastonbury-Skandal

Keine Anklage gegen Bob-Vylan-Musiker

Es lägen »unzureichende« Beweise für eine »realistische Aussicht auf eine Verurteilung« vor, so die Polizei

 24.12.2025

Israel

Pe’er Tasi führt die Song-Jahrescharts an

Zum Jahresende wurde die Liste der meistgespielten Songs 2025 veröffentlicht. Eyal Golan ist wieder der meistgespielte Interpret

 23.12.2025

Israelischer Punk

»Edith Piaf hat allen den Stinkefinger gezeigt«

Yifat Balassiano und Talia Ishai von der israelischen Band »HaZeevot« über Musik und Feminismus

von Katrin Richter  23.12.2025

Los Angeles

Barry Manilow teilt Lungenkrebs-Diagnose

Nach wochenlanger Bronchitis finden Ärzte einen »krebsartigen Fleck« in seiner Lunge, erzählt der jüdische Sänger, Pianist, Komponist und Produzent

 23.12.2025

Hollywood

Timothée Chalamet – der neue Leonardo DiCaprio?

Er gilt aktuell als einer der gefragtesten Schauspieler. Seine Karriere weckt Erinnerungen an den Durchbruch des berühmten Hollywood-Stars, der ihm einen wegweisenden Rat mitgab

von Sabrina Szameitat  22.12.2025