Medien

Wie geht’s Deutschland?

Paul Ronzheimer Foto: picture alliance / SvenSimon

Es gibt ein neues TV-Genre in Deutschland. Kein Sommermärchen, aber auch kein Wintermärchen a la Heine. Es ist vielmehr ein Schauermärchen, das öffentlich-rechtliche wie private Sender verstärkt ins Programm holen. Es geht um die politische Lage in Deutschland - vor allem im Osten - und darum, wie es dazu kommen konnte.

Dass diese Frage erst jetzt intensiv gestellt wird, steht für ein Versäumnis. Und zeigt auch, dass es keine einfachen Lösungen gibt. Das belegt auch der jüngste Beitrag zur Reihe. Für Sat.1 fragt »Bild«-Reporter Paul Ronzheimer »Wie geht’s, Deutschland?«. Thema der ersten Ausgabe am Montag war der Rechtsruck.

Ronzheimer ist Ronzheimer, also mittendrin. Und gut. Er kann mit Menschen reden, sie »aufschließen«, und umso mulmiger wird ihm jetzt, weil es so oft nicht gelingt. Dafür erfährt auch er, der Promi, blanke Ablehnung bis hin zu offenem Hass. Nicht etwa, weil seine Gegenüber etwas an der »Bild«-Zeitung und ihrem Boulevardjournalismus auszusetzen hätten. Sondern ganz grundsätzlich an den Medien. Für die wird ihm stellvertretend die gerechte »Strafe« angedroht, und die heißt in aller Deutlichkeit »Baum und Strick«.

Immer provozieren

Ronzheimer war viel in Thüringen unterwegs, hatte sich zwischenzeitlich in einen Plattenbau in Greiz eingemietet, um wirklich dabei und nicht nur mal vorbeigekommen zu sein. Das sorgt für viele Spontankontakte, von denen sich die meisten auch sorgen um das, was da kommt.

Dagegen steht das organisierte, meist AfD-nahe »Eastablishment« mit seinen regelmäßigen Demonstrationen, Festen und Versammlungen. Und mit festen Meinungen wie »Die Wirtschaft ist kaputt, die kaum sichtbaren Menschen ausländischer Herkunft schnüren Deutschlands Kehle zu, und die Ampel ist sowieso an allem Schuld.« Dazu kommt ein gefestigtes Bewusstsein, »über Jahre manipuliert« worden zu sein, natürlich von den Medien, in erster Linie von den Öffentlich-Rechtlichen.

Bilder der Machtlosigkeit

Und wenn die Wahrnehmung da ist, geht es umgekehrt los. Beim Sommerfest der Greizer AfD, zu dem auch Björn Höcke anreist, beißt sich Ronzheimer die Zähne aus am von den Fans so verehrten Mann aus dem Westen. Der ignoriert Ronzheimers immer wieder gestellte Frage nach seiner Einordnung als »gesichert rechtsextrem« gleich mehrfach und grantelt irgendwann doch: »Legen Sie mal ’ne andere Kassette ein, junger Mann«.

Lesen Sie auch

Ronzheimer lässt nicht locker, gerät beinahe mit dem »Sicherheitspersonal« aneinander und entlockt dem Spitzenkandidaten dann doch noch ein »Das ist mir völlig egal, weil ich der friedliebendste Mensch auf der Welt bin.«

Das ist vordergründig zwar nicht wirklich erkenntnisfördernd, zeigt auf der zweiten Ebene aber ziemlich gut, wie Höcke und das System funktionieren. Bis hin zum Ausschluss aller Medien von der Wahlparty nach dem Sieg am 1. September, bei der auch Ronzheimer nur draußen vor der Tür steht. Ein »Bild« der Machtlosigkeit.

Dass sich der Kriegs- und Krisenreporter nicht nur im Osten tummelt, sondern auch den Westen - genauer: seine ostfriesische Heimat - besucht, gehört zu den Stärken der Folge. Vor allem, weil hier die Erkenntnis wächst: In Südbrokmerland ist die AfD eigentlich gar nicht da, jedenfalls nicht öffentlich, es gibt weder Strukturen noch Direktkandidaten. Und doch kommt die Partei bei den Europawahlen in der Nachbargemeinde auf 25 Prozent. »Wenn’s hier passiert, kann es überall passieren«, sagt Ronzheimer.

