Finale

Der Rest der Welt

In unserer Synagoge befindet sich ein chassidischer Kollel. Junge Männer, im Alter von etwa 20 bis 30 Jahren, lernen dort den ganzen Tag den Talmud und den Schulchan Aruch. Bezahlt werden sie von reichen Gönnern. Manchmal, wenn ich mir über Mittag einen Gratiskaffee in der Synagoge zubereite, begegne ich ihnen. Sie stehen dann auch in der kleinen Küche herum und schlürfen heißen Tee oder eben Kaffee. Richtig anstrengend sieht ihr Leben nicht aus.

Sie singen während der Zubereitung ihres heißen Getränks und nesteln an ihren Schläfenlocken herum. Manchmal befinden sich fünf Rabbiner in der engen Küche, und jeder gibt laut sein eigenes Liedchen zum Besten. Fasziniert stehe ich neben ihnen und versuche auch etwas zu singen. Zwar ist mir das ein bisschen fremd, beim Kaffeetrinken zu singen, aber ich habe es zu meinem Lebensmotto gemacht, nur ja nie aufzufallen. Also singe ich »Im Frühtau zu Berge …«.

Buchhalter Zuweilen beneide ich die Chassidim. Dieses Ekstatische, das fehlt mir völlig. Wann bin ich so leidenschaftlich wie die beim Kaffeetrinken? Als ich vor über 20 Jahren in der Jeschiwa lernte, kam ich mir am Schabbat-Tisch immer wie ein schweizerischer Buchhalter vor. Während ich die heiße Hühnersuppe auslöffelte, tanzten die chassidischen Jugendlichen um mich herum und sangen inbrünstig ihre Lieder. Das konnte ziemlich nerven. Heute bereue ich es, dass ich nie mitgetanzt habe. Und zwar immer dann, wenn ich zu einer jüdischen Hochzeit eingeladen bin und das Signal zum Tanzen ertönt.

Missmutig stehe ich dann auf und versuche, Schritt zu halten. Nach fünf Minuten gehe ich wieder runter von der Tanzbühne und schaue dem Treiben zu. Es sieht auf den ersten Blick ziemlich schwul aus, wie 100 Männer eng miteinander tanzen. Aber erstens ist das ein böses Wort und zweitens eine Schutzbehauptung von mir, und drittens bin ich einfach nur neidisch auf die Chassidim, die bei jedem Quatsch zum Rabbiner rennen. Ich muss das immer bei meiner Frau machen.

X-Box Darf ich heute Abend mit einem Kollegen ein Bier trinken? Darf ich mir die neue X-Box kaufen? Wie gerne würde ich da lieber den Rabbi fragen als meine Frau.

Doch in der letzten Woche vom alten Jahr habe ich mich dann wieder gefreut. Das Kollel hat liegen gelassene Kleider entsorgt. Chassidische Hüte, Mäntel und so weiter, die zu lange am Haken hingen und nicht abgenommen wurden. In großen Kisten lagen die Köstlichkeiten zur freien Verfügung da. Ich habe mich eingedeckt mit einem Hut aus Hasenfell, einem langen Schabbatrock und zwei chassidischen Gürtel.

Bevor ich das alles auf eBay stelle, laufe ich zu Hause so rum. Das Kleinkind weint zwar bei meinem Anblick, und die Frau ekelt’s vor dem staubigen Hut. Das interessiert mich aber nicht die Bohne. Das Jahr 2013 ist das Jahr des chassidischen Drachens.

TV-Kritik

Politisierende Ermittlungen

In »Schattenmord: Unter Feinden« muss eine arabisch-stämmige Polizistin den Mord an einem jüdischen Juristen aufklären

von Marco Krefting  02.12.2025

Meinung

Gratulation!

Warum die Ehrung der ARD-Israelkorrespondentin Sophie von der Tann mit dem renommierten Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis nicht nur grundfalsch, sondern auch aberwitzig ist

von Lorenz Beckhardt  01.12.2025 Aktualisiert

Kommentar

Schiedsgerichte sind nur ein erster Schritt

Am 1. Dezember startet die Schiedsgerichtsbarkeit NS-Raubkunst. Doch es braucht eine gesetzliche Regelung auch für Werke in Privatbesitz, meint unser Gastautor

von Rüdiger Mahlo  01.12.2025

Rache

»Trigger-Thema« für Juden

Ein Filmseminar der Jüdischen Akademie untersuchte das Thema Vergeltung als kulturelle Inszenierung

von Raquel Erdtmann  01.12.2025

Wuppertal

Schmidt-Rottluff-Gemälde bleibt in Von der Heydt-Museum

»Zwei Frauen (Frauen im Grünen)« von Karl Schmidt-Rottluff kann im Von der Heydt Museum in Wuppertal bleiben. Nach Rückgabe an die Erbin erwarb die Stadt das Bild von ihr. Vorausgegangen waren intensive Recherchen zur Herkunft

 01.12.2025

Dorset

»Shakespeare In Love« - Dramatiker Tom Stoppard gestorben

Der jüdische Oscar-Preisträger war ein Meister der intellektuellen Komödie. Er wurde 88 Jahre alt

von Patricia Bartos  01.12.2025

Fernsehen

Abschied von »Alfons«

Orange Trainingsjacke, Püschelmikro und Deutsch mit französischem Akzent: Der Kabarettist Alfons hat am 16. Dezember seine letzte Sendung beim Saarländischen Rundfunk

 30.11.2025 Aktualisiert

Gerechtigkeit

Jüdische Verbände dringen auf Rückgabegesetz 

Jüdische Verbände dringen auf Rückgabegesetz Jahrzehnte nach Ende des NS-Regimes hoffen Erben der Opfer immer noch auf Rückgabe von damals geraubten Kunstwerken. Zum 1. Dezember starten Schiedsgerichte. Aber ein angekündigter Schritt fehlt noch

von Verena Schmitt-Roschmann  30.11.2025

Berlin

Späte Gerechtigkeit? Neue Schiedsgerichte zur NS-Raubkunst

Jahrzehnte nach Ende der Nazi-Zeit kämpfen Erben jüdischer Opfer immer noch um die Rückgabe geraubter Kunstwerke. Ab dem 1. Dezember soll es leichter werden, die Streitfälle zu klären. Funktioniert das?

von Cordula Dieckmann, Dorothea Hülsmeier, Verena Schmitt-Roschmann  29.11.2025