Glosse

Der Rest der Welt

Mal abgesehen vom ersten Abend mit Apfel und Honig ist Taschlich der beste Moment von Rosch Haschana. Foto: Flash 90

Mal abgesehen vom ersten Abend mit Apfel und Honig ist Taschlich der beste Moment von Rosch Haschana. Das Allerbeste daran: die Idiotien des vergangenen Jahres ins Wasser zu werfen. Das passiert zum Glück draußen und nicht in einer stickigen Synagoge. Diesmal habe ich leider keine perfekte Ausrede, die langen Feiertagsgottesdienste zu schwänzen – denn der Familienbesuch aus Israel fällt ausnahmsweise aus.

Mein Onkel aus Rechowot hat mich vor ein paar Jahren in der Oranienburger Straße total blamiert. Als Israeli geht er zwar nie in die Synagoge, aber der Gottesdienst, in den er nicht geht, muss orthodox sein. »Was soll das – Frauen mit Kippa?«, fragte er in einer Gebetspause, zwar auf Hebräisch, aber ziemlich laut.

kippa »Scheket, sei ruhig, du hast keine Ahnung«, zischte ich und fragte ihn: »Warum soll eine Frau keine Kippa tragen, wenn sie es möchte?« »Weil es bescheuert aussieht«, trompetete der Onkel. Schon drehten sich die ersten Beterinnen empört um. Um meinen Onkel zu ärgern, setzte ich mir sofort auch eine bunte Kippa auf.

Als Israeli geht mein Onkel zwar nie in die Synagoge, aber der Gottesdienst, in den er nicht geht, muss orthodox sein.

Der Onkel bleibt dieses Jahr in Israel, aber die Gottesdienste sind mir trotzdem zu lang. Was denkt sich die Rabbinerin nur dabei? Aber den Taschlich an der Spree lasse ich mir nicht entgehen. Samt Brotkrümeln werde ich alles ins Wasser werfen, was mich dieses Jahr genervt hat. Für das Jahr 5784 habe ich – weil die Welt gerade noch mehr Kopf steht als sonst – nur einen einzigen Wunsch: Der Sommerurlaub möge nicht schlimmer werden als 5783, als mein Sohn gleich nach der Ankunft in Österreich sein iPhone schrottete.

»Willkommen in den analogen Ferien!«, rief ich begeistert. Was das bedeuten würde, habe ich allerdings unterschätzt. Der Sohn schlief bis 14 Uhr und wurde von Tag zu Tag wortkarger. Unternehmen wollte er nichts. Nach einer Woche Wandern ohne Sohn setzte ich auf eine Wende: Für einen Ausflug an einen See liehen wir uns tolle neue Fahrräder.

SELFIE Die Bremsen waren auch neu, der Radweg voller Mountainbiker, die uns in einer Horde entgegenkamen. Ich erschrak und drückte auf die Bremse. Dann lag ich irgendwo zwischen Bichlbach und Heiterwanger See mit gebrochener Schulter im Graben. Der Einzige, der cool blieb, war mein Sohn: Er schnappte sich das Handy seines Vaters und drehte ein Selfie mit Zicklein, die neben dem Graben weideten (»Süß!«). Nach diesen Ferien war ich urlaubsreifer als vorher.

Möge mein israelischer Onkel zur Vernunft kommen – und außer ihm noch ein paar andere Leute in der einzigen Demokratie des Nahen Ostens.

Meinen ganzen Frust schreibe ich jetzt auf einen Zettel, den ich am Sonntag in die Spree werfe. Die Oranienburger Straße ist zwar nicht die Kotel, aber wenn man etwas wegwirft, bekommt man vielleicht etwas Neues dafür. Tausche Stress gegen Erholung! Tausche alte Welt gegen neue!

Und dann habe ich noch einen ganz wichtigen, hoffentlich nicht unerfüllbaren Wunsch für 5784: kein »Jom Hadin« ohne Oberstes Gericht. Möge mein israelischer Onkel zur Vernunft kommen – und außer ihm noch ein paar andere Leute in der einzigen Demokratie des Nahen Ostens.

Andrea Kiewel

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