Finale

Der Rest der Welt

Beim Schofarblasen 2020 gilt es vieles zu beachten. Foto: Getty Images/iStockphoto

Irgendwo in unserer Nachbarschaft gibt es ein Blasorchester. Zum Glück treten die Musiker, ein Ensemble aus Trompete, Tuba und Saxofon, begleitet von einem verstimmten Akkordeon, nur selten in Erscheinung.

Für ihre Darbietung gibt es stilistisch einfach keine Beschreibung. »Balkanmusik« wäre eine Beleidigung sämtlicher Bewohner des Balkans, alles andere passt auch nicht. Wenn die Musikanten durch unsere Straße ziehen, sind die Balkone wenige Minuten später menschenleer.

Balkon Seit dem Ausbruch von Corona haben wir nichts mehr von dem Blasorchester gehört. Auf unserem Balkon herrscht Ruhe, Frieden und Harmonie, wie es sich in einem bürgerlichen Stadtteil wie Berlin-Friedenau geziemt. Doch jetzt habe ich von einer Idee erfahren, die mich in höchste Alarmbereitschaft versetzt: Berliner Juden denken über die Organisation eines Schofar-Flashmobs im Monat Elul nach, dem jüdischen Monat der Umkehr und der Versöhnung.

Eigentlich eine tolle Sache, wenn man an den weltweiten Widderhorn-Flashmob von 2011 denkt, nach Angaben der Organisatoren »Art Kibbutz NYC« das weltweit größte Schofarblas-event seit dem Berg Sinai. Simultan-Teschuwa global! Ist das nicht großartig?

Doch ein Blick auf meinen Kalender reicht, um die drohende Gefahr für mich zu erkennen: Der Spätsommermonat Elul beginnt am Donnerstagabend. Der Schofar wird früh am Morgen geblasen, um die Schläfer aus ihrem Schlaf zu wecken und sie zur Rückkehr zu jüdischen Werten zu rufen. Was heißt das konkret? Mein Fenster geht direkt auf den Balkon hinaus!

Müllabfuhr Womöglich werden die Bläser mich am Freitagmorgen aufschrecken, bevor die Müllabfuhr kommt. Und viel besser als das Blasorchester, fürchte ich, kann der Flashmob nicht werden. Jedenfalls habe ich noch nie davon gehört, dass Berlin eine Hochburg talentierter Gruppenschofarbläser sei – oder sie haben sich meinem Radar bisher erfolgreich entzogen.

Auch andere Konzepte für die jüdischen Feiertage, die jetzt weltweit diskutiert werden, überzeugen mich wenig. Damit die Abstandsgebote beim Jom-Kippur-Gottesdienst eingehalten werden, erwägt der amerikanische Reformrabbiner Stewart Vogel von der Temple-Aliyah-Gemeinde in Los Angeles, das Kol Nidre durch ein »Car Nidre« zu ersetzen – ein Gebet auf dem Parkplatz.

Car Nidre Wer A Serious Man von den Coen Brothers kennt, weiß selbstverständlich, dass wahre Spiritualität überall möglich ist. Aber was ist mit den Orthodoxen, sollen sie nach dem Car Nidre sitzen bleiben und 25 Stunden lang autofasten? Und was ist mit Leuten wie mir, die gar kein Auto besitzen?

Aber man sollte in jeder Idee die gute Absicht wertschätzen. Von mir aus kann jede und jeder Schofar blasen – Hauptsache, nicht im Umkreis des S-Bahnhofs Friedenau.

In diesem Sinne wünsche ich allen Leserinnen und Lesern eine erfolgreiche Umkehr. Bereiten Sie sich auf Jom Kippur vor, versöhnen Sie sich mit Ihren Feinden! Damit das wirklich klappt, achten Sie auf Ihre Tonlage, die richtige Uhrzeit, und blasen Sie nicht zu laut. Und immer daran denken: Bei jedem Flashmob bitte nur ein Schofar!

New York

Trauer um Tony Roberts

Der Schauspieler starb am vergangenen Freitag an den Folgen einer Lungenkrebserkrankung

 08.02.2025

Imanuels Interpreten (5)

Geddy Lee: Der Rock-Tenor

Der Sohn polnischer Holocaustüberlebender ist einer der prominentesten Musiker Kanadas. Bis 2015 war er Mitglied des Progressive Rock-Trios Rush

von Imanuel Marcus  07.02.2025

Arte

Ein faszinierendes Monster von einem Film

Ein neuer Dokumentarfilm beleuchtet das Leben und Wirken von Schriftstellern während der NS-Zeit, die nicht emigrierten. Deutlich wird auch der enorme Verlust, den die Kultur durch die Nazis erlitten hat

von Lukas Foerster  07.02.2025

Helsinki

Auszeichnung für Felix Klein in Finnland

Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung wird für sein Engagement zur Förderung jüdischer Musik und Kultur geehrt

 06.02.2025

Raubkunst

Ministerin Roth rechnet im Streit um Welfenschatz mit rascher Klärung

Es geht um die Frage, ob der 1929 von jüdischen Kunsthändlern erworbene Schatz 1935 unter den Nazis verfolgungsbedingt zwangsweise verkauft wurde

 06.02.2025

Berlin

Dirigent Daniel Barenboim an Parkinson erkrankt

Schon seit einiger Zeit fällt Dirigent und Pianist krankheitsbedingt immer wieder aus. Nun äußert er sich in einem persönlichen Statement dazu

 06.02.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Katrin Richter  06.02.2025

Musik

Hommage an Israel

Warum unser Autor den Song »Neigborhood Bully« von Bob Dylan so sehr liebt

von Alan Posener  06.02.2025

Waffenstillstand

Die Wände voller Risse

Über ein Jahr war Eshkol Nevo nicht in seinem Ferienhaus im Norden Israels. Jetzt besucht der Schriftsteller wieder den Kibbuz an der Grenze zum Libanon – und muss erkennen, dass nichts ist wie zuvor

von Eshkol Nevo  06.02.2025