Glosse

Der Rest der Welt

Gemütlichkeit! Foto: Nicole Dreyfus

Glosse

Der Rest der Welt

Herbstkaffee – und auf einmal ist alles so »ejn baʼaja«

von Nicole Dreyfus  02.11.2025 11:57 Uhr

Wie oft musste ich schon ein erstauntes »Oh!« oder gar ein naserümpfendes »Wie kannst du nur?« über mich ergehen lassen, wenn ich meinem Umfeld erzählt habe, dass ich frühmorgens meinen israelischen Instant-Kaffee trinke. Ja, genau dieser von »Elite« aus der roten Dose mit den braunen Kaffeebohnen darauf. Der Kaffee, der mir auch in der allergrößten Hitze von meiner Familie in Israel serviert wird, in einem durchsichtigen Teeglas wohlgemerkt, und der in mir selbst im tiefsten Alltag einen Hauch von »ejn baʼaja« (»kein Problem«) aufsteigen lässt. Der Bruchteil eines Moments, wo die Welt in Ordnung zu sein scheint, bevor die ersten Meldungen des Tages über die Newsportale reingespült werden.

Die vergangenen zwei Jahre waren alles andere als »ejn baʼaja«, weder für die Menschen in Israel noch für die jüdische Gemeinschaft in der Diaspora. Kaffeetrinken half da kaum mehr. Immer wieder der Gedanke an die Geiseln und das Wissen da-rum, dass viele Familien nie mehr komplett sein werden. Und doch änderte sich etwas am 13. Oktober. Es kam Hoffnung auf – und mit ihr die Freude.

Diese Leichtigkeit fühlend, empfinde ich diesen Herbst als doppelt schön.

Eine Freude, an die kaum mehr jemand zu glauben wagte und die so lange geschlummert hatte, arbeitete sich Schicht für Schicht hervor, bis sie sich schließlich bei vielen Menschen in Gänsehaut, Tränen und Umarmungen äußerte. Selbst wenn es nur ein Moment des Glücks war, der sich ausbreitete, weil von einem richtigen Frieden nicht die Rede sein kann, weil sich der 7. Oktober vom Massaker in ein kollektives Trauma mit Langzeitfolgen verwandelt hat, weil sich die Situation für Jüdinnen und Juden auf der Welt auch durch die Rückkehr der Geiseln nicht verändert hat – ich spürte eine Leichtigkeit. In einer ungeahnten Form, sehr wackelig und undefinierbar, und sie dauert irgendwie noch an.

Diese Leichtigkeit fühlend, empfinde ich diesen Herbst als doppelt schön. Auch wenn jedes Jahr die Bäume in ihrem goldenen Herbstkleid um die Wette strahlen, auch wenn jedes Jahr die ersten kalten Tage kaum zum Aushalten sind – dieses Jahr ist es irgendwie anders. Nein, es ist nicht die langersehnte Kürbissuppe, deren Überdosis man im November schon erleidet. Es ist auch nicht der Nebel, der sich vordergründig poetisch gibt, um sich dann nur hässlich über die Stadt zu legen. Und am wenigsten ist es das Zwölfstundengrau, das niemand in den Sommermonaten vermisst hat.

In diesem Herbst lautetet das Motto: No filter needed

Es ist vielmehr dieser zögerliche Neuanfang, der vielleicht gar etwas illusorisch ist, gemessen an den anhaltenden Negativschlagzeilen, und der nun schüchtern hervorlugt. Gerade dieser Herbst hilft mit, prompt jene Jahreszeit, für die es natürlich tausend Gründe gibt, sie zu lieben oder zu verabscheuen, diese neue Leichtigkeit – oder nennen wir sie lieber Behaglichkeit – wohlwollend einzurahmen, vielleicht sogar zu befestigen.

Der vergangene Sonntag war einer dieser Tage, an dem das Licht die allerschönsten Bilder hervorbrachte – no filter needed. Wir trafen uns draußen mit Freunden. Während die Kinder herumrannten und spielten, tranken wir Kaffee aus der Thermoskanne. Es war der beste Kaffee seit Langem, es war aufgebrühter Instant-Kaffee von »Elite« – und irgendwie war alles »ejn baʼaja«.

Musik

Louis-Lewandowski-Festival hat begonnen

Der Komponist Louis Lewandowski hat im 19. Jahrhundert die jüdische Synagogenmusik reformiert. Daran erinnert bis Sonntag auch dieses Jahr ein kleines Festival

 18.12.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Bettina Piper, Imanuel Marcus  18.12.2025

Ausstellung

Pigmente und Weltbilder

Mit »Schwarze Juden, Weiße Juden« stellt das Jüdische Museum Wien rassistische und antirassistische Stereotype gleichermaßen infrage

von Tobias Kühn  18.12.2025

Kulturkolumne

Vom Nova-Festival zum Bondi Beach

Warum ich keine Gewaltszenen auf Instagram teile, sondern Posts von israelischen Künstlern oder Illustratorinnen

von Laura Cazés  18.12.2025

Neuerscheinung

Mit Emre und Marie Chanukka feiern

Ein Pixi-Buch erzählt von einem jüdischen Jungen, der durch religiöse Feiertage Verständnis und Offenheit lernt

von Nicole Dreyfus  18.12.2025

Zahl der Woche

1437

Funfacts & Wissenswertes

 18.12.2025

Revision

Melanie Müller wehrt sich gegen Urteil zu Hitlergruß

Melanie Müller steht erneut vor Gericht: Die Schlagersängerin wehrt sich gegen das Urteil wegen Zeigens des Hitlergrußes und Drogenbesitzes. Was bisher bekannt ist

 18.12.2025

Gastbeitrag

Liebe Kolleginnen und Kollegen, warum schweigt ihr?

Jan Grabowski fragt die deutschen Historiker, warum sie es unwidersprochen stehen lassen, wenn ein Holocaust-Experte für seine Forschungsarbeit diskreditiert wird

von Jan Grabowski  18.12.2025

Los Angeles

Rob und Michele Reiner: Todesursache steht fest

Ihre multiplen Verletzungen seien durch Gewalteinwirkung entstanden, so die Gerichtsmedizin

 18.12.2025