Faksimile

»Die Schlüsselblumen beleuchten mir die Zelle«

Das Herbarium von Rosa Luxemburg wurde 2009 entdeckt und erscheint jetzt in einer besonderen Ausgabe

von Welf Grombacher  12.12.2016 18:10 Uhr

Rosa Luxemburg wollte eigentlich immer Botanik studieren. Foto: Dietz Berlin

Das Herbarium von Rosa Luxemburg wurde 2009 entdeckt und erscheint jetzt in einer besonderen Ausgabe

von Welf Grombacher  12.12.2016 18:10 Uhr

Die Geschichte, die sich um dieses Buch rankt, liest sich wie ein Krimi. Im Mai 1913 fing die Sozialistin Rosa Luxemburg an, ein Herbarium anzulegen. Als junge Frau wollte sie Botanik studieren und ging deswegen nach Zürich, da sie im heimischen Warschau als Frau nicht zum Studium zugelassen war. Die Liebe zu den Blumen begleitete sie ein Leben lang. Bis in den Oktober 1918 hinein sammelte sie Blüten und Blätter.

Selbst nachdem sie verhaftet worden war, weil sie auf einer Veranstaltung der SPD Arbeiter dazu aufgerufen hatte, im Kriegsfall den Dienst an der Waffe zu verweigern, ließ sie sich Gewächse in ihre Gefängniszelle schicken und sammelte auf dem Lazaretthof, wo, wie sie in einem Brief schrieb, nicht nur »zur Freude der Hühner« ein paar Pflänzchen wachsen.

»Wie froh bin ich jetzt, dass ich mich vor drei (vier) Jahren plötzlich in das Botanisieren gestürzt habe, wie alles, gleich mit meiner ganzen Glut, mit dem ganzen Ich, dass mir die Welt, die Partei und die Arbeit verging und nur die Leidenschaft mich Tag und Nacht erfüllte.«

Veilchen Ihrer Sekretärin Mathilde Jacob erteilte Luxemburg im März 1915 nach ihrer Festnahme die »Vollmacht«, an ihrer statt »die Wiesen zu plündern«. Veilchen und Anemonen gaben der Inhaftierten Halt. »Die Schlüsselblümchen beleuchten mir die Zelle wie Sonnenlicht«, schrieb sie im April 1915 an Mathilde Jacob.

Erstmals veröffentlicht der Karl Dietz Verlag Berlin jetzt dieses »Herbarium« von Rosa Luxemburg in einer Faksimile-Ausgabe, herausgegeben von Evelin Wittich mit einer Einleitung von Holger Politt, der im Anhang auch gleich eine Auswahl an Briefen von Rosa Luxemburg besorgt hat.

Lange galt das Original als verschollen, bis der Leiter der Rechtsmedizin an der Berliner Charité, Michael Tsokos, es 2009 im Staatlichen Archiv Akt Nowych aufspürte. Ausgerechnet in Warschau, wo jüdisches Leben von den Nazis hundertausendfach ausgelöscht worden war, tauchte die Pflanzensammlung der Jüdin Rosa Luxemburg wieder auf.

Friedrichsfelde Vergessen in einer Kiste lagen dort 18 blaugraue Schreibheftchen, von denen der Forensiker Tsokos sich DNA-Spuren erhoffte, die ihm zur Identifizierung einer seit Jahrzehnten ohne Kopf, Hände und Füße im Keller des Medizinhistorischen Museums der Charité verwahrten Wasserleiche dienen sollten. Bei der Toten, so seine These, handle es sich um Rosa Luxemburg.

Fälschlicherweise sei in Friedrichsfelde auf dem Zentralfriedhof 1919 eine andere beerdigt worden. Das beweise der Obduktionsbericht von damals, in dem weder Luxemburgs Hüftschaden noch ihre unterschiedlich langen Beine vermerkt worden seien.

In der Fachwelt sorgte Michael Tsokos gehörig für Unruhe, auch wenn seine These sich letztlich nicht beweisen ließ, da die Auswertung des Herbariums keine verwendbaren DNA-Spuren erbrachte. Wie dem auch sei: Mit der Faksimile-Ausgabe ist Rosa Luxemburgs Sammlung von getrockneten Pflanzen jetzt jedermann zugänglich. Sogar einige Blätter vom Grab ihres großen politischen Vorbildes Ferdinand Lassalle hat sie darin bewahrt. Gesammelt am 2. August 1918, fünf Monate bevor Freikorpssoldaten sie und Karl Liebknecht in Berlin ermordeten.

Rosa Luxemburg: »Herbarium«. Hg. v. Evelin Wittich. Dietz, Berlin 2016, 416 S., 39,90 €

Musik

»Piano Man« verlässt die Bühne: Letztes Billy-Joel-Konzert

Eine Ära geht zuende: Billy Joel spielt nach zehn Jahren vorerst das letzte Mal »Piano Man« im New Yorker Madison Square Garden. Zum Abschied kam ein Überraschungsgast.

von Benno Schwinghammer  26.07.2024

Zahl der Woche

16 Sportarten

Fun Facts und Wissenswertes

 26.07.2024

Lesen!

Ein gehörloser Junge und die Soldaten

Ilya Kaminsky wurde in Odessa geboren. In »Republik der Taubheit« erzählt er von einem Aufstand der Puppenspieler

von Katrin Diehl  25.07.2024

Ruth Weiss

»Meine Gedanken sind im Nahen Osten«

Am 26. Juli wird die Schriftstellerin und Journalistin 100 Jahre alt. Ein Gespräch über ihre Kindheit in Südafrika, Israel und den Einsatz für Frauenrechte

von Katrin Richter  25.07.2024

Streaming

In geheimer Mission gegen deutsche U-Boote

Die neue Action-Spionagekomödie von Guy Ritchie erinnert an »Inglourious Basterds«

von Patrick Heidmann  25.07.2024

Bayreuth

Das Haus in der Wahnfriedstraße

Die Debatten um Richard Wagners Judenhass gehen in eine neue Runde. Nun steht sein antisemitischer Schwiegersohn Houston Stewart Chamberlain im Fokus

von Axel Brüggemann  25.07.2024

Sehen!

»Die Ermittlung«

Der Kinofilm stellt den Aussagen der Zeugen die Ausflüchte der Angeklagten gegenüber

von Ayala Goldmann  25.07.2024

Kommentar

Der »Spiegel« schreibt am eigentlichen Thema vorbei

In seiner Berichterstattung über das Abraham-Geiger-Kolleg konstruiert das Magazin eine Konfliktlinie

von Rebecca Seidler  25.07.2024 Aktualisiert

Literatur

Dieses Buch ist miserabel. Lesen Sie dieses Buch!

Eine etwas andere Kurzrezension von Ferdinand von Schirachs Erzählband »Nachmittage«

von Philipp Peyman Engel  24.07.2024 Aktualisiert