Geronimo

»Den Leser verführen«

Leon de Winter Foto: dpa

Herr de Winter, von Marcel Reich-Ranicki ist der Ausspruch überliefert: »Wenn Sie etwas ganz besonders Dummes hören wollen, muss man einen Schriftsteller nur nach seiner politischen Meinung fragen.« Wie denken Sie darüber?
Ich bin davon überzeugt, dass Schriftsteller weder mehr noch weniger Ahnung von Politik haben als zum Beispiel Handwerker oder Köche. Mein Freund Henryk M. Broder hat zur politischen Meinung von Intellektuellen einmal gesagt: Die ist so irrelevant wie der Einfluss des Wasserstandes der Wolga bei Nischni Nowgorod auf das Wohlbefinden der Zwergbiber im Zoo von Wanne-Eickel. Wenn ich mich recht erinnere, wendete sich Reich-Ranicki mit dem Zitat aber vor allem gegen die Engagierte Literatur, der politische Stellungnahmen wichtiger sind als die Darstellung der Bedingungen des Menschseins.

Wie politisch also darf oder sollte die Literatur demnach sein?
Literatur darf alles, solange sie nicht langweilt. Stücke von Shakespeare etwa konfrontieren uns mit politischen Fragen. Zugleich handeln sie aber auch von der Conditio humana. Sie fragen nach unseren Hoffnungen, Träumen und Ängsten und erzählen von Liebe, Trauer, Hoffnungslosigkeit und Tod. Guter Literatur merkt man nicht an, dass sie womöglich auch eine politische Botschaft enthält. Bei schlechter Literatur merkt man die Absicht und ist verstimmt.

Ihr neuer Roman »Geronimo« ist wie jedes Ihrer Bücher hochpolitisch und erzählt auf abenteuerliche Weise die Ergreifung des Al-Qaida-Anführers Osama bin Laden neu. Wie kommt man auf einen solchen Plot?
(lacht) Ich denke vor jedem neuen Roman: Das klappt nie! Viel zu viele Themen, politisch völlig überfrachtet, keine Chance. Dann beginnt das Handwerk: Bei »Geronimo« habe ich ein Jahr lang an der dramatischen Struktur gearbeitet. Die Hauptfrage ist: Wie kann ich den Leser verführen? Am Ende klappt es entgegen jeder Hoffnung irgendwie doch immer.

»Geronimo« spielt auch mit den Verschwörungstheorien, die im Zusammenhang mit bin Laden kursieren. Warum ist die Frage so faszinierend, ob die Jagd wirklich so verlaufen ist, wie offiziell verlautbart wird?
Es gibt keine Bilder oder Videos von seiner Tötung. Die Amerikaner sagen, dass das Material versehentlich gelöscht wurde – ein Freibrief für Verschwörungstheorien. Hinzu kommt die Frage, ob es wirklich notwendig und auch moralisch in Ordnung war, ihn zu töten.

Wie denken Sie darüber?
Natürlich hätte man ihn lebend in die USA überstellen können. Aber denken Sie nur daran, wie bin Laden sich vor Gericht hätte in Szene setzen und agitieren können. Das wollten die Amerikaner aus gutem Grund vermeiden. Und ob es koscher war, ihn zu töten? Man soll sich nie über den Tod eines Menschen freuen. Aber weinen muss man über bin Ladens Tod auch nicht. Sein Tod ist kein Verlust für die Menschheit.

Mit dem niederländischen Schriftsteller sprach Philipp Peyman Engel.

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