Finale

Der Rest der Welt

Schon möglich, dass ich paranoid bin, sie können trotzdem hinter mir her sein» – den alten Witz kennen Sie bestimmt. Ich bemühe mich nach Kräften, nicht paranoid zu sein. Obwohl ich zugeben muss: In der letzten Zeit kommen mir Beziehungsideen (so nennt man das im Fachjargon), die ich früher so nicht kannte. Zum Beispiel neulich im Kino, als vor dem Film der alte Trailer mit den hübschen Sternen und den vielen europäischen Kinostädten über die Leinwand flimmerte.

Wie immer erwartete ich, auf der linken Seite Tel Aviv zu entdecken – doch das Design war verändert, die israelische Stadt fehlte. Obwohl auch Ramallah nicht auftauchte, witterte ich sofort eine Verschwörung der EU gegen den jüdischen Staat. Erbittert saß ich im Kinosessel, stopfte Gummibärchen in mich hinein und dachte über Alija nach.

Facebook Am nächsten Tag wurde ich auf das «Streifenshirt ›Sheriff‹ mit Knopfleiste» im Internet aufmerksam. Das blauweiß geringelte Hemd der spanischen Firma ZARA für Kinder im Alter von drei Monaten bis dreieinhalb Jahren war durchaus niedlich, erinnerte aber mit dem gelben Stern in Brusthöhe fatal an eine KZ-Uniform. Nach einem Proteststurm auf Facebook nahm die Firma das T-Shirt umgehend vom Markt und erklärte, das Design sei «ausschließlich von Sheriff-Sternen» inspiriert worden.

Dass das T-Shirt in der Türkei hergestellt wurde, regte die Fantasie jüdischer Paranoiker weltweit an: Höchstwahrscheinlich stecke Erdogan dahinter, um jüdische Mütter zu provozieren, so lautete eine der Verschwörungstheorien. Obwohl mein Sohn aus dem Alter für Sheriff-T-Shirts längst herausgewachsen ist, fühlte ich mich von dieser Theorie irgendwie angesprochen. Jüdische Mütter beziehen immer alles auf sich – und halten sich für den Nabel der Welt. Klar, dass sie mehr Feinde haben müssen als Sheriffsterne am Himmel hängen.

Charlottenburg «So ein Quatsch», meinte dagegen der Kollege, der seit 20 Jahren lustvoll den Untergang des europäischen Judentums heraufbeschwört, aber immer noch in Charlottenburg lebt. Er will nicht an die türkische Attacke aus dem Mode-Hinterhalt glauben. Aber wenn es keine Absicht war, was dann?

Bei ZARA werde ich in absehbarer Zeit jedenfalls nicht mehr einkaufen. Stattdessen gehe ich lieber zu H&M. Zwar kommen aus Schweden momentan auch nur schlechte Nachrichten, was die Juden angeht. Doch die schwedische Modekette hat gerade ein Shirt mit einem Zitat von Hillel auf den Markt gebracht: «Wann, wenn nicht jetzt?»

Laut H&M-Sprecherin war das Hemd eines der meistgekauften Kleidungsstücke des Sommers. Ich habe mir das Teil im Internet angeschaut: Es hat leider keine Ärmel und ist eher für 17-Jährige geeignet. Wieder ein Angriff auf jüdische Mütter! Nur knackige jüdische Töchter können sich über so ein fetziges Shirt freuen. Schon möglich, dass ich paranoid bin: Aber vielleicht ist auch keiner hinter mir her?

Nazivergangenheit

Keine Ehrenmedaille für Rühmann und Riefenstahl

»NS-belastet« oder »NS-konform« – das trifft laut einer Studie auf 14 Persönlichkeiten der Filmbranche zu. Ihnen wird rückwirkend eine Auszeichnung aberkannt, die die Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO) zukünftig nicht mehr vergeben will

von Niklas Hesselmann  21.11.2025

TV-Tipp

Ein Skandal ist ein Skandal

Arte widmet den 56 Jahre alten Schock-Roman von Philip Roth eine neue Doku

von Friederike Ostermeyer  21.11.2025

TV-Kritik

Allzu glatt

»Denken ist gefährlich«, so heißt eine neue Doku über Hannah Arendt auf Deutsch. Aber Fernsehen, könnte man ergänzen, macht es bequem - zu bequem. Der Film erklärt mehr als dass er zu begeistern vermag

von Ulrich Kriest  21.11.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Bettina Piper, Imanuel Marcus  21.11.2025

Holzstörche zur Geburt in Niederösterreich. Noch immer werden neben den klassischen Namen viele biblische Namen den Kindern gegeben.

Statistik

Diese hebräischen Vornamen in Österreich sind am beliebtesten

Österreichische Eltern wählen gern Klassiker. Unter den Top Ten sind auch viele Namen biblischen Ursprungs

von Nicole Dreyfus  20.11.2025

Kino

»Fast ein Wunder«

Das israelische Filmfestival »Seret« eröffnete in Berlin mit dem Kassenschlager »Cabaret Total« von Roy Assaf

von Ayala Goldmann  20.11.2025

Gespräch

»Der Überlebenskampf dauert an«

Arye Sharuz Shalicar über sein neues Buch, Israels Krieg gegen den palästinensischen Terror und die verzerrte Nahost-Berichterstattung in den deutschen Medien

von Detlef David Kauschke  20.11.2025

»Jay Kelly«

In seichten Gewässern

Die neue Netflix-Tragikomödie von Noah Baumbach startet fulminant, verliert sich dann aber in Sentimentalitäten und Klischees

von Patrick Heidmann  20.11.2025

TV-Tipp

Sie ging über Leichen: Doku »Riefenstahl« zeigt eine überzeugte Nationalsozialistin

Das Erste zeigt Andres Veiels vielschichtigen Dokumentarfilm über Leben und Wirken von Hitlers Lieblingsregisseurin Leni Riefenstahl. Der Film geht auch der Frage nach, wie ihre Filme bis in die Gegenwart ausstrahlen

von Jens Hinrichsen  20.11.2025