Kunst

Die Schönen und die Schurken

Das Gemälde »Geschichte der Esther« (1528) von Hans Burgkmair dem Älteren Foto: Bayerische Staatsgemäldesammlungen, CC BY-SA 4.0

Eine Frau verhindert die blindwütige Vernichtung der Juden. Beherzt tritt Königin Esther vor ihren Gemahl, den Perserkönig: Entschlossen wird sie die Juden im Persischen Reich retten. Großwesir Haman wollte alle töten, das bezahlt er nun mit seinem Leben, und die Juden dürfen ihre Feinde ausschalten. Bedrückend aktuell scheint das Renaissance­bild Hans Burgkmairs, der die biblische Heldin in einer venezianischen Fantasiekulisse agieren lässt, auch wegen des couragierten weiblichen Ungehorsams in Persien, dem heutigen Iran. Esther ist es untersagt, ihren Ehemann zu stören. Doch sie ignoriert dies.

In der Städel-Schau Holbein und die Renaissance im Norden ist das Gemälde prominent platziert. Der Hinweis auf das Purimfest fehlt nicht. Vier Jahre lang wurde die Ausstellung mit 180 Werken vorbereitet, einige davon sind exakt 500 Jahre alt. Verblüffend gegenwartsnah wirken gleichwohl geistige Einstellungen und figürliche Darstellungen. Darunter die stereotype Charakterisierung des hakennasigen maß- und gottlosen Juden. Der Besucher erstarrt, doch die Schau kontextualisiert ja bloß die normative Kraft des Faktischen. Juden beschäftigen die Kunstwissenschaft abwechselnd als die Schönen und die Schurken.

Biblische Juden erfahren Wertschätzung – anders als Zeitgenossen.

Jedes Exponat der Holbein-Schau stößt das Tor zu einer Geschichte auf. Wie befruchten italienische und niederländische Innovationen deutsche Kunst? Geografischer Nabel der vergleichend angelegten Betrachtung ist Augsburg: um 1500 größer und kulturell bedeutender als München.
Mit der Fuggerkapelle ist man im Besitz des am längsten erhaltenen Renaissancebauwerks im Norden; die Brunnenfigur des Neptun gilt als älteste Bronze mit einem Körperbau nach antikem Modell. Ausgehend von Augsburger Malerprominenz, Wegbereitern und Vertretern der deutschen Renaissance, führt das Städel Meisterwerke des älteren Holbein und Burgkmairs zum Dialog: eine Premiere.

Neben biblischen Themen fesseln Bildnisse. Die Begabungen Hans Holbeins des Älteren (um 1464–1524), am Vorabend seines 500. Todestages in großem Stil geehrt, seines Sohnes Hans Holbein des Jüngeren (1497–1543) oder Hans Burgkmairs (1473–1531) stießen in der Fuggerstadt auf Auftrag­geber, die gern für Kunst bezahlten. Das Porträtbild der Renaissance – idealisiert, wiewohl orientiert an der realen Erscheinung – war eine Vorstufe des Selfies. Eingeläutet wurde die Epoche wirklichkeitsnaher Sicht auf Mensch, Tier und Architektur, also beseelte wie unbeseelte Welt, mit einem humanistisch erkenntnisfreudigem Fundament.

Die Renaissance steht für detailverliebten Porträtrealismus ebenso wie für die Erforschung des großen Ganzen – sie markiert eine »Zeitenwende«. Auf den damaligen kulturellen Umbruch münzt das Städel dieses Schlagwort, das jetzt Konjunktur hat im Kontext von Krieg.

Unterdessen veränderte sich auch drastisch die Perspektive auf Juden und ihre Teilhabe im Kunstbetrieb. Spätestens seit der documenta ist die Diskussion darüber entbrannt. Die Städel-Schau beleuchtet neben der Verachtung die Anerkennung. »Drei gute Jüdinnen« vereint Burgkmair in einer Zeichnung.

Die Alten Meister arbeiten mit allen Tricks. Eine biblische Figur wird zur Vorlage der christlichen Himmels­königin, eine andere borgt sich von einer irdischen Regentin das zeitgenössische Gesicht. So funktioniert es: Zum Antlitz der berühmten Schutzmantelmadonna des Jakob Meyer zum Hasen wird Holbein der Jüngere von einer Salome aus dem Umkreis Leonardo da Vincis inspiriert. Sein Vater wiederum lieh seiner Esther die Züge der Maria von Burgund: verstanden als Präfiguration der Muttergottes.

