Literatur

Der Arzt vom Alexanderplatz

»Und wenn man meinen Namen nannte, fügte man Berlin Alexanderplatz hinzu«: DDR-Briefmarke zum 100. Geburtstag von Alfred Döblin Foto: cc

Sein Werk zählt zu den Klassikern der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts. Alfred Döblin, der 1957 dem Exil an den Folgen seiner Parkinson-Erkrankung starb, gehört aber auch zu den heute kaum mehr gelesenen Autoren der Moderne. Jetzt hat der Publizist Wilfried F. Schoeller endlich eine Biografie Döblins vorgelegt, die der Person und dem Werk gerecht wird.

Einmal ist sie glänzend geschrieben, zum anderen stützt sie sich auf umfassende Recherchen, die den aberwitzigen Verquerungen im Leben und Arbeiten dieses außerordentlich wandlungsfähigen Schriftstellers bis in den letzten Winkel folgen.

Publikumserfolg Als vor Jahren aus Anlass des 2o. Todestages von Rainer Werner Fassbinder das cineastische Werk des Regisseurs gewürdigt wurde, erinnerte man sich auch an Döblin, dessen Roman Berlin Alexanderplatz die literarische Vorlage für Fassbinders gleichnamigen filmischen Publikumserfolg gewesen war. Döblin selbst war bewusst, dass er jenseits von Franz Biberkopf nie ein Massenpublikum erreicht hatte. »Und wenn man meinen Namen nannte«, schrieb er 1955, zwei Jahre vor seinem Tod, »fügte man Berlin Alexanderplatz hinzu.«

Dabei war Döblin, 1878 in Stettin als Sohn eines jüdischen Schneidermeisters geboren, niedergelassener Internist und Nervenarzt in Berlin-Kreuzberg, ein vielseitiger Schriftsteller, der schon vor 1917 für seinen Roman Die drei Sprünge des Wang-lun mit dem Fontane-Preis ausgezeichnet worden war.

Er schöpfte sein literarisches Material aus den Erfahrungen eines Arztes für die kleinen Leute am Berliner Alexanderplatz: aus dem Erleben der Revolution von 1918, den ihr folgenden Gegenrevolten, vom Kapp-Putsch des Jahres 1920 bis zu Hitlers Marsch auf die Feldherrnhalle im November 1923. Die Republik von Weimar – sie erschien Döblin schon frühzeitig als eine Art Totgeburt. »Die Republik war von einem weisen Mann aus dem Ausland ins Heilige Römische Reich gebracht worden; was man mit ihr machen sollte, hatte er nicht gesagt: es war eine Republik ohne Gebrauchsanweisung.«

wallenstein In dieser Republik kam 1920 Döblins Wallenstein-Roman heraus, dessen Geschichte ihm als Analogie zur Gegenwart erschien. »Mein Wallenstein entstand völlig aus der Realität. Ich habe einen gemeinen Krieg durchgemacht.« Döblin war im Ersten Weltkrieg Militärarzt gewesen. Die Offizierskaste, die er dort kennenlernte, deren Angehörige später die Weimarer Demokratie nach Kräften bekämpften, stand Pate für das Personal des Romans.

Bei Döblin beginnt Wallenstein, eine Militärdiktatur zu errichten. Die Stände, die Kaiser und Reich Steuern verweigert hatten, werden von Offizieren beaufsichtigt. »Ein neuartiges herrisches hartes Wesen trugen all diese Männer zur Schau, die als Offiziere der Armada durch die Städte und Landschaften ritten; gaben an Stolz den eingesessenen Patriziern nicht nach, hatten eine deutliche Nichtachtung gegen die Bürger, ehrten Besitz nicht.« Fast prophetisch schreibt er: »Die Dinge aber enthüllen sich. Wallenstein zeigte sein grausiges Gesicht: Ein einiges deutsches Reich, eine einige Knechtung ... Die Sprache des neuen Herrschers Armut, Entrechtung, Versklavung.«

exil 1933 wurde das Realität. Am 2. April schreibt Döblin an seinen Freund Ferdinand Lion: »Es ist da jetzt so eine Sache im Lande. Am 10. Mai ist Autodafé, ich glaube, der Jude meines Namens ist auch dabei, erfreulicherweise nur papieren. So ehrt man uns ...«

Alfred Döblin wird aus der Preußischen Dichter-Akademie ausgestoßen. Er flüchtet zunächst in die Schweiz, dann quer durch Frankreich über Spanien und Portugal in die USA. Das Exil kann seine literarische Produktion nicht unterbrechen. Hamlet oder Die lange Nacht nimmt ein Ende fällt in diese Zeit. Später folgt sein historischer Amazonas-Roman über die Kolonisierung Südamerikas.

In Amerika war Döblin zum Katholizismus konvertiert. Als französischer Kulturoffizier kehrte er 1945 nach Deutschland zurück. In der Adenauer-Republik nach 1949 konnte er sich nicht mehr zurechtfinden. »Es ist geblieben, wie es war. Ich finde hier keine Luft zum Atmen« kann man in den Schriften zu Leben und Werk lesen. »Es ist nicht Exil, aber etwas, was daran erinnert. Nicht nur ich, sondern meine Bücher haben es auch erfahren: im Beginn mit einem wahren Freudenschrei begrüßt, bleiben sie zuletzt verhungert liegen.«

Alfred Döblins letzte Themen heißen Krankheit, Alter, Tod. »Ich halte den Tod, wenn er nicht zu früh kommt, für ein sehr natürliches, uns angepasstes Ereignis. Im Laufe einiger Jahrzehnte haben wir reiflich Zeit, uns mit den Mängeln und Ecken unserer Persönlichkeit zu befassen. Man kennt sich allmählich gründlich und möchte umziehen.« Als er am 26. Juni 1957 im Landeskrankenhaus von Emmendingen stirbt, lautet die Diagnose auf Schüttellähmung. Dies war auch die Krankheit seiner Mutter gewesen.

Wilfried F. Schoeller: »Döblin. Eine Biographie«, Hanser, München 2011, 911 S., 34, 90 €

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