Finale

Der Rest der Welt

Ein schöner Sonntag in Zürich. Die Vögel zwitschern, die Luft ist schwül, die Frauen tragen Sommerkleider, und wenn man aufmerksam ist, hört man nebst dem nervigen Vogelgezwitscher die Schiffshörner vom Zürichsee. Ich stehe mit meinen vielen Kindern (drei) an der Tramhaltestelle und warte genervt. Die Kinder quengeln. Beginnen wir mit dem Ältesten: Es hat Hunger. Der Mittlere ist müde, und das Jüngste ist ein Baby und schreit sowieso immer.

Da kommt von hinten links ein Mann auf uns zu. Ich habe ihn schon vorhin gesehen. Er stand auf dem Bürgersteig und schrie Texte aus dem Neuen Testament. Das gehört nämlich auch zu Zürich am Sonntag: Sämtliche Spinner aus der Schweiz versammeln sich in der Bahnhofstraße.

Lollipops Die Woche durch hört ihnen niemand zu, sie werden zu wenig gestreichelt, und sie haben eine Mission, häufig religiöser Art. In New York laufen die Lubawitscher herum und quatschen die Leute an, ob sie jüdisch sind. In Zürich sind es die christlichen Fundamentalisten. Sie verteilen Bibeln, Luftballons, Lollipops. Der Mann mit dem heiligen Buch steht jetzt nur noch einen Meter vor mir. Er brüllt mich an: »Von den Juden kommt das Heil!« Ich lächle unsicher.

Er meint das wahrscheinlich als Kompliment, auch wenn man mit dem Wort »Heil« etwas vorsichtiger sein sollte. In diesem Kontext bedeutet »Heil« wahrscheinlich Segen, Glück, Vogelgezwitscher. Der Mann stinkt ein wenig nach Schweizer Kirsch. Und er schreit wieder: »Von den Juden kommt das Heil.« Meine Kinder sind nun ruhig und gucken den Mann mit offenen Augen an. Ich studiere ihn genauer. Hat er vielleicht eine kleine Büchse für Münzen oder einen Hut? Soll ich ihm auch etwas aus der Bibel zitieren?

Schiffshörner Aber auswendig kann ich wenig aufsagen. Nur den ersten Satz aus meinem Barmizwa-Wochenabschnitt: »Und Gott sprach zu Moses«. Den kann ich notfalls auch singen. Ich lächle den Mann an. Er ist einen halben Kopf größer als ich und blättert wild in seiner Bibel herum. Käme jetzt die Tram, wäre ich nicht unglücklich.

Doch sonntags verkehren die Trambahnen sehr unregelmäßig. Wahrscheinlich denken die Verantwortlichen in Zürich: So eine schöne Stadt! Die Sonne, die Frauenkleider, die Schiffshörner: Da wollen alle noch ein bisschen an der Tramhaltestelle warten.

An den Typen mit der Bibel haben sie aber nicht gedacht. »Gelobt sei Judäa, Fels Israel, Söhne Abrahams, Beschützer der Geknechteten«, so ungefähr. Aber alles in Jumbojet-Lautstärke. Ich bekomme fast einen Tinnitus. Ich sage einfach »Amen!« Und endlich die Tram. Schnell steigen wir ein. Ich sehe noch, wie der Bibelmensch zu einer indischen Familie geht und auch die anbrüllt. Die Ärmsten. Andererseits: Die Bibel hat eben auf alles eine Antwort.

Hollywood

Scarlett Johansson macht bei »Exorzist«-Verfilmung mit

Sie mimte die Marvel-Heldin »Black Widow« und nahm es in »Jurassic World: Die Wiedergeburt« mit Dinos auf. Nun lässt sich Scarlett Johansson auf den vielleicht düstersten Filmstoff ihrer Laufbahn ein

 25.11.2025

TV-Tipp

Sie ging über Leichen: Doku »Riefenstahl« zeigt eine überzeugte Nationalsozialistin

Das Erste zeigt Andres Veiels vielschichtigen Dokumentarfilm über Leben und Wirken von Hitlers Lieblingsregisseurin Leni Riefenstahl. Der Film geht auch der Frage nach, wie ihre Filme bis in die Gegenwart ausstrahlen

von Jens Hinrichsen  24.11.2025

TV-Tipp

Ein äußerst untypischer Oligarch: Arte-Doku zeigt Lebensweg des Telegram-Gründers Pawel Durow

Der Dokumentarfilm »Telegram - Das dunkle Imperium von Pawel Durow« erzählt auf Arte und in der ARD-Mediathek die Geschichte der schwer fassbaren Messengerdienst-Plattform-Mischung und ihres Gründers Pawel Durow

von Christian Bartels  24.11.2025

Nachruf

Das unvergessliche Gesicht des Udo Kier

Er ritt im Weltall auf einem T-Rex, spielte für Warhol Dracula und prägte mit einem einzigen Blick ganze Filme. Udo Kier, Meister der Nebenrolle und Arthouse-Legende, ist tot. In seinem letzten Film, dem Thriller »The Secret Agent«, verkörpert er einen deutschen Juden

von Christina Tscharnke, Lisa Forster  24.11.2025

TV-Kritik

Viel Krawall und wenig Erkenntnis: Jan Fleischhauer moderiert im ZDF den Kurzzeitknast der Meinungen

Mit »Keine Talkshow - Eingesperrt mit Jan Fleischhauer« setzt das ZDF auf Clash-TV: ein klaustrophobisches Studio, schnelle Schnitte, Big-Brother-Momente und kontroverse Gäste - viel Krawall, wenig Erkenntnis

von Steffen Grimberg  24.11.2025

Holzstörche zur Geburt in Niederösterreich. Noch immer werden neben den klassischen Namen viele biblische Namen den Kindern gegeben.

Statistik

Diese hebräischen Vornamen in Österreich sind am beliebtesten

Österreichische Eltern wählen gern Klassiker. Unter den Top Ten sind auch viele Namen biblischen Ursprungs

von Nicole Dreyfus  24.11.2025

Nürnberg

»Tribunal 45«: Ein interaktives Spiel über die Nürnberger Prozesse

Darf man die Nürnberger Prozesse als Computerspiel aufarbeiten? Dieses Spiel lässt User in die Rolle der französischen Juristin Aline Chalufour schlüpfen und bietet eine neue Perspektive auf die Geschichte

von Steffen Grimberg  24.11.2025

Sderot

Zweitägiges iranisches Filmfestival beginnt in Israel

Trotz politischer Spannungen will das Event einen Dialog zwischen Israelis und Iranern anstoßen

von Sara Lemel  24.11.2025

Genetik

Liegt es in der Familie?

Eierstockkrebs ist schwer zu erkennen. Warum ein Blick auf den Stammbaum nützen kann

von Nicole Dreyfus  23.11.2025