Beachtlich abgeliefert

Dagegen ist die Diskussion im südthüringischen Meiningen über den Krieg in der Ukraine, wo Ronzheimer Gegner und Befürworter von Waffenlieferungen an einen Tisch bringt, ein bisschen kurz und vermutlich unergiebiger gelaufen als geplant. Daran kann auch Überraschungsgast Vladimir Klitschko nichts ändern.

Der aber am Abend vorher Bedenkenswertes über die so unterschiedliche Haltung von Ost- und Westdeutschland zum Krieg und zur Haltung gegenüber Russland sagt: Es sei die Präsenz russischer Medien im Osten, und die Vergangenheit mit den gemischten Gefühlen zur »Riesenmacht«, von der manche vielleicht wieder ein Teil sein wollten, sagt Klitschko: »Sie identifizieren sich damit und schauen leider nicht auf die Realität.

Mit seinem Beitrag zum Schauermärchen hat Sat.1 dank Ronzheimer Beachtliches abgeliefert. Und findet zum Schluss auch noch den Weg hinaus: Wenn 30 Prozent in Thüringen und Sachsen die AfD gewählt haben, bedeute das ja auch immerhin, »dass 70 Prozent sie nicht gewählt haben«.

»Wie geht’s Deutschland? - Rechtsruck«, Sat.1, 09.09.2024, 20.15 Uhr.

Medien

Leon de Winter wird Kolumnist bei der »Welt«

Bekannt wurde er vor mehr als 30 Jahren mit Romanen wie »Hoffmanns Hunger«. Jetzt will der niederländische Autor Leon de Winter in Deutschland vermehrt als Kolumnist von sich hören lassen

von Christoph Driessen  29.04.2025

Fernsehen

»Persischstunden«: Wie eine erfundene Sprache einen Juden rettet

Das Drama auf Arte erzählt von einem jüdischen Belgier, der im KZ als angeblicher Perser einen SS-Mann in Farsi unterrichten soll. Dabei kann er die Sprache gar nicht

von Michael Ranze  29.04.2025

Fernsehen

»Mord auf dem Inka-Pfad«: War der israelische Ehemann der Täter?

Es ist einer der ungewöhnlichsten Fälle der deutschen Kriminalgeschichte. Die ARD packt das Geschehen in einen sehenswerten True-Crime-Vierteiler

von Ute Wessels  29.04.2025

Berlin

Antisemitismusbeauftragter für alle Hochschulen soll kommen

Details würden derzeit noch im Senat besprochen, sagte Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra

 29.04.2025

Jerusalem

Seltenes antikes Steinkapitell wird in Israel ausgestellt

Ein Fund aus dem Jahr 2020 gibt israelischen Archäologen Rätsel auf. Die Besonderheit des Steinkapitells aus römischer Zeit: Es ist mit einem mehrarmigen Leuchter - im Judentum Menorah genannt - verziert

 29.04.2025

Berlin

Jüdisches Museum erforscht Audio-Archiv von »Shoah«-Regisseur

Claude Lanzmann hat mit seiner epochalen Dokumentation »Shoah« Geschichte geschrieben. Das Jüdische Museum Berlin nimmt ein Doppeljubiläum zum Anlass, um das umfangreiche Recherchematerial des Regisseurs zu erschließen

von Alexander Riedel  29.04.2025

Köln

»Charlie Hebdo«-Überlebender stellt Comic zu NS-Raubkunst vor

»Zwei Halbakte« heißt ein 1919 entstandenes Gemälde von Otto Mueller. Die Geschichte des Kunstwerks hat der französische Zeichner Luz als Graphic Novel aufgearbeitet. Mit teils sehr persönlichen Zugängen

von Joachim Heinz  28.04.2025

Berlin

»Eine Zierde der Stadt«

Es ist einer der wichtigsten Orte jüdischen Lebens in Deutschland: Vor 30 Jahren wurde das Centrum Judaicum im denkmalgeschützten Gebäude der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße in Berlin-Mitte eingeweiht

 28.04.2025

Paris

»Bambi«-Neuverfilmung: Nah an Felix Saltens Original

Ganz ohne Spezialeffekte und Animation: In Michel Fesslers »Bambi«-Neuauflage stehen echte Tiere vor der Kamera. Das Buch wurde einst von den Nazis verboten

von Sabine Glaubitz  28.04.2025