Kolumne

Der Rest der Welt

Gegen halb elf Uhr nachts erreicht die Party in meinem Hinterhof ihren Höhepunkt. Lautes Juchzen dringt zu meinem Fenster herauf, Fetzen eines stimmungsvollen chassidischen Niguns wehen herein. Unten im Hof wird auf die Holztische geklopft und getrommelt, dass das Laubhüttendach im Rhythmus auf- und niederhüpft. Auch in den anderen Gärten und Balkons mit ihren erleuchteten Laubhütten wird kräftig gefeiert, ein paar tanzende Chassiden finden sich auf dem Parkplatz unter meinem Fenster ein.

Noch eine Sache, die mir nicht klar war, bevor ich nach Antwerpen umgezogen bin: Für manche Leute ist Sukkot eine einzige, ausufernde Party. In der grauen Morgendämmerung von Chol Hamoed, als ich schon wieder in meiner Bürokluft an der Tram-Haltestelle stehe, wanken Grüppchen von partymüden Chassidim an mir vorbei, die meterlange Plastiktragetasche mit Arba Minim sorgsam unter den Arm geklemmt, auf dem Weg zum Morgengebet.

Schwitzkasten Und auch während der Zwischenfeiertage geht die Party weiter. Die Schule ist zu, am Tor klebt ein buntes Plakat auf Jiddisch: »Kimmt oif die scheinste, beste Cholemoid Oisflig!« Darunter sind ein Karussell und eine Achterbahn abgebildet, außerdem ein Foto vom Vorjahr mit einigen verschreckten Kaninchen, die von Kindern mit Pejes liebevoll im Schwitzkasten gehalten werden.

Eine chassidische Kirmes? Da müssen wir hin. Am selben Nachmittag finden wir uns im Schulhof der Belzer Chassiden ein, der sich in einen gigantischen, bunten Jahrmarkt verwandelt hat, mit Zuckerwatte, Hotdogs, Schiffsschaukeln, Scootern und einem Lambada-Ride, der auf einer 10 Meter langen Plattform eine Gruppe kreischender chassidischer Teenager mit wirbelnden Schläfenlocken in einem 15-Meter-Radius durch die Lüfte wirbelt.

Knallige Lichter sind auf der haushohen Metallwand dahinter angebracht sowie die obligatorischen Bilder von vollbusigen Schönheiten im Minirock – nur, dass die wichtigsten Stellen hier vorsorglich mit weißen Plastikmülltüten überklebt wurden. Auch ein Karussell gibt es, kleine Autos und Mickymäuse drehen hier zu wummernder Chassi-Disco-Musik ihre Runden – die flämische Karussellbetreiberin in ihrem Fahrerhäuschen rollt jedes Mal verzweifelt mit den Augen, wenn eine neue Runde beginnt und ein weiterer Hit von Mordechai ben David aus den Lautsprechern dröhnt.

Gummizug Es beginnt, in Strömen zu regnen, aber die Party geht weiter, die Chassiden ziehen sich ganz nonchalant Plastikfolien mit Gummizug über ihre Strejml, auf denen sich das Wasser zu kleinen Pfützen ansammelt. Jedes Mal, wenn sich ein Chassid zu seiner Kinderaschaar herabbeugt, bekommt das Kleinste einen Wasserguss vom Plastik-Strejml ab.

In der Aula sind Hüpfschlösser aufgebaut, hier toben kreischende kleine Mädchen in Feiertagskleidchen mit Seidenstrümpfen und riesigen Samtschleifen im Haar, an den Händen ihre noch kleineren Geschwister, unter den besorgten Augen ihrer Mütter. Weiter hinten beugen sich schwarz gekleidete kleine Jungen mit Samtkappen über ein Kaninchengehege und versuchen, eines der Tiere zum Kuscheln herauszuangeln. Zum Abschluss der Party kaufe ich meinen Kindern noch ein paar bunte Lebkuchenherzen, die man sich um den Hals hängen kann: eines mit der blauen Zuckergussaufschrift »Fir Tatte«, eines mit »Fir die beste Mamme« in Rosa und eines mit der Aufschrift »A gitten Mo’ed!«.

Los Angeles

Bestürzung über Tod von Rob Reiner und Ehefrau Michele

Der jüdische Regisseur und seine Frau wurden tot in ihrem Haus aufgefunden. Die Polizei behandelt den Fall als mögliches Tötungsdelikt

 15.12.2025

Justiz

Gericht: Melanie Müller zeigte mehrmals den Hitlergruß

Melanie Müller steht erneut vor Gericht: Die Schlagersängerin wehrt sich gegen das Urteil wegen Zeigens des Hitlergrußes und Drogenbesitzes. Was im Berufungsverfahren zur Debatte steht

von André Jahnke  14.12.2025

Feiertage

Weihnachten mit von Juden geschriebenen Liedern

Auch Juden tragen zu christlichen Feiertagstraditionen bei: Sie schreiben und singen Weihnachtslieder

von Imanuel Marcus  14.12.2025

Nachruf

Trauer um Hollywood-Legende Arthur Cohn

Arthur Cohn war immer auf der Suche nach künstlerischer Perfektion. Der Schweizer Filmproduzent gehörte zu den erfolgreichsten der Welt, wie seine Oscar-Ausbeute zeigt

von Christiane Oelrich  12.12.2025

Computerspiel

Lenny Kravitz wird James-Bond-Bösewicht

Als fieser Schurke will der Musiker im kommenden Jahr dem Agenten 007 das Leben schwer machen – allerdings nicht auf der Kinoleinwand

 12.12.2025

Berlin

Jüdisches Museum bekommt zusätzliche Förderung

Das Jüdische Museum in Berlin gehört zu den Publikumsmagneten. Im kommenden Jahr feiert es sein 25. Jubiläum und bekommt dafür zusätzliche Mittel vom Bund

 12.12.2025

Aufgegabelt

Latkes aus Dillgürkchen

Rezepte und Leckeres

 12.12.2025

Kulturkolumne

Lieber Chanukka als Weihnachtsstress?

Warum Juden es auch nicht besser haben – was sich spätestens an Pessach zeigen wird

von Maria Ossowski  12.12.2025

Kommerz

Geld oder Schokolade?

Der Brauch, an den Feiertagen um Münzen zu spielen, hat wenig mit den Makkabäern oder dem traditionellen Chanukkagelt zu tun. Der Ursprung liegt woanders

von Ayala Goldmann  12.12.2025