Ausstellung

Die Schocken-Show

Es scheint so passend, dass der Weg zu dieser Ausstellung im Jüdischen Museum Berlin die Treppe hinunterführt. Schließlich geht es ins Archiv, verspricht der Titel doch Bestandsaufnahmen, Inventuren. Aber dann geht es doch wieder nach oben, wenn auch nur halb, Mezzanine, Zwischengeschoss. Und damit ist der Besucher angekommen beim Mischmasch, das diese Installation ist: etwas zwischen musealer Dokumentation und Kunst; etwas, das in der Luft hängt wie die großen, mit Texten bedruckten Transparente oder das blaue Kleid in der gläsernen Box oder die Stimme, die aus dem Mobiltelefon schallt, wenn man dem QR-Code an den Exponaten folgt.

Inventuren. Das Vermächtnis des Salman Schocken heißt die schwebende Sammlung aus dem Archivbestand des Museums, die in ihrer kargen Darbietung durchaus mutig zu nennen ist – doch auch etwas zu karg für das volle Verständnis der Bedeutung des Themas. Denn auch, wenn in Israel jeder den Namen Schocken kennt, in Deutschland ist er lange vergessen. Deshalb musste ein geläufigerer Name her wie Joshua Cohen, genau, der Pulitzer-Preisträger. Der Autor von Witz und Die Netanjahus ist der Mastermind hinter der Schocken-Show, und ihm gehört auch die Stimme, die die Texte rezitiert. Sie stammen natürlich von ihm selbst.

Die schwebende Show aus dem Archivbestand des Museums kann man durchaus mutig nennen.

Salman Schocken war einer der großen jüdischen Kaufhausbesitzer im Deutschland der 1920er- und dem Anfang der 30er-Jahre. Die Exponate erzählen von dieser Zeit, in der Damen feine Handschuhe trugen, Hutschachteln nichts Besonderes und Taschentücher aus Seide waren; als allein in Berlin mehr Juden lebten als heute in ganz Deutschland. Cohens Texte spielen mit dem feilgebotenen Ding in seiner Zeit, mal mit Zitaten, mal mit Humor und immer mit Referenzen; er mixt Martin Buber mit Nivea und Hannah Arendt mit besagtem Damenkleid. Die Exponate stehen flankiert von großgezogenen Schwarz-Weiß-Fotos der Konsumtempel-Bauhaus-Fassaden im Raum verteilt.

So arbeitet man sich durch das, was abwesend ist, denn die Artefakte sind Überlebende einer Zeit, die es nicht mehr gibt. Doch dann ein Innehalten und auch Aufatmen am Ende des Weges. Hier warten Schockens Bücher und weisen in eine neue Welt.

Hinter Glas leuchten – in bunten Farben und in perfektem Design – Heine, Buber, Agnon und auch der Rambam

1931 gründete der Kaufhausbesitzer in Berlin den Schocken Verlag und publizierte bildschöne Ausgaben über jüdisches Leben und von jüdischen Denkern. Hinter Glas leuchten – in bunten Farben und in perfektem Design – Heine, Buber, Agnon und auch der Rambam. Es gibt Gedichte, religiöse Abhandlungen, Kalender und Romane, Erbauliches und Gedankenschweres, denn Schockens Ziel sei es gewesen, die jüdische Literatur und Kultur in Deutschland wiederzubeleben und die Juden aus dem Osten den assimilierten im Westen näherzubringen, sagt Cohen, der für einen Eröffnungsabend der Ausstellung extra nach Berlin gekommen ist.

Dass Salman Schockens Verlags­arbeit auch eine Rettung und Konservierung werden sollte, ist der epochale Teil seines Vermächtnisses. Die Idee einer jüdischen Bildung, bestehend aus Literatur, Religion und Folklore (worunter er das Jiddische verstand) überlebte so den Mord- und Zerstörungswahn der Nazis.

Schocken verließ Deutschland 1934, nachdem die Nazis ihm seine Nationalität genommen und seine Kaufhäuser »arisiert« hatten, und musste zurücklassen, was er sich so hart erarbeitet hatte. Der Schocken Verlag blieb in Berlin und brachte noch Bücher heraus, als die Nazis sie verbrannten. Bis 1938. »Nie hat das deutsche Judentum eine solche Konzentration jüdischer Werte zusammengebracht wie am Rande seiner Zerstörung«, stellte der Autor Gershom Scholem später fest, »durch den Schocken Verlag.«

Die Schockens gingen nach Jerusalem, wo Salman die Verwaltung der neu gegründeten Hebräischen Universität übernahm. 1936 kaufte er die damals kleine Zeitung »Haaretz«, weihte die Schocken-Bibliothek in Jerusalem ein und machte ein Jahr später da weiter, wo er in Berlin aufhören musste: Er gründete das Schocken Publishing House Ltd. in Tel Aviv. 1945 folgte Schocken Books in New York, nachdem Salman und seine Frau Lilli 1940 in die USA übergesiedelt waren.

Die Idee einer jüdischen Bildung überlebte

Im nächsten Schaukasten liegen denn auch die englischen Ausgaben von Autoren, die bereits im Berliner Verlag ein Zuhause gefunden hatten. Aber Hannah Arendt ist neu. Sie gehörte zu den ersten Autorinnen, die Schocken Books verlegt hat. Der Verlag wurde zum Zufluchtsort für jüdische Intellektuelle aus Europa: Primo Levi, Walter Benjamin, Claude Lévi-Strauss. Ein Katalog wie ein Grundstein, macht Cohen voll Leidenschaft deutlich: Salman Schocken habe die deutsch-jüdische Kultur in die Welt getragen, während die Nazis sie auszulöschen versuchten, und so das Fundament für die westliche Geisteswissenschaft in den USA gelegt – von der Philosophie bis zur Soziologie.

Eine »physische Transplantation« des europäischen Denkens habe damals stattgefunden, so Cohen, die Eingang in die akademische Tradition Amerikas fand. Eben­jene Tradition, die heute von US-Präsident Trump bedroht werde, so wie Haaretz von Israels Premier Benjamin Netanjahu. In diesem Augenblick ist die Vergangenheit in der Gegenwart angekommen. Das alles sei das »Vermächtnis eines eigenwilligen Kaufhausbesitzers«, schließt der Schriftsteller.

Was man auch erwähnen muss, ist die Tatsache, dass diese Ausstellung durchaus den Untertitel »Joshua Cohens Rache« tragen könnte, denn zu ihrer Vorgeschichte gehört der Versuch Cohens, Schocken Books wieder zum Leben zu erwecken.

Der Verlag war nach dem Tod Salman Schockens 1959 in der Familie geblieben, 1987 wurde er an Random House verkauft, das wiederum 2020 vollständig von Bertelsmann übernommen wurde. Ausgerechnet der deutsche Verlag, der in der NS-Zeit der größte Produzent von Propaganda und Unterhaltungsliteratur für Soldaten an der Front gewesen war.

Cohen hat 2023 versucht, den inaktiven Verlag Schocken Books zu kaufen. Aber Bertelsmann-CEO Thomas Rabe habe ihm nur geantwortet: »Schotten Books steht nicht zum Verkauf.« Ihm sei sogar der Name egal gewesen, empört sich Cohen, um dann in ein Lächeln auszubrechen und zu sagen: »Wut ist eine vortreffliche kreative Kraft.«

»Inventuren. Salman Schockens Vermächtnis« ist bis zum 12. Oktober im Jüdischen Museum Berlin zu sehen.

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