Interview

»Der Begriff ‚Schauprozess‘ ist verfehlt«

Herr Fischer, einer der Verteidiger von Gil Ofarim hat dem Landgericht Leipzig vorgeworfen, es führe einen »Schauprozess« gegen seinen Mandanten. Halten Sie den Vorwurf im Zusammenhang mit diesem Fall für angebracht?
Der Begriff »Schauprozess« erscheint mir hier - wie meist - verfehlt. Er bezeichnet ein von vornherein rechtsstaatswidriges Verfahren, das gar nicht den Zweck verfolgt, zu einem gerechten Urteil zu gelangen. Es gibt aber keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Justiz den vorliegenden Fall in irgendeiner Weise inadäquat behandelt. Dagegen gibt es zahlreiche Gründe dafür, seine Diskussion in der Öffentlichkeit, also sowohl in professionellen Medien als auch in den sogenannten sozialen Netzwerken, als gänzlich inadäquat, aufgeblasen und wenig sachgerecht anzusehen.

Die Verteidiger Ofarims haben zudem kritisiert, dass der Eröffnungsbeschluss des Landgerichts ihnen nur auf dem Postwege zugestellt worden sei und nicht, wie andere Dokumente zuvor, per Fax. Deshalb hätten sie davon aus der Presse erfahren. Ist das Ihrer Ansicht nach ein gewichtiger Kritikpunkt am Gericht oder eher nebensächlich?
Ich weiß nicht, ob der Vorwurf zutrifft. Zustellungen von Justizbehörden an Rechtsanwälte erfolgen in der Regel über das »besondere elektronische Anwaltsfach« (BEA) und nicht »per Fax«. Bei mehreren Verteidigern genügt in der Regel die förmliche Zustellung an einen. Sollte es hier zu einem Fehler gekommen sein, wäre das ärgerlich, aber mit dem Begriff »eher nebensächlich« wohl zutreffend beschrieben. Ich gehe davon aus, dass der Fehler auch längst geheilt wäre. Ob die Justiz für Informationen der Presse hier verantwortlich war, kann ich nicht beurteilen.

Gegen den Vorsitzenden Richter wurden mehrere Befangenheitsanträge gestellt. Außerdem wurde moniert, dass der Fall der zweiten Kammer des Landgerichts zugewiesen wurde, welche üblicherweise für schwere Verbrechen zuständig sei. Ofarims Anwälte haben daraus den Schluss gezogen, dass das Verfahren von Seiten des Gerichts »aufgeblasen« wird. Ist das Ihrer Ansicht nach ein schlagkräftiges Argument oder nur Anwalts-PR?
Es ist schon nicht erkennbar, was mit dem Begriff »zugewiesen« gemeint sein soll. Die Zuständigkeit von Spruchkörpern ergibt sich nicht aus Einzel-Zuweisungen, sondern aus dem Geschäftsverteilungsplan, der vorab für ein ganzes Jahr beschlossen wird und von dem nur in besonderen Fällen durch Entscheidung des Gerichtspräsidiums - eines von den Richtern gewählten Gremiums - abgewichen werden darf. Hier könnte mit der Kritik gemeint sein, dass eine Anklage zum Landgericht als unangemessen angesehen werde. Dies zu entscheiden, liegt allerdings im Beurteilungsspielraum der Anklagebehörde.

Eine Anklage zum Landgericht kann nach § 74 Gerichtsverfassungsgesetz auch wegen der Bedeutung des Falles erfolgen, was sich nicht auf die Straferwartung bezieht, sondern, wie der Bundesgerichtshof entschieden hat, auch auf das besonders große Interesse von Medien und Öffentlichkeit gestützt werden kann. Rechtsfehlerhaft sind eine solche Beurteilung sowie die Eröffnung des Hauptverfahrens vor dem Landgericht nur, wenn sie sich als »objektiv willkürlich« darstellen, wenn es also an jeglichen Sachgründen fehlt. Das kann ich hier nach meinem Kenntnisstand nicht erkennen.   

