Fran Lebowitz

Die Scharfzüngige

Frances Ann (»Fran«) Lebowitz (71) wurde – wie viele in der Wolle gefärbte New Yorkerinnen – in New Jersey geboren. Foto: imago images/Everett Collection

Es mutet wie ein alter Hintertreppenwitz der Literatur an. Da stellt ein junger Dichter seine poetischen Hervorbringungen zu einem 80 Seiten schmalen lyrischen Bändchen zusammen. Und gibt dem Ganzen einen hochtrabend anmaßenden, alles beschwörenden Titel – Gesammelte Werke. Woraufhin niemand mehr jemals etwas von ihm hört noch liest.

In etwa so könnte man einen Text über Fran Lebowitz und »The Fran Lebowitz Reader« beginnen. Was hiermit gerade geschehen ist, allerdings nicht ganz zutreffend: Lebowitz’ im Englischen 334 Seiten starkes Buch, das ihre zwei Kolumnen-Essay-Meinungsstücke-Glossen-Bände Metropolitan Life (1978) und Social Studies (1981) vereint und seit 1994 lieferbar ist – allein dies bereits ein für den US-Buchmarkt außergewöhnlich bemerkenswertes Kuriosum –, liegt jetzt, erst jetzt, erstmals in deutscher Sprache vor.

NEW JERSEY Dank eines Pay-TV-Anbieters – und diese Volte ist wohl typisch für das Schriftstellerleben der Nicht-Schriftstellerin Fran Lebowitz, der in der Wolle gefärbten New Yorkerin, die, typisch für alle in der Wolle gefärbten New Yorkerinnen und New Yorker, aus New Jersey stammt. Unverstellt unübersehbar wirbt der Rowohlt Verlag auf dem Buch mit einem Verweis auf Netflix.

Die so scharf- wie spitzzüngige und geistwache Lebowitz, geboren 1950 im überschaubaren Morristown westlich von New York und seit 1970 in der Metropole am Hudson River lebend, pflegt seit mehr als 30 Jahren einen ironisch saturierten, inzwischen fein distinguierten »writer’s block«, eine Schreibblockade für alles Größere, vor allem für den Roman, für den sie einst einen stolzen Verlagsvorschuss erhalten hatte.

REDNERIN Geld verdiente sie, indem sie, die Journalistin und Magazinkolumnistin, die nicht mehr schreibt, sich ihren schneidenden Grant als Rednerin honorieren ließ oder ihn als Schauspielerin in Krimiserien ausstellte. Dort verkörperte sie mit ihren tiefschwarzen Haaren, den prägnanten Gesichtszügen und der dunklen Brille mit Vorliebe Richterinnen, als die sie auch Martin Scorsese in The Wolf of Wall Street (2013) besetzte, der ihr 2020 ein eigenes mehrteiliges Doku-Porträt widmete, Pretend It’s a City, eben bei Netflix.

Martin Scorsese widmete der Schriftstellerin ein Doku-Porträt auf Netflix.

Der schnell sprechende Filmregisseur, seinerseits Verkörperung New Yorker Filmkunst des vergangenen Halbjahrhunderts, ist seit Langem hingerissen von Lebowitzens Bonmot-Feuerwerkereien und ihrem ätzenden, sehr oft sehr trockenen Witz.

HUMOR »Witzige humoristische Literatur«, das ist eine selbstdespektierliche Kategorie. Hierzulande nicht nur an Schulen, erst recht an Hochschulen Stief- und abgewiesenes Schmuddelkind.

Kein Wunder, dass all jene mit Hochfrequenz-Pointen-Talent als Kabarettistinnen und Kabarettisten oder, noch demütigender, unter »Kleinkunst« subsumiert werden. Lässt man diesbezüglich den Blick über die deutschsprachige Dichtung der letzten 100 Jahre schweifen, findet man Erschütterndes. Und zwar erschütternd weniges. Neben Kurt Tucholsky, Alfred Polgar und Joachim Ringelnatz kaum etwas, nach 1950, 1960 fast nur den Schmunzelhumor eines Loriot und die putzigen Wortspielereien Heinz Erhardts. Zum Glück gab es zeitgleich in Wien immerhin Friedrich Torberg.

2021, New York, das deutscher Gegenwartsliteratur gewidmete »Festival Neue Literatur«. Der Schwerpunkt? Komik. Das Motto? »Seriously Funny«. Geladen waren unter anderem – kein Scherz! – Sibylle Berg, Daniel Kehlmann und die Österreicherin Vea Kaiser. Da konnte man nur noch Mark Twain zitieren: »Ein deutscher Witz ist nichts zum Lachen.« Das Konterargument, es gebe doch noch Marc-Uwe Kling oder Axel Hacke, Timur Vermes oder, Ausnahme von der Regel, Oliver Polak – bestätigt die Tristesse auf breit ausgreifender Linie.

Lebowitz schreibt über Diskotheken, Diäten, Ordnung und herrlich lässliche Unordnung.

Worüber schreibt, räsoniert, spottet und aphorisiert Lebowitz also nun lebhaftest? Über eigenes Unvermögen im Leben, zu dem sich hartnäckig Pech dazugesellt. Über Kindererziehung (»Erlauben Sie Ihrem Kind nie, Sie beim Vornamen zu nennen. Dafür kennt es Sie nicht lange genug.«), über Diskotheken, Diäten, Ordnung und herrlich lässliche Unordnung, Herkunft, soziale Aufsteiger. Immer wieder parodiert sie Ratgeber. Und natürlich schreibt sie über das nahe, da vor der Tür liegende, New York und New Yorker. Das ist fast durchweg glänzend.

ÜBERSETZERDUO So sehr sich auch das Übersetzerduo Mühe gegeben hat: Fran Lebowitz auf Deutsch klingt wie Fran Lebowitz auf Deutsch. Sie auf Englisch zu lesen, ist im Grunde unumgänglich. Der gleiche Befund gilt ja auch für Oscar Wilde – der nicht ohne Zufall gleich in einem der ersten Lebowitz-Texte erwähnt wird –, an dem sich deutsche Übersetzer immer wieder abrackerten, für Evelyn Waughs sardonische Prosa, für Terry Southerns Romane, für die Essays Gore Vidals wie für Noël Cowards Briefe.

Ebenso wie bei anderen amerikanischen Humoristen und Satirikern der letzten 50 bis 75 Jahre, von S. J. Perelman bis zum jüngst verstorbenen P. J. O’Rourke, sind der Rhythmus eines Satzes, Klang und Melodie, Länge oder Kürze ebenso essenziell wie das peinsam präzise Abfeuern einer illuminierenden Pointe im einzig perfekten Moment.

Fran Lebowitz: »New York und der Rest der Welt«. Aus dem Englischen von Sabine Hedinger und Willi Winkler. Rowohlt Berlin, Berlin 2022, 352 S., 22 €

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