Heidelberg

Der Schritt aus dem Schatten

Synagoge Bielefeld Foto: imago

Eine Synagoge? Auf den ersten Blick erinnerte das kantige Gebäude im Bauhaus-Stil eher an eine Fabrik oder ein Lagerhaus. Nur der unscheinbare Davidstern ganz oben in der Wand verriet, was wirklich hinter den Mauern steckte. Das jüdische Gotteshaus im sächsischen Plauen, gebaut in den 1920er-Jahren und 1938 in der »Reichskristallnacht« zerstört, ist kein Einzelfall: Lange wurde beim Synagogenbau auf architektonische Zurückhaltung geachtet, erklärte Professor Johannes Heil, Rektor der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg (HfJS).

Sein Vortrag über die »Positionierung von Synagogen im städtischen Raum« war Teil eines Kolloquiums zum Thema »Sakrale Räume«, bei dem insgesamt elf Wissenschaftler aus Heidelberg, Erfurt, Berlin, Bonn und Marburg ihre Forschungsergebnisse vorstellten. Die Hochschule veranstaltete es zu Ehren Salomon Korns, der nicht nur Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde in Frankfurt am Main und Vizepräsent des Zentralrats der Juden ist, sondern auch selbst Architektur studiert hat und im vergangenen Jahr seinen 70. Geburtstag beging.

Und obwohl die Menschen draußen mit Eis in den Händen in der Sonne spazierten, war der »Hörsaal Hannah Arendt« am Sonntag gut gefüllt. Die Themen der Vorträge reichen von »Jechesqels Vision vom neuen Tempel« über »Die Alte Synagoge Erfurt und ihre Stellung in der städtischen Topographie im Mittelalter und heute« bis zu »Erich Mendelsohns amerikanische Synagogenbauten«.

Bescheidenheit 1860 wurde die Hauptsynagoge in Frankfurt fertiggestellt. »Sie war ein völlig in sich gekehrtes Gebäude«, sagte Heil. »Diese Bescheidenheit nach außen war kennzeichnend für die Synagogen in den Dörfern und Städten der Vormoderne.« Ähnlich war die Situation im Berlin des Kaiserreichs. »Der Berliner Himmel war von Kirchtürmen geprägt«, so Heil. Und diese Türme krönten nicht nur protestantische, sondern teils auch katholische Gotteshäuser – obwohl Berlin »die Hauptstadt des Kulturkampfes« war, den Reichskanzler Otto von Bismarck gegen die Katholiken ausgerufen hatte.

Synagogen wurden dagegen nicht in den großen Alleen gebaut, ihr Baustil blieb schlicht, und das änderte sich auch in den Jahren nach dem Holocaust zunächst nicht: Selbst die stattliche Synagoge in Düsseldorf wäre viel kleiner ausgefallen, hätte sich nicht Bundeskanzler Konrad Adenauer »aus außenpolitischen Gründen« für sie eingesetzt.

Der Wandel kam erst in den 80er-Jahren – eine für Juden ambivalente Zeit, betonte Heil: Einerseits debattierte die deutsche Öffentlichkeit im Historikerstreit kontrovers den Holocaust, andererseits wurde in Frankfurt das Jüdische Museum eröffnet, und Bundespräsident Richard von Weizsäcker erklärte den 8. Mai 1945 zum »Tag der Befreiung«. Seitdem hätten Synagogen wie etwa die in Mannheim ein »markanteres Auftreten« an den Tag gelegt, auch durch die Verwendung jüdischer Symbole wie Gesetzestafeln oder der Menora. »Sie erheben so den Anspruch, Teil der Gesellschaft zu sein«, erklärte Heil.

