Literatur

Der Nötige

Gerade hat Georg Stefan Troller seinen 101. Geburtstag gefeiert – jetzt erscheint das nächste Buch des Autors

von Sophie Albers Ben Chamo  28.01.2023 17:41 Uhr

1921 in Wien geboren: Georg Stefan Troller Foto: Chris Hartung

Gerade hat Georg Stefan Troller seinen 101. Geburtstag gefeiert – jetzt erscheint das nächste Buch des Autors

von Sophie Albers Ben Chamo  28.01.2023 17:41 Uhr

Es ist ein literarischer Running Gag: Seit gefühlt zehn Jahren sagt der gefeierte Journalist, Filmemacher und Schriftsteller Georg Stefan Troller bei jedem neuen Buch, dass es nun aber sein letztes sei. Höhepunkt war wohl der Klappentext seiner Memoiren Meine ersten 100 Jahre, die Ende 2021 erschienen sind: »Doch nun liegt hier wirklich sein allerletztes Buch vor, das just im Jahr seines einhundertsten Geburtstags erscheint …«

Uuups, wohl doch nicht. Denn ein Jahr später ist das nächste da: Der Unnötige. Troller lacht und winkt ab. Es seien schließlich alte Texte.

GEDICHTE Aber was für welche. 16 Kurzgeschichten und Reportagen aus den Jahren 1945 bis 1950 hat er im Archiv der Deutschen Kinemathek, die eine Sammlung zu Trollers Leben und Werk beherbergt, ausgegraben. Also aus der Zeit vor dem Pariser Journal und den Personenbeschreibungen, die ihn dem breiten Fernsehpublikum bekannt gemacht haben.

Geschrieben hat er aber schon immer, deshalb hat er auch noch ein paar Gedichte aus der Feder des ganz jungen Schorschi beigesteuert. Denn bevor die Nazis die europäische Kultur zertrümmerten, wollte Troller unbedingt Dichter werden.

Die Texte stammen aus der Zeit, als Troller, der die Schoa knapp überlebte und dann als US-Soldat nach Europa zurückkehrte, das Lachen neu erlernen musste.

Die Texte im neuen Buch stammen aus der Zeit, als Troller, der die Schoa knapp überlebte und dann als US-Soldat nach Europa zurückkehrte, das Lachen neu erlernen musste und mit einem tief sitzenden Heimweh nach seiner Muttersprache haderte. So suchen und jagen die Worte nach einer Sprache, die erst neu gefunden werden musste.

KRIEG Gleich der erste Text, »Die Folter«, berichtet bestechend emotionslos davon, was der Krieg mit Menschen macht. Mit »Die Ankunft« folgt eine Wahnvorstellung von der Liebe. Auch in »The Way of a Genteel Cat«, dem einzigen Text auf Englisch, geht es um Zuneigung, aber eben die einer Katze.

Und während man sich schließlich durch ein Porträt von D. H. Lawrence und Storys wie »Der Napoleon«, »Der Marquisard«, »Die Amerikanerin« und »Der Unnötige« liest – meist Porträts von Menschen, die der Autor in Paris in Bars, auf Parkbänken oder auch auf der Straße getroffen hat –, entsteht er langsam, der Troller, den man kennt, dessen geniale Menschenporträts später Millionen Zuschauer fanden. Der Troller, der sich und seine Interview-Technik einst als »Menschenfresser« beschrieben hat.

Neben Drogenabhängigen, Résistance-Kämpfern und Künstlern lässt er auch eine einstige Vichy-Kollaborateurin auftreten. »La Glaciale« (Die Eiskalte) kommt ziemlich nah heran an den später zum Beruf gemachten Wunsch, den anderen unbedingt verstehen zu wollen. Indem man immer weiter fragt. Vielleicht auch in der Hoffnung, in all den Antworten womöglich ein Stück der eigenen Geschichte wiederzufinden.

WERK Für Leser, die Trollers Werk bereits kennen, ist Der Unnötige eine spannende Lektüre, ermöglicht sie doch, einen Schriftsteller beim Entstehen zu beobachten. Für Troller-Laien wiederum öffnet das Buch den Blick in eine Ära und in die Psyche einer Rekonvaleszenz – mit unbestimmtem Ausgang.

Gut zu wissen, dass Georg Stefan Troller heute wieder herzlich lacht. Denn natürlich wird, wenn es nach ihm geht, auch dieses nicht das letzte Buch sein. In seiner Dachgeschosswohnung in Paris, wo er nach dem Krieg eine zweite Heimat gefunden hat, schreibt er schon am nächsten. Und nebenbei auch noch die Kolumnen für »Trollers Jahrhundert«, die in der Zeitung »Die Welt« erscheinen.

Und was haben Sie so vor mit 101?

Georg Stefan Troller: »Der Unnötige. Frühe Texte«. Verbrecher, Berlin 2022, 133 S., 20 €

Restitution

Bundesregierung will Herausgabe von NS-Raubkunst erleichtern

Gesetzentwurf sieht unter anderem einen Auskunftsanspruch gegenüber Personen vor, die NS-Raubkunst in Verkehr bringen

 17.04.2024

Berlin

Wenn aus Projektionen Projektile werden

Experten diskutierten bei einer Tagung der Bildungsabteilung im Zentralrat, wie anti-israelische Obsessionen wirken

von Mascha Malburg  17.04.2024

Philosophie

Mit Sartre gegen die Enge

Vincent von Wroblewskys Autobiografie »Vermutlich Deutscher« ist ein kleines Meisterwerk

von Marko Martin  17.04.2024

Interview

»Deutschland ist eine neurotische Nation«

Bassam Tibi über verfehlte Migrationspolitik, Kritik an den Moscheeverbänden und Ansätze für islamische Aufklärung

von Christoph Schmidt  16.04.2024

Glosse

Der Rest der Welt

Tscholent mit Cola? Warum ich die Nachbarn in Holland beneide

von Margalit Edelstein  16.04.2024

Glosse

Dieter Hallervorden: Mit letzter Finte

Der Kabarettist und Schauspieler hat ein Video zu Gaza und Israel herausgebracht, das es in sich hat

von Michael Thaidigsmann  16.04.2024

Venedig

Israelischer Pavillon bei Kunstbiennale öffnet nicht

Die Künstlerin Künstlerin Ruth Patir will zuerst eine Freilassung der Geiseln

 16.04.2024

Aufgegabelt

Gemüsesuppe mit Ptitim

Rezepte und Leckeres

 15.04.2024

Essay

Die Postkoloniale Theorie und ihre Folgen

Warum die akademisch-aktivistische Dämonisierung Israels so gefährlich ist

von Ingo Elbe  15.04.2024