Finale

Der Rest der Welt

Bevor ich durch die erst skeptischen, dann auffordernden und schlussendlich mahnenden Blicke besorgter Mütter dazu aufgefordert werde, mich endlich vom Zaun des Spielplatzgeländes zu entfernen, stelle ich fest, dass jede größere Kindergruppe eine deutsche Version von Anatevka ist. Mit dem Unterschied, dass wir in Berlin, München und Hamburg nicht sonderlich arm, vor allem aber nicht so lustig wie Tewje, der Milchmann sind. Doch darum geht es gerade gar nicht.

Ob Geburtsanzeigen, auf bereits erwähnten Spielplätzen, in Grundschulen oder eigentlich jedem Café in Berlin: Aus allen Ecken hört man »Lass das, Benjamin.«, »Leg die Schippe weg, Lilith« und »Lauf schneller, Zacharias!«. Dies führt unweigerlich dazu, dass Wohnbezirke akademischer Besserverdiener zu alttestamentarischen Enklaven werden, in denen blonde, hochgewachsene Neuauflagen der uns bekannten Stammesmütter und Stammesväter ihren unerzogenen Nachwuchs mit gut gemeinter, selten effektiver Antiautorität auf den Pfad der Tugend bringen.

Skeptisch Die strenge Hand G’ttes aus der Ära Abrahams, Isaaks und Jakobs wäre in diesen Kreisen sowieso machtlos – Beschneidung und Opfern des Erstgeborenen steht man dort eher skeptisch gegenüber.

Eine der Mütter ruft laut nach ihrem Aaron und fünf kleine Jungs schauen genervt in Richtung Parkbank. Elias weigert sich partout, seine Hose wieder anzuziehen, Rebecca leckt an den Sprossen der Rutsche. Dieses Szenario klingt wie ein Zionistenkongress und sieht aus wie Sodom und Gomorrha. Und doch ist es Berlin im Jahr 2015. Wirklich irrsinnig wird dieser Retro-Trend, wenn ein etwas gedrungener, jedoch sehr kräftiger Karl-Wilhelm einen sehr schmächtigen, Brille tragenden Levi durch den halben Sandkasten prügelt

Albtraum Die Tatsache, dass Kinderkleidung aus Tweed und Strick wieder en vogue ist, wirkt wie Öl im Feuer meines Zynismus. Es ist kein Geheimnis, dass der uninformierte und an alte Märchen glaubende Deutsche meint, es gäbe Millionen Juden in Deutschland. Und sowieso überall. Umso amüsanter ist es, wenn diese Genossen in wenigen Jahrzehnten von einer Schar erwachsener Adams, Gabriels und Jonathans umgeben sein werden und sie meinen, ihr schlimmster Albtraum einer jüdischen Verschwörung sei wahr geworden. Ein Albtraum für sie, ein Wunschtraum für mich. Super.

In der Nähe des Ausgangs bereitet eine Mutter ihre Kinder für den Nachhauseweg vor. Als sich ihr etwa vierjähriger Großer weigert, die kratzende Wollmütze anzuziehen, schmeißt sie wütend ihren modischen Schal mit Palästinensertuch-Motiv in den Kinderwagen und brüllt: »Theodor, ich warne dich. Wenn du nicht sofort deine Mütze anziehst, bekommst du heute Abend kein Essen«. Mein Lächeln trifft sie im falschen Moment und wird von ihren blitzenden Augen in der Luft zerschmettert. Zum Glück hat sie keine Ahnung, worüber ich wirklich lache.

Fernsehen

»Mord auf dem Inka-Pfad«: War der israelische Ehemann der Täter?

Es ist einer der ungewöhnlichsten Fälle der deutschen Kriminalgeschichte. Die ARD packt das Geschehen nun in einen sehenswerten True-Crime-Vierteiler

von Ute Wessels  30.04.2025

Medien

Leon de Winter wird Kolumnist bei der »Welt«

Bekannt wurde er vor mehr als 30 Jahren mit Romanen wie »Hoffmanns Hunger«. Jetzt will der niederländische Autor Leon de Winter in Deutschland vermehrt als Kolumnist von sich hören lassen

von Christoph Driessen  29.04.2025

Fernsehen

»Persischstunden«: Wie eine erfundene Sprache einen Juden rettet

Das Drama auf Arte erzählt von einem jüdischen Belgier, der im KZ als angeblicher Perser einen SS-Mann in Farsi unterrichten soll. Dabei kann er die Sprache gar nicht

von Michael Ranze  29.04.2025

Berlin

Antisemitismusbeauftragter für alle Hochschulen soll kommen

Details würden derzeit noch im Senat besprochen, sagte Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra

 29.04.2025

Jerusalem

Seltenes antikes Steinkapitell wird in Israel ausgestellt

Ein Fund aus dem Jahr 2020 gibt israelischen Archäologen Rätsel auf. Die Besonderheit des Steinkapitells aus römischer Zeit: Es ist mit einem mehrarmigen Leuchter - im Judentum Menorah genannt - verziert

 29.04.2025

Berlin

Jüdisches Museum erforscht Audio-Archiv von »Shoah«-Regisseur

Claude Lanzmann hat mit seiner epochalen Dokumentation »Shoah« Geschichte geschrieben. Das Jüdische Museum Berlin nimmt ein Doppeljubiläum zum Anlass, um das umfangreiche Recherchematerial des Regisseurs zu erschließen

von Alexander Riedel  29.04.2025

Köln

»Charlie Hebdo«-Überlebender stellt Comic zu NS-Raubkunst vor

»Zwei Halbakte« heißt ein 1919 entstandenes Gemälde von Otto Mueller. Die Geschichte des Kunstwerks hat der französische Zeichner Luz als Graphic Novel aufgearbeitet. Mit teils sehr persönlichen Zugängen

von Joachim Heinz  28.04.2025

Berlin

»Eine Zierde der Stadt«

Es ist einer der wichtigsten Orte jüdischen Lebens in Deutschland: Vor 30 Jahren wurde das Centrum Judaicum im denkmalgeschützten Gebäude der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße in Berlin-Mitte eingeweiht

 28.04.2025

Paris

»Bambi«-Neuverfilmung: Nah an Felix Saltens Original

Ganz ohne Spezialeffekte und Animation: In Michel Fesslers »Bambi«-Neuauflage stehen echte Tiere vor der Kamera. Das Buch wurde einst von den Nazis verboten

von Sabine Glaubitz  28.04.2025