Jörg Breu der Ältere (um 1475/1480–1537), dessen Flügelbilder der kleinen Orgel der Fuggerkapelle (um 1520) nun erstmals Augsburg verlassen haben, ehrt derweil Juval aus dem 1. Buch Mose, der unter anderem das Zupfinstrument Kinnor populär machte, als Erfinder der Musik. Starke Typen wie diesen Juden mit Wallehaar und -bart kennen wir von Michelangelo.

Der hakennasige und maßlose Jude ist als Stereotyp präsent.

Biblische Juden erfahren in der Renais­sance Wertschätzung, Zeitgenossen hingegen Verunglimpfung wie in Holbeins Frankfurter Dominikaneraltar. Eine »religiöse Propagandamaschine«, hält das Städel fest. Um ordentlich Spenden einzustreichen, verlangte der Orden eine aggressive antisemitische Bildsprache. Entwurfszeichnungen verraten, wie sie final sogar verhärtet werden musste rund um die fette Geldkatze, die einen Juden neben dem Sarkophag des Auferstandenen als verschlagenen Raffzahn stigmatisiert. Pikant: In unmittelbarer Nachbarschaft des Frankfurter Konvents befand sich das jüdische Ghetto. Gerade Kunst zog Mauern hoch.

Besonders berührt das Porträt des Ehepaares Burgkmair, das sich einen Hand­spiegel vorhält. Daraus aber blicken To­tenköpfe zurück, umrahmt von den Worten: »Erken dich selbs«. Erst dann kann man auch andere erkennen – zum Beispiel Juden.

Die Ausstellung ist bis zum 18. Februar 2024 zu sehen. »Holbein und die Renaissance im Norden«. Städel Museum, Frankfurt am Main

Hans-Jürgen Papier

»Es ist sehr viel Zeit verloren gegangen«

Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts zieht eine Bilanz seiner Arbeit an der Spitze der »Beratenden Kommission NS-Raubgut«, die jetzt abgewickelt und durch Schiedsgerichte ersetzt wird

von Michael Thaidigsmann  26.11.2025

Hommage

Pionier des Erinnerns

Der Filmemacher und Journalist Claude Lanzmann wäre diese Woche 100 Jahre alt geworden. Unser Autor ist ihm mehrmals persönlich begegnet

von Vincent von Wroblewsky  26.11.2025

Zahl der Woche

6500 Rabbiner

Funfacts & Wissenswertes

 26.11.2025

Glosse

Der Rest der Welt

Coole Nichten, coole Tanten

von Katrin Richter  26.11.2025

Kulturkolumne

Lob der Anwesenheit

Lahav Shani und Jason Stanley: Warum unser Autor nicht nur in der Westend-Synagoge vor Ort ist

von Eugen El  26.11.2025

Film

Shira Haas ist Teil der Netflix-Serie »The Boys from Brazil«

Die israelische Schauspielerin ist aus »Shtisel« und »Unorthodox« bekannt

 26.11.2025

Zwischenruf

Was bleibt von uns?

Was bleibt eigentlich von uns, wenn Apple mal wieder ein Update schickt, das alles löscht? Jede Höhlenmalerei erzählt mehr als eine nicht mehr lesbare Floppy Disk

von Sophie Albers Ben Chamo  25.11.2025

Kultur

André Heller fühlte sich jahrzehntelang fremd

Der Wiener André Heller ist bekannt für Projekte wie »Flic Flac«, »Begnadete Körper« und poetische Feuerwerke. Auch als Sänger feierte er Erfolge, trotzdem konnte er sich selbst lange nicht leiden

von Barbara Just  25.11.2025

Jüdische Kulturtage

Musikfestival folgt Spuren jüdischen Lebens

Nach dem Festival-Eröffnungskonzert »Stimmen aus Theresienstadt« am 14. Dezember im Seebad Heringsdorf folgen weitere Konzerte in Berlin, Essen und Chemnitz

 25.11.2025