Rückbesinnung Doch wann hört ein Gotteshaus auf, eines zu sein? Was mit ausrangierten Kirchen geschieht, darüber sprach Professor Albert Gerhards von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn. Die Kirchenweihe, einst einer der stärksten katholischen Riten und eigentlich unbefristet, habe zwar bis zum 20. Jahrhundert an Wichtigkeit verloren. Zuletzt hat er aber eine »neue Wertschätzung des Kirchenraums« festgestellt – und die sei auch eine »Rückbesinnung auf die Synagoge als Haus der Versammlung, der Lehre und des Gebets«.

Schon zweimal seien Kirchen sogar zu Synagogen umgewandelt worden, so Gerhards: Das »Beit Tikwa« in Bielefeld entstand 2008 aus der Paul-Gerhardt-Kirche, das »Beith-Schalom« in Speyer drei Jahre später aus einer katholischen Stiftskirche. Allerdings »nicht ohne Konflikte« – in Bielefeld besetzte gar eine Bürgerinitiative das Gotteshaus. »Das richtete sich aber gegen eine Enteignung von oben durch die Kirche, nicht gegen eine jüdische Nutzung«, betonte Gerhards. Aus christlicher Sicht sei nichts gegen eine solche Umwandlung einzuwenden, ganz im Gegenteil: Sie zeige »die Affinität der Kirche zur Synagoge« – und sei deshalb keineswegs eine Notlösung, sondern »Kontinuität durch Wandel«.

»Jay Kelly«

In seichten Gewässern

Die neue Tragikomödie von Noah Baumbach startet fulminant, verliert sich dann aber in Sentimentalitäten und Klischees

von Patrick Heidmann  20.11.2025

Nazivergangenheit

Keine Ehrenmedaille für Rühmann und Riefenstahl

»NS-belastet« oder »NS-konform« – das trifft laut einer Studie auf 14 Persönlichkeiten der Filmbranche zu. Ihnen wird rückwirkend eine Auszeichnung aberkannt, die die Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO) zukünftig nicht mehr vergeben will

von Niklas Hesselmann  20.11.2025

TV-Tipp

Sie ging über Leichen: Doku »Riefenstahl« zeigt eine überzeugte Nationalsozialistin

Das Erste zeigt Andres Veiels vielschichtigen Dokumentarfilm über Leben und Wirken von Hitlers Lieblingsregisseurin Leni Riefenstahl. Der Film geht auch der Frage nach, wie ihre Filme bis in die Gegenwart ausstrahlen

von Jens Hinrichsen  20.11.2025

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 20. November bis zum 27. November

 20.11.2025

»Lolita lesen in Teheran«

Klub der mutigen Frauen

Der Israeli Eran Riklis verfilmt die Erinnerungen der iranischen Schriftstellerin Azar Nafisi an geheime Literaturtreffen in Teheran – mit einem großartigen Ensemble

von Ayala Goldmann  20.11.2025

Ausstellung

Sprayende Bildhauerin mit Geometrie

Das Museum Wiesbaden zeigt Werke Louise Nevelsons und eines Künstlerpaares

von Katharina Cichosch  20.11.2025

Holzstörche zur Geburt in Niederösterreich. Noch immer werden neben den klassischen Namen viele biblische Namen den Kindern gegeben.

Statistik

Diese hebräischen Vornamen in Österreich sind am beliebtesten

Österreichische Eltern wählen gern Klassiker. Unter den Top Ten sind auch viele Namen biblischen Ursprungs

von Nicole Dreyfus  19.11.2025

Magdeburg

Telemann-Preis 2026 für Kölner Dirigenten Willens

Mit der Auszeichnung würdigt die Landeshauptstadt den eindrucksvollen Umgang des jüdischen Dirigenten mit dem künstlerischen Werk Telemanns

 19.11.2025

Sachsen-Anhalt

Judenfeindliche Skulptur in Calbe künstlerisch eingefriedet

Die Kunstinstallation überdeckt die Schmähfigur nicht komplett. Damit soll die Einfriedung auch symbolisch dafür stehen, die Geschichte und den immer wieder aufbrechenden Antisemitismus nicht zu leugnen

 19.11.2025