Finale

Der Rest der Welt

Auf dem Schulhof sitzt heute eine richtige Zombieversammlung: lauter Viertklässler, die weder laufen, noch schreien, noch spielen, sondern in zusammengesackter Haltung bewegungslos rumhängen. Nur die kleinen Finger flitzen emsig über die kleinen Handytastaturen. Habe ich schon einmal erwähnt, warum ich Smartphones so hasse? Genau deswegen. Und damit sich meine kleine Tochter nicht auch in so einen hirnlosen Zombie verwandelt, habe ich ihr kein Handy gekauft, habe ihr das erklärt, und sie hat’s auch verstanden – dachte ich.

Bis neulich abends, als meine Tochter einen Weinkrampf bekam und sich weigerte, am nächsten Tag in die Schule zu gehen, wenn ich ihr nicht sofort ein eigenes Smartphone besorgen würde. Der morgige Tag würde der offizielle Handy-Tag sein, schluchzte sie. Die ganze Klasse würde ihre iPads und Handys, Tablets und iPhones in die Schule mitbringen und den ganzen Tag damit spielen können. Nicht nur heimlich in den Pausen und nach Schulschluss, sondern den ganzen Tag lang. »Wer ist denn auf diese hirnrissige Idee gekommen?«, fragte ich.

Ehrentag Es stellte sich heraus, dass dieser besondere Tag der Geburtstag der Lehrerin war. Um den Ehrentag ganz besonders zu gestalten, durften sich die Schüler etwas wünschen. Und der innigste Wunsch der Klasse war nun einmal, den Schultag mit ihren heiß geliebten Handys zu verbringen. Damit waren wir an dem Punkt angelangt, an dem ich rotsah.

Ich beschloss, am nächsten Morgen zur Schule zu gehen und mit der Lehrerin ein ernstes Wörtchen zu reden. Nun muss man dazu noch wissen, dass besagte Pädagogin ein bisschen cholerisch ist und an besonders harten Tagen eine leichte Alkoholfahne hat. So wird es nicht verwundern, dass das Ganze in einem Fiasko endete und ich vom Klassenvorstand verbal sehr unsanft in den Boden gestampft wurde – und das auch noch vor den schreckgeweiteten Augen meiner Kinder und der herumstehenden Mütter. »Die Schule versucht«, donnerte die Lehrerin, »die Kinder schon in der Grundschule an die neueste Technik heranzuführen.«

Smartphones seien für die intellektuelle Entwicklung unerlässlich. Woraufhin sich einige Mütter, die ihren Kids gerade die neuesten Smartphones besorgt hatten, in die Diskussion einmischten und mir nahelegten, wegen meiner abstrusen Ideen nicht die ganze Klasse zu terrorisieren.

Brief Einigermaßen am Boden zerstört, schlich ich mich durchs Schultor, traf dort den Schulrabbiner und klagte ihm mein Leid. Der Rabbi – kein Freund von großen Worten – sagte nur: »Ich kümmere mich darum.« Und unglaublicher Weise lag am nächsten Tag ein zerknirschtes Briefchen der Schuldirektion in den Schulranzen.

Der Handy-Tag sei abgesagt, man bitte die Kinder vielmehr darum, Gesellschaftsspiele von zu Hause mitzubringen. Das Judentum sei eine Religion, die das geschriebene Wort und die Beziehungen zum Mitmenschen in Ehren halte.

Außerdem seien Selbstdisziplin, geistige Reinheit und Unabhängigkeit wichtige Werte. Smartphones seien Sucht erzeugende und zum reinen Selbstbezug anstiftende Objekte: Diese sollte man ganz bestimmt nicht kleinen Kindern an die Hand geben. Ab nächstem Jahr sind Handys in der Grundschule verboten. Tausend Dank, Rabbi!

Zahl der Woche

2 Jahre

Fun Facts und Wissenswertes

 09.12.2025

Sehen!

»Golden Girls«

Die visionäre Serie rückte schon in den jugendwahnhaftigen 80er-Jahren ältere, selbstbestimmt männerlos lebende Frauen in den Fokus

von Katharina Cichosch  09.12.2025

Film

Woody Allen glaubt nicht an sein Kino-Comeback

Woody Allen hält ein Leinwand-Comeback mit 90 für unwahrscheinlich. Nur ein wirklich passendes und interessantes Rollenangebot könnte ihn zurück vor die Kamera locken.

 09.12.2025

Glosse

Der Rest der Welt

Von Kaffee-Helden, Underdogs und Magenproblemen

von Margalit Edelstein  08.12.2025

Eurovision Song Contest

»Ihr wollt nicht mehr, dass wir mit Euch singen?«

Dana International, die Siegerin von 1998, über den angekündigten Boykott mehrerer Länder wegen der Teilnahme Israels

 08.12.2025

Feiertage

Weihnachten mit von Juden geschriebenen Liedern

Auch Juden tragen zu christlichen Feiertagstraditionen bei: Sie schreiben und singen Weihnachtslieder

von Imanuel Marcus  08.12.2025

Vortrag

Über die antizionistische Dominanz in der Nahostforschung

Der amerikanische Historiker Jeffrey Herf hat im Rahmen der Herbstakademie des Tikvah-Instituts über die Situation der Universitäten nach dem 7. Oktober 2023 referiert. Eine Dokumentation seines Vortrags

 07.12.2025

Zwischenruf

Die außerirdische Logik der Eurovision

Was würden wohl Aliens über die absurden Vorgänge rund um die Teilnahme des jüdischen Staates an dem Musikwettbewerb denken?

von Imanuel Marcus  07.12.2025

Los Angeles

Schaffer »visionärer Architektur«: Trauer um Frank Gehry

Der jüdische Architekt war einer der berühmtesten weltweit und schuf ikonische Gebäude unter anderem in Los Angeles, Düsseldorf und Weil am Rhein. Nach dem Tod von Frank Gehry nehmen Bewunderer Abschied

 07.12.2025