Cancel Culture

»Die beste Waffe ist weiterzumachen«

»Ich setze auf Dialog, auf den Austausch von Meinungen«: David Hermlin Foto: Sascha Kommer

Cancel Culture

»Die beste Waffe ist weiterzumachen«

Anti-Israel-Kampagnen führen zunehmend auch zum Cancelling von Künstlern. Der Musiker David Hermlin sagt, er erlebe es gerade in der Swing-Szene. Ein Gespräch über offenen Hass und wie man damit umgeht

von Sophie Albers Ben Chamo  11.09.2025 09:08 Uhr

Herr Hermlin, Sie haben geschildert, dass Sie auf dem Herräng Dance Camp von einer Jam Session ausgeschlossen worden sind. Wie geht es Ihnen heute?
Es bedrückt mich. Ich will doch einfach nur Musik machen. Das ist mein Leben, das, was ich immer machen wollte und weiterhin tun möchte: Swing Musik spielen. Andererseits ich bin auch hoffnungsvoll, weil ich in den sozialen Medien viele positive Kommentare lese und aufmunternde Reaktionen bekomme von Menschen, die mich unterstützen. Das heißt, dass nicht alles verloren ist, dass es trotz allem Menschen gibt, die sehen, dass man Menschen, die einen anderen Hintergrund oder andere politische Meinungen haben, nicht ausgrenzen und boykottieren sollte. Ich würde auch niemanden boykottieren, nur weil er eine Palästinaflagge als Pin trägt oder eine Kufiya.

Was ist genau passiert?
Ich war auf dem Festival, um dort als Musiker aufzutreten. An einem der Tage bin ich zu einem offenen Treffen der Tanzgruppe »Jazz with Palestine« gegangen, die neuerdings auf vielen Swing- und Tanz-Festivals auftaucht. Ich kannte sie nicht und wollte mir deren Ansichten anhören. Denn ich setze auf Dialog, auf den Austausch von Meinungen. Man durfte bei diesem Treffen in einem Zelt Fragen stellen. Es ging um eine Choreografie für ein Gaza-Unterstützungs-Video, das in den sozialen Medien gepostet werden sollte. Und es gab einen Spendenaufruf. Ich habe gefragt, wohin die Spenden gehen.

Wohin denn?
»Zu den Kindern«, hieß es. Auf Nachfrage gaben sie mir den Namen der
Hilfsorganisation. Als Musik für die Tanzvideos war nicht Swing sondern ein arabischer Song ausgesucht worden. Ich kann kein Arabisch und habe gefragt, worum es in dem Lied geht. Das wussten die Teilnehmer des Treffens nicht. »Wir vertrauen dem Choreografen«, haben sie gesagt.

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Wer war in dem Zelt?
Tänzer aus Spanien und Schweden, alles Europäer. Sie mochten offenbar meine Nachfragen nicht. Ich bin dann hinausgegangen und habe mich mit meinem Vater und einem Bandleader unterhalten. Plötzlich kam eine der Festivalorganisatorinnen und sagte, es gäbe Beschwerden über uns, wir würden die Leute einschüchtern. Man bat uns, uns vom Zelt zu entfernen. Wir waren natürlich schockiert, haben der Bitte aber Folge geleistet.
Am nächsten Tag traf ich den Organisator einer Festival-Jamsession, der mich gebeten hatte mitzumachen. Als er fragte, wie es mir gehe, habe ich ehrlich geantwortet, dass sich auf dem Festival eine bestimmte politische Agenda verbreite und andere Meinungen unterdrückt würden. Dabei sollte so ein Festival eigentlich ein »Safe Space« für alle Teilnehmer sein. Ich habe gesagt, dass ich nichts dagegen hätte, wenn über Palästina gesprochen würde, aber dass ich es seltsam fände, dass nur darüber gesprochen würde. Und wenn man Fragen stellte, würde man entfernt. Wir haben respektvoll miteinander diskutiert, wurden währenddessen aber von einigen Tänzern eingekreist.

Weil sie gehört haben, worum es geht?
Ja. Mein Vater stand neben mir, und der wurde plötzlich von einer hoch aggressiven Frau angeschrien. Sie hat mit dem Finger auf ihn gezeigt, ganz dicht vor seinem Gesicht, und immer wieder gebrüllt: »Sag jetzt sofort, dass Gaza ein Genozid ist, du Genozid-Unterstützer!»
Wir sind ruhig geblieben. Eine zweite Frau kam hinzu und wollte wissen, worum es geht. Ich habe ihr gesagt, wir fänden, dass Gespräche von der anderen Seite nicht zugelassen würden. Dabei müsse es doch möglich sein, ruhig miteinander zu reden, denn die Dinge seien nun mal nicht schwarz oder weiß. Daraufhin hat sie mich angeschrien: »Das ist aber schwarz oder weiß. Du bist ein Genozid-Unterstützer.«

Schließlich sagte der Jamsession-Veranstalter, dass es besser sei, wenn ich nicht dabei wäre, weil die Tänzer und Musiker sich in meiner Gegenwart unwohl fühlten. Als ich nachfragte, ob er mich damit ausschließe, wich er aus. Nein, das habe damit nichts zu tun. Aber die Leute würden reden. Für ein längeres Gespräch habe er keine Zeit, ich sei bei der Jam Session nicht dabei, so sei es nun mal.
Und das alles vor den Fotografien von Frankie Manning und Norma Miller, zwei schwarzen Tänzern aus den 30er-Jahren, die aus Ballsälen ausgeschlossen wurden, weil sie schwarz waren. Und hier stand ein weißer Mann vor mir und schloss einen schwarzen Musiker von einem Auftritt aus. 2025 in Schweden?

