Künstler, die ihre Werke selbst zerstören, sind nichts Neues und funktionieren als Provokation vielleicht noch in der Provinz. Wenn sich aber ein Künstler wie Aaron Geldof am Anfang von Jonathan Guggenbergers Debütroman Opferkunst an einem Kreuz aufhängt, selbst anzündet, und das auch noch aus Solidarität mit Palästina auf einer Internationalen Kunstbiennale in Venedig, dann ist das schon eine ganz andere Nummer.
»Palestine will set us free!«, lautet denn auch der Titel dieser Performance. Und dieser Slogan, der eine bessere Welt verspricht, sobald Israel endlich von der Landkarte verschwunden ist, gehört mit zum Repertoire eines »juste milieu«, dessen Vertreter vor allem im Kulturbereich zu finden sind.
Gepflegt wird darin ein Antisemitismus, der auf einer Täter-Opfer-Umkehr basiert, Heilsversprechungen propagiert und das Authentisch-Wilde von Judenhassern aus dem »Globalen Süden« abfeiert – die documenta fifteen und die Berliner Universität der Künste lassen grüßen. In genau diesem Biotop spielt Opferkunst.
documenta fifteen und die Berliner Universität der Künste lassen grüßen
Natürlich hat das selbst inszenierte Autodafé eine Vorgeschichte. Der Ich-Erzähler und Journalist Enzo Bamberger, der eigentlich Lorenz Knüppel heißt, was im Medienbetrieb vielleicht ein etwas unvorteilhafter Name ist, weshalb sein Träger ihn auch aufhübschte, lernt den irisch-jüdischen Performancekünstler Aaron Geldof kennen und lieben. Auch dessen Name ist kein Zufall, sondern weckt Erinnerungen an den ebenfalls irischen Rockstar Bob Geldof, der mit Benefizkonzerten die Welt verbessern wollte.
Bamberger und Geldof verschmelzen sukzessive mit der kreativen und sich als divers feiernden Kunstszene in Berlin. Selbstverständlich leben sie im Bezirk Neukölln, wo es zu einer wunderbaren Begegnung kommt, die zeigt, dass Kunst und Kitsch oftmals dasselbe sind, wenn Palästina im Spiel ist. So kaufen die beiden bei einem Araber auf der Sonnenallee eine Kufija, das ubiquitäre Palästinensertuch. »Dieser gestandene alte Mann trauert um Palästina – seine Heimat«, so der Ich-Erzähler über den Verkäufer. »Aaron und ich legten unsere Hände auf seine. Die hatten sich in der Gebetskette verkrampft wie die Wurzeln eines uralten Baumes.«
Viele Momente in dem Schlüsselroman haben eine befreiende Komik, wie beispielsweise auch die völlig durchgeknallte Szene, in der die berühmte Kulturkritikerin Susan Sontag Enzo Bamberger im Traum auf einer Rheinbrücke in Düsseldorf erscheint und ihn fragt, wie es sich dieser Tage »im faschistischen Deutschland« lebe, wo seit dem 7. Oktober 2023 so viele Meinungen unterdrückt würden, weil der »Korridor des Sagbaren« immer enger werde.
Jeder hält sich für die Sonne im eigenen Universum
Da ist auch die mehrfach in viel zu schrillen Klamotten auftretende Kulturstaatsministerin Barbara Köhler, die alle Umstehenden gern ungefragt umarmt und stets über sich und ihre Gefühle redet, aber nie zur Sache kommt. Auch wenn sie nur eine Nebenrolle in dem Roman spielt, so verkörpert diese Figur pars pro toto das Milieu, das Guggenberger aus erster Hand kennt und so wunderbar pointiert zu skizzieren vermag: Jeder darin hält sich für die Sonne im eigenen Universum.
Und wenn Kunst nur noch als Aktivismus verstanden und akzeptiert wird, dann generiert man irgendwann Aufmerksamkeit nur noch mit dem Maximum an Einsatz, und zwar dem eigenen Leben. Wenn dieses Opfer zudem im Namen Palästinas erbracht wird und der Künstler am Kreuz bei der Selbstverbrennung nur mit einer feuerfesten Kufija um die Hüften bekleidet ist, wird das Ganze für die Zuschauer wie eine heilige Messe zelebriert. Überdies will das Publikum Aaron Geldof von seinem suizidalen Vorhaben gar nicht abbringen, sondern anfeuern. Es fehlt eigentlich nur noch eine Leni Riefenstahl, die das alles filmt.
Jonathan Guggenberger: »Opferkunst«. Novelle. Edition Tiamat, Berlin 2024, 256 S., 20 €