Musik

Der Krieg und die Klassik-Szene

Das Jerusalem Quartet Foto: picture alliance / SZ Photo

Natürlich, man könnte vieles auch positiv sehen: Über 13.000 Menschen haben an einem Tag ihre Solidarität mit Israel bekundet, haben eine Petition unterschrieben, in der sie forderten, die Absage zweier Konzerte des Jerusalem Quartet im Concertgebouw in Amsterdam am 16. und 18. Mai aufzuheben.

Sie argumentierten, dass es absurd, antisemitisch und ein vollkommen falsches Zeichen sei, die Veranstaltung aus Angst vor »propalästinensischen« Protesten abzusagen. Die Leitung des Konzerthauses hatte zuvor erklärt, die öffentliche Sicherheit nicht gewährleisten zu können.

Sofort unterschrieben prominente Klassik-Künstler wie die Pianisten Evgeny Kissin und Martha Argerich, der Cellist Mischa Maisky, die Dirigenten Simon Rattle und Semyon Bychkov oder die Geigerin Anne-Sophie Mutter die Petition und erklärten, dass sich der Klassik-Betrieb nicht durch gewaltbereite Gruppen einschüchtern lassen dürfe.

Lautstarke Minderheit

»Indem das Concertgebouw das Konzert abgesagt hat, besänftigt es eine lautstarke Minderheit, die durch Einschüchterung und Androhung von … Gewalt eintritt«, hieß es: »Es bedarf keines weiten Blickes zurück in die Geschichte, um zu sehen, was passiert, wenn Menschen in solchen Fällen nachgeben.«

Das Concertgebouw hat sich besonnen, das zweite Konzert des Jerusalem Quartet konnte am 18. Mai stattfinden und wurde sogar weltweit im Netz gestreamt. Bei ihrem Auftritt trugen die Musiker das gelbe Band der »Bring Them Home Now«-Bewegung für die israelischen Geiseln in Gaza. Von Protesten keine Spur. Auf dem Programm standen Ben-Haims op. 21 von 1937, komponiert nach der Übersiedlung des Komponisten ins damalige Palästina, und außerdem Claude Debussys op. 10.

Nach dem Schlussapplaus erklärten die Musiker in einer kurzen Ansprache: »Wir sind viel unterwegs und führen deshalb manchmal ein einsames Leben. Wir sind zu Tränen gerührt von aller Liebe und Unterstützung, die wir in der vergangenen Woche erfahren haben. Unser Teil der Welt ist bekannt für seine Gastfreundschaft. Wir laden Sie gern in unser Land ein.«

Breite Solidarität

Die breite Solidarität innerhalb der Klassik-Szene für das Jerusalem Quartet und das Umdenken, zu dem die Concertgebouw-Leitung gebracht wurde, kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es auch innerhalb der Hochkultur gewaltige Ressentiments gegenüber jüdischen Künstlerinnen und Künstlern gibt.

Mitten in Europa werden Musiker gecancelt – nicht, weil sie solidarisch mit Benjamin Netanjahus Politik wären, sondern weil sie Juden sind. Dass die Sicherheit von Veranstaltungen mit jüdischer Beteiligung selbst in einer europäischen Hauptstadt nicht mehr gewährleistet werden kann, hat zahlreiche jüdische Künstler schockiert.

Dabei sind viele von ihnen bemüht, das politische Geschehen in ihrer Heimat kritisch zu begleiten. Bereits im November erklärte der designierte Chefdirigent der Hamburgischen Staatsoper, Omer Meir Wellber, er mache nicht nur die Hamas, sondern auch Netanjahu für die Eskalation mitverantwortlich. Und dem Klassik-Portal »BackstageClassical« sagte die Sopranistin Chen Reiss: »Israel und Gaza brauchen eine neue Regierung.«

Gegenwart und Geschichte

Gleichzeitig unterstrich sie, dass unsere Gegenwart sie an die Geschichte ihrer Großeltern erinnere, die 1939 aus Ungarn nach Palästina flohen: »Sie haben ihre ganze Familie im Holocaust verloren und mir immer wieder über die Geschichte erzählt. Heute denke ich, dass ich in einem Horror-Film lebe: Ich spüre, was sie auch gespürt haben müssen.«

Die Konzertabsage und das erneute Ansetzen des Konzerts in Amsterdam haben gezeigt, wie schnell Grundrechte infrage gestellt werden können – aber auch die große Solidarität mit jüdischen Musikerinnen und Musikern innerhalb der Klassik-Szene. Am Ende können die Debatten innerhalb der jüdischen Klassik-Community auch als Beweis demokratischer Diskussionskultur gelten.

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