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Die Fähigkeit zum Träumen

Bruno Ganz als Sigmund Freud während der Dreharbeiten zu »Der Trafikant« Foto: dpa

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Die Fähigkeit zum Träumen

»Der Trafikant« ist eine detailgenaue Verfilmung des Bestsellers von Robert Seethaler

von Marius Nobach  11.08.2020 13:14 Uhr

Weißes Licht fällt auf das milchige Seewasser. Die Landschaft, in der sich der 17-jährige Franz Huchel in seinen Träumen bewegt, ist zwar die des heimatlichen Attersees im Salzkammergut, doch ist die Perspektive seltsam verzerrt.

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Die Bedrohung ist mit Händen zu greifen, wenn Franz selbst auf dem See, der lange sein liebster Aufenthaltsort war, nicht mehr sicher ist. Im Traum wird er nun mit seinem Ruderboot unaufhaltsam von einem Eisberg angezogen, oder ihm droht eine Gefahr von oben aus dem Himmel.

nazis Der Protagonist aus dem 2012 veröffentlichen Roman Der Trafikant des österreichischen Schriftstellers Robert Seethaler ist ein Träumer – im positiven Sinne. Das ist keine Selbstverständlichkeit im Wien der Jahre 1937 und 1938, wo der unwissende, aber keineswegs dumme Jugendliche Zeuge ist, wie die Nazis und ihre Ideologie sich ausbreiten – bis hin zur Einverleibung Österreichs.

Immer wieder zeigt der Film in Augenblicken der Gewissensentscheidung den Kontrast zwischen Vorstellung und Wirklichkeit.

Die Fähigkeit zum Träumen als Attribut eines Freidenkenden zu deuten, wird von Nikolaus Leytners Verfilmung Der Trafikant im Vergleich zur Vorlage noch stärker forciert und schlüssig weiterentwickelt. Immer wieder zeigt der Film in Augenblicken der Gewissensentscheidung den Kontrast zwischen Vorstellung und Wirklichkeit: Franz sieht deutlich vor sich, wie er aktiv wird und gegen offensichtliches Unrecht angeht, nur um im nächsten Moment zu erkennen, dass er in Wahrheit wieder einmal untätig geblieben ist.

In vielem anderen hingegen bleibt Leytner bei seiner Adaption eng am Roman und den knappen, prägnanten Schilderungen Seethalers, deren Detailgenauigkeit sich auch im Film vermittelt: in einer anfänglichen Gewitterszene etwa, in der sich Franz unter seiner Bettdecke verkriecht, während zeitgleich der reiche Liebhaber seiner Mutter im See ertrinkt; in dem liebevoll zum Leben erweckten Hauptschauplatz der Handlung, der »Trafik«, also der Tabakhandlung, des Kriegsinvaliden Otto Trsnjek.

wahrhaftigkeit Die Erforschung der Kundenwünsche zwischen edlen Zigarren, Zeitungen sowie diskret unterm Ladentisch verkauften Pornoheften wird mit sichtlicher Faszination ausgebreitet. Sie verleiht dem Film einen Kern der Wahrhaftigkeit, von dem aus sich die Handlungsstränge entfalten können.

Hierzu gehört die sich langsam entwickelnde Vertrautheit zwischen dem grimmigen, aber Franz freundlich gesinnten Trsnjek und seinem neuen Gehilfen, der miterlebt, wie die Trafik zur Zielscheibe wird, weil ihr Besitzer jüdische und kommunistische Kunden weiter bedient.

Parallel dazu erlebt der 17-Jährige seine erste Liebe inklusive der Kummererfahrung, dass seine Freundin immer wieder verschwindet und auch mit anderen Männern das Bett teilt. Vor allem jedoch knüpft Franz freundschaftliche Bande zum berühmtesten Kunden der Trafik: der greise Begründer der Psychoanalyse, Sigmund Freud.

coup Der erzählerische Coup, Freud mit beiläufiger Selbstverständlichkeit zu Franz‘ Mentor und Ratgeber in Liebesdingen zu machen, geht im Film durch die kongeniale Besetzung der beiden Rollen glänzend auf: Simon Morze macht das gutherzige Wesen des jungen Mannes deutlich, während Bruno Ganz in seiner letzten Rolle den alten Professor mit erkennbaren Zeichen der körperlichen Schwäche und innerlichen Resignation spielt, der sich mit wohlwollender Neugier mit den Sorgen des jungen Burschen beschäftigt.

Der erzählerische Coup, Freud mit beiläufiger Selbstverständlichkeit zu Franz‘ Mentor und Ratgeber in Liebesdingen zu machen, geht im Film glänzend auf.

Dazu kommt die gleichfalls ausgezeichnete Interpretation von Trsnjek durch Johannes Krisch, sodass der Film auf ein wunderbares Trio im Zentrum bauen kann.

Es sind solche Stärken, durch die sich die Verfilmung über die eher konventionell bleibenden (Kino-)Bilder von der Nazi-Zeit erhebt und die auch einigen schwächeren Elementen aus der Vorlage entgegensteuern. Das betrifft zum Beispiel die eher schlichten Frauenfiguren, was im Film zumindest bei Franz‘ Mutter etwas ausgeglichen wird, indem beim Postkarten-Briefverkehr zwischen Mutter und Sohn auch ihre Perspektive zu sehen ist.

Im weichen Licht, in dem Kameramann Hermann Dunzendorfer die Liebeshandlung in Szene setzt, blitzt mitunter der Gedanke an verkitschte Schönfärberei auf. Doch macht dieser Anflug von Überästhetisierung die unausweichliche Wendung zum Tragischen letztlich eindrücklicher und schockierender.

»Der Trafikant«, Dienstag, 11. August, 22.45–00.30 Uhr, ARD (TV-Erstausstrahlung).

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