Finale

Der Rest der Welt

In der Schweiz schreibe ich einen bösen Brief, wenn die Straßenbahn drei Minuten Verspätung hat. Drei Stunden Warten, das übersteigt einfach meine Kräfte. Foto: Flash90

Nach 20 Jahren Pause war ich wieder im Heiligen Land. Im Lande Israel, wo Gottes Atem überall fühlbar ist. Man spürt diese Heiligkeit bereits bei der Ankunft am Flughafen Ben Gurion. Eine riesige Mesusa, die ein Stück Pergament der Tora enthält, ist vor dem Eingang zur Passkontrolle angebracht. Ich berührte sie zitternd und führte den Finger zum Mund.

Ab diesem Moment war Gottes Heiligkeit verschwunden, oder sagen wir: Ich habe sie nicht mehr gespürt. Vor der Passkontrolle bildete sich eine Schlange, wie ich sie nur aus Berichten über die DDR kannte. Die Menschenschlange war so lang, dass sie sich im ganzen Raum mehrfach um ihre eigene Achse wickelte. Etwa 1000 Menschen. Vielleicht übertreibe ich ein bisschen. Von den 30 Kabinen waren vielleicht drei geöffnet. Jetzt übertreibe ich nicht.

Wartende Überall hingen Plakate mit der Aufschrift: »Bruchim Haba’im« – Gesegnet seien die Heimkehrenden. Eigentlich hätte da stehen müssen: »Gesegnet seien die Wartenden« oder »Gesegnet sei die Menschenschlange«.

Nach zwei Stunden waren wir an der Reihe. Eine gelangweilte Angestellte guckte das Foto in meinem Pass an. Dann durften wir das Heilige Land betreten. Doch zuerst mussten wir auf das Gepäck warten.
Theoretisch hätte das Flughafenpersonal zwei Stunden Zeit gehabt, das Gepäck auf die Förderbänder zu werfen. Vielleicht mussten aber auch sie zuerst durch die Passkontrolle. Auf jeden Fall warteten wir wieder eine Stunde.

Brief Ich bin dann irgendwann ausgeflippt. In der Schweiz schreibe ich einen bösen Brief, wenn die Straßenbahn drei Minuten Verspätung hat. Drei Stunden Warten, das übersteigt einfach meine Kräfte. Leider. Ich ging dann zu einer Frau in Uniform. Was ich von ihr genau wollte, weiß ich nicht mehr.

Sie schien Schweizer gut zu kennen. Noch bevor ich richtig Luft holen konnte, zeigte sie mir, wo der »Supervisor« sein Büro hat. Es befand sich hinter der Passkontrolle. Ich hätte also im Anschluss nochmals zwei Stunden anstehen müssen. Meine Beine zitterten.

Ich fügte mich meinem Schicksal. Wir gingen nach draußen und atmeten zum ersten Mal israelische Luft ein. Ich schloss die Augen und kämpfte mit den Tränen.

Dann mussten wir nur noch eine Stunde beim Autoverleih warten – bis man uns das falsche Auto zeigte. Es war zu klein für fünf Personen. Also nochmals eine Stunde warten.

Mir kamen die Israeliten in den Sinn, die 40 Jahre lang in der Wüste herumirrten. Am Ende durften sie dann doch nicht ins Heilige Land. Ich denke, das war eine gute Entscheidung. Die wären noch mehr ausgeflippt vor Wut.

TV-Tipp

Ein äußerst untypischer Oligarch: Arte-Doku zeigt Lebensweg des Telegram-Gründers Pawel Durow

Der Dokumentarfilm »Telegram - Das dunkle Imperium von Pawel Durow« erzählt auf Arte und in der ARD-Mediathek die Geschichte der schwer fassbaren Messengerdienst-Plattform-Mischung und ihres Gründers Pawel Durow

von Christian Bartels  24.11.2025

Nachruf

Das unvergessliche Gesicht des Udo Kier

Er ritt im Weltall auf einem T-Rex, spielte für Warhol Dracula und prägte mit einem einzigen Blick ganze Filme. Udo Kier, Meister der Nebenrolle und Arthouse-Legende, ist tot. In seinem letzten Film, dem Thriller »The Secret Agent«, verkörpert er einen deutschen Juden

von Christina Tscharnke, Lisa Forster  24.11.2025

TV-Kritik

Viel Krawall und wenig Erkenntnis: Jan Fleischhauer moderiert im ZDF den Kurzzeitknast der Meinungen

Mit »Keine Talkshow - Eingesperrt mit Jan Fleischhauer« setzt das ZDF auf Clash-TV: ein klaustrophobisches Studio, schnelle Schnitte, Big-Brother-Momente und kontroverse Gäste - viel Krawall, wenig Erkenntnis

von Steffen Grimberg  24.11.2025

Holzstörche zur Geburt in Niederösterreich. Noch immer werden neben den klassischen Namen viele biblische Namen den Kindern gegeben.

Statistik

Diese hebräischen Vornamen in Österreich sind am beliebtesten

Österreichische Eltern wählen gern Klassiker. Unter den Top Ten sind auch viele Namen biblischen Ursprungs

von Nicole Dreyfus  24.11.2025

Nürnberg

»Tribunal 45«: Ein interaktives Spiel über die Nürnberger Prozesse

Darf man die Nürnberger Prozesse als Computerspiel aufarbeiten? Dieses Spiel lässt User in die Rolle der französischen Juristin Aline Chalufour schlüpfen und bietet eine neue Perspektive auf die Geschichte

von Steffen Grimberg  24.11.2025

Sderot

Zweitägiges iranisches Filmfestival beginnt in Israel

Trotz politischer Spannungen will das Event einen Dialog zwischen Israelis und Iranern anstoßen

von Sara Lemel  24.11.2025

Genetik

Liegt es in der Familie?

Eierstockkrebs ist schwer zu erkennen. Warum ein Blick auf den Stammbaum nützen kann

von Nicole Dreyfus  23.11.2025

Hebraica

»Was für ein Buchschatz!«

Stefan Wimmer über die Münchner Handschrift des Babylonischen Talmuds als UNESCO-Weltkulturerbe

von Ayala Goldmann  23.11.2025

Aufgegabelt

Linsenpfannkuchen von König David

Rezept der Woche

von Jalil Dabit, Oz Ben David  22.11.2025