Sehen Sie generell einen Unterschied in der »Qualität« von Strafprozessen, die sich mit medial stark diskutierten Fällen befassen, und solchen, bei denen es zwar um vergleichbare Beschuldigungen geht, die aber in der Öffentlichkeit kaum oder gar nicht diskutiert werden?
Es können medial besonders intensiv verfolgte oder skandalisierte Verfahren insgesamt schwieriger für alle Beteiligten sein, insbesondere weil oder wenn sie von zahlreichen öffentlichen Spekulationen, auf Unkenntnis beruhenden Fehldeutungen oder auf Effekte ausgerichteten Nebenschauplätzen begleitet werden. Daraus ergeben sich aber nach meiner Erfahrung keine generellen Unterschiede der »Qualität« von Hauptverhandlungen oder Urteilen.

Warum nicht?
Fast alle Gerichte haben inzwischen vielfältige Erfahrungen auch mit medial besonders herausgestellten Verfahren. Die Prozessordnung sorgt im Übrigen dafür, dass die Verfahren auch unter solchen Bedingungen ordnungsgemäß geführt werden können. Die vielfach üblichen spekulativen Erwägungen darüber, ob es Bonus- oder Maluseffekte durch »Prominenz« und/oder deren mediale Erzeugung gebe, halte ich für durchweg verfehlt.

Das Interview mit dem Strafrechtsexperten und ehemaligen Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof führte Michael Thaidigsmann.

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Österreich

Neue Direktorin für das Jüdische Museum Hohenems

Historikerin Irene Aue-Ben-David übernimmt die Leitung und bringt internationale Erfahrung aus Jerusalem mit

von Nicole Dreyfus  16.12.2025

Basel

Mann wollte Juden während des ESC angreifen

Kurz vor dem »Eurovision Song Contest« in der Schweiz wurde ein 25-Jähriger wegen konkreter Gewaltdrohungen festgenommen und ausgewiesen

von Nicole Dreyfus  16.12.2025

Berlin

Umstrittene 88: Der schwierige Umgang mit rechten Codes

Im Berliner Fußball sorgt die Debatte um die Rückennummer 88 und dem Hitler-Bezug für Kontroversen. Warum das Verbot erneut scheiterte und wie der Fußball insgesamt mit rechtsextremen Codes umgeht

von David Langenbein, Gerald Fritsche, Jana Glose  16.12.2025

Wien

ESC 2026: ORF will israelfeindliche Proteste nicht ausblenden

Die Debatte und der Boykott einzelner Länder wegen der Teilnahme Israels haben den ESC 2026 bisher überschattet. Auch beim Event im Mai selbst drohen Proteste. Wie geht der ORF damit um?

 16.12.2025

Washington D.C.

Trump sorgt mit Angriffen auf ermordeten Rob Reiner für Empörung

Der jüdische Regisseur sei an einem »Trump-Verblendungssyndrom« gestorben, schreibt der Präsident. Dafür erntet er seltene Kritik aus den eigenen Reihen

 16.12.2025

Nachruf

Filmproduzent mit Werten

Respektvoll, geduldig, präzise: eine Würdigung des sechsfachen Oscar-Preisträgers Arthur Cohn

von Pierre Rothschild  15.12.2025

Meinung

Xavier Naidoos antisemitische Aussagen? Haken dran!

Der Mannheimer Sänger füllt wieder Konzertsäle. Seine Verschwörungserzählungen über Juden und holocaustrelativierenden Thesen scheinen kaum noch jemanden zu stören

von Ralf Fischer  15.12.2025

Los Angeles

Bestürzung über Tod von Rob Reiner und Ehefrau Michele

Der jüdische Regisseur und seine Frau wurden tot in ihrem Haus aufgefunden. Die Polizei behandelt den Fall als mögliches Tötungsdelikt

 15.12.2025

Justiz

Gericht: Melanie Müller zeigte mehrmals den Hitlergruß

Melanie Müller steht erneut vor Gericht: Die Schlagersängerin wehrt sich gegen das Urteil wegen Zeigens des Hitlergrußes und Drogenbesitzes. Was im Berufungsverfahren zur Debatte steht

von André Jahnke  14.12.2025