Einatmen. Ein tiefes Luftholen als Auftakt und zugleich Akt des Sich-Sammelns. Weil das Ausatmen etwas in Schwingung bringen wird. So entsteht ein Ton, ein Klang und schließlich Musik. Das konzentrierte Einatmen ist das Erste, was auf dem Debütalbum des jungen Fagottisten Emanuel Blumin-Sint zu hören ist. Das schafft Nähe, es schärft die Aufmerksamkeit und macht gespannt auf alles, was folgt.
Und das ist zunächst Niccolò Paganini: ein heiter-sangbares Thema des italienischen Geigenvirtuosen in immer wieder neuen Variationen. Auf den Punkt setzt Blumin-Sint diese kaum einminütigen musikalischen Perlen. Damit deutet sich an, welches klangliche Spektrum sein Instrument ausmacht. Der Gewinner des Fanny Mendelssohn Förderpreises 2024 will für das Fagott werben. Er stellt sein Instrument ins Rampenlicht – und sich selbst damit natürlich auch. Es sei sein Traum, »eine Solo-Karriere mit dem Fagott zu machen«, schreibt er im Booklet zu seiner im Label ES-DUR erschienenen CD.
Paganini-Variationen und die Partita in d-Moll von Johann Sebastian Bach
Dieses Ziel strebe er an, »nicht um der Karriere willen, sondern um dieses Instrument noch bekannter und populärer zu machen. Dienen wird das Album beiden: dem Musiker und dem Fagott, dessen Führungsqualitäten Blumin-Sint mit Leading Bassoon beeindruckend souverän und höchst virtuos unterstreicht. Zunächst mit jenen Paganini-Variationen im Arrangement des berühmten, 1923 geborenen französischen Fagottisten Maurice Allard, der im Jahr 2004 starb, Blumin-Sints Geburtsjahr.
Mit »Caprice Nr. 5«, ursprünglich für die Solo-Violine erdacht, hat der Fagottist einen weiteren Klassiker von Paganini eingespielt, außerdem Musik von Johann Sebastian Bach, die für Solo-Fagott transkribierte Partita in d-Moll, BWV 1013, ein Werk voller Tiefe und Exzellenz.
Blumin-Sint kann Fagott. Das ist zu hören und ist vielfach belegt durch erste Preise bei Wettbewerben auf nationaler und internationaler Ebene. Zu spüren ist beim Hören der CD, wie sehr der Musiker das Fagott auch lebt. Besonders deutlich wird das in den beiden ihm von zwei Zeitgenossen gewidmeten Werken. Beim meditativ anmutenden »Hymn« des ukrainischen Komponisten Valentin Silvestrov begleitet sich der Fagottist mit auf dem Klavierpedal gehaltenen Akkorden selbst. Bei der angejazzten »Humoresque« des aus Odessa stammenden israelischen Komponisten Yuri Povolotsky präsentiert sich der Musiker mit heiterer Coolness.
Ein wohltuend neues und anderes Klangbild
Leading Bassoon führt auch durch stilistische Epochen. Wie schön, dass sich Blumin-Sint für sein Solo-Album zwei musikalische Gefährten an die Seite geholt hat. Mit dem Flötisten Matvey Demin gibt er die sechste der »Bachianas Brasilieras« von Heitor Villa-Lobos, mit dem Cellisten Alexey Stadler die Sonate KV 292 von Wolfgang Amadeus Mozart. Beide Male entsteht ein feiner Dialog, jedes Mal ein wohltuend neues und anderes Klangbild.
Mit Leading Bassoon überreicht der Fagottist der Klassikszene seine gegenwärtige musikalische Visitenkarte. Die Produktion dieser CD war ein logischer Schritt auf einem Weg, der mit Klavierunterricht (wen wundert’s, sind doch Mutter Elisaveta Blumina und Großmutter Mara Mednik als weltweit reüssierende Pianistinnen bekannt) begann und Blumin-Sint dann doch zum Fagott führte. Dieses Instrument ist seines, seine Freude daran teilt er. Mit langem Atem.
Emanuel Blumin-Sint: »Leading Bassoon«. Emanuel Blumin-Sint (Fagott), Matvey Demin (Flöte), Alexey Stadler (Cello), ES-Dur, Hamburg 2024, 17,99 €