Wie hat die Festivalleitung reagiert?
Tags darauf gab es ein vom Festival organisiertes Gespräch. Auch mit Jazz for Palestine. Jeder hat jedem zugehört, und am Ende waren wir uns immerhin darin einig, dass das Anschreien von Menschen auf dem Festival inakzeptabel ist und man sachlich miteinander umgehen sollte.
Abends hatten wir einen Auftritt, es waren sehr viele Tänzer da, alle hatten Spaß. Dann aber hat sich plötzlich eine Frau vor die Bühne gestellt mit einem Schild in den Farben der Palästinaflagge, darauf stand Jazz against Apartheid. In der Pause bin ich zur Organisation gegangen und habe gesagt, dass dies eine Provokation sei, die der Intention unseres Gesprächs widerspreche. Die Frau war später nicht mehr da. Ich hoffte, dass sich die Situation beruhigen würde. Inzwischen ist es aber so, dass diese Leute Swingtanz-Festivals anschreiben und behaupten, dass ich Menschen eingeschüchtert hätte. Ich sei ein »Genocide Supporter« und sollte gecancelt werden.

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Wie viele Festivals?
Ich weiß von sechs, weil Musiker mir davon erzählt haben. In Europa hat jedes Land mindestens zwei solcher Festivals, aber die Cancel-Aufrufe gingen sogar bis nach Südkorea. Es gab Instagram-Stories, in denen ich beleidigt wurde von Menschen, die ihrerseits den IS, die Hamas, die Hisbollah und den Iran verherrlichen.
Dann hat mich der Veranstalter des Swingdom Festivals in Utrecht in Holland angerufen. Ich war dort bereits gebucht, und er behauptete, er wolle meine Version der Geschichte hören.
Er meinte, es sei schlimm, was passiert sei, und dass ich unbedingt bei ihm spielen solle. Aber vielleicht könnten wir ein gemeinsames Statement zu Palästina aufsetzen. Er schien sehr eingeschüchtert zu sein von diesen Leuten. Ein paar Tage später wurde mir mitgeteilt, dass ich ausgeladen worden sei. Daraufhin habe ich den Veranstalter angerufen. Er wand sich wie ein Aal und hat mir an Ende allen Ernstes Geld angeboten. Es gäbe ja eine Cancellation-Fee, meinte er. Das war wie ein Schlag ins Gesicht. Als ob ich das alles nur wegen des Geldes mache. Dann meinte er, es sei ein zu großes Risiko, mich spielen zu lassen. Welches Risiko, habe ich gefragt. Frankie Manning habe alles riskiert oder Musiker wie Benny Goodman. Ein Jude, der schwarze Musiker in seine Band geholt hat und deshalb boykottiert wurde. In einer Zeit, wo man das auch mit seinem Leben bezahlen konnte.

Wie hat er reagiert?
Das seien alte Geschichten, die Situation sei jetzt eine andere. Ich sagte ihm, dass wir doch aus der Geschichte lernen müssen! Es gibt eine Gruppe, die anderen ihre Meinung aufzwingen und Menschen, die das hinterfragen, ausschließen will. Wir können das doch nicht zulassen.

Er meinte, die Lage werde sich beruhigen, und dann könne er mich wieder einladen. Aber das wird sich nicht beruhigen! Es wird schlimmer. Meine Ausladung wird als Triumph gesehen und als Ansporn, es überall auf die gleiche Weise zu versuchen. Jedenfalls habe ich es nun schriftlich, dass ich gecancelt bin. Andere Festivals haben auch schon darum gebeten, mich aus der Band auszuschließen.

Wie gehen Sie damit um?
Die beste Waffe ist, weiterzumachen. Am Ende eines jeden Konzerts sage ich immer »Don’t forget – keep swinging«. Daran muss auch ich mich halten. Die Menschen in Deutschland, in Europa müssen endlich erkennen, dass die Lage sehr ernst und gefährlich ist. Wir dürfen nicht zulassen, dass Künstler ausgeschlossen oder boykottiert werden. Musik soll verbinden, nicht spalten. Es gibt Leute, die wollen das zerstören.

David Hermlin ist 25 Jahre alt und als Sänger und Schlagzeuger tätig, unter anderem im Swing Dance Orchestra seines Vaters Andrej Hermlin.
Das Interview führte Sophie Albers Ben Chamo.

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