»Breaking News«

Das Scharon-Komplott

Im Fokus: Ariel Scharon wird bei Schätzing Opfer einer finsteren Kabale. Foto: Flash 90

Wenn deutsche Autoren Romane über Israel schreiben, ist der Protagonist oft ein Deutscher, der sich mit der Vergangenheit seines Landes schwertut und sich ein unbelastetes Verhältnis zu seinen israelischen Freunden ebenso sehr wünscht, wie er es vor lauter Befangenheit nicht hinbekommt.

Tom Hagen, der Hauptfigur in Frank Schätzings neuestem Thriller Breaking News, gehen solche Befindlichkeiten sonst wo vorbei. Er ist nach Tel Aviv gekommen, um sich von seinen nervenaufreibenden Einsätzen als Krisenreporter in Afghanistan, Libyen und Syrien zu erholen.

In Afghanistan hat er durch sein Draufgängertum das Scheitern einer Geiselbefreiung sowie den Tod einer Kollegin verursacht, wurde daraufhin von seinem Arbeitgeber, einem Hamburger Nachrichtenmagazin, gefeuert und rutschte in Alkohol und Selbstmitleid ab. Er ist nach Israel gekommen, weil es da vermeintlich ruhig ist, nicht, weil ihm das deutsch-jüdische Verhältnis am Herzen liegt. Aus der ersehnten Erholung wird, wie es das Genre verlangt, natürlich trotzdem nichts.

kino Wenn Frank Schätzing bekennt, seine Inspiration weniger aus anderen literarischen Werken zu beziehen als vielmehr aus Filmen, dann stapelt er tief – er hat eindeutig seinen Amos Oz und seinen David Grossman gelesen. Dennoch ist der filmische Einfluss in Breaking News überdeutlich, und das bezieht sich nicht nur auf die Action-Szenen, die aus jedem amerikanischen »Direct-to-DVD«-Reißer stammen könnten.

Schätzings Beschreibungen des Libanonkriegs aus der Sicht junger IDF-Soldaten evoziert Bilder aus israelischen Spielfilmen wie Waltz with Bashir oder Lebanon. Der obskure ProSieben-Fernsehfilm Das Jesus-Video von 2002 dürfte bei der Handlungskonzeption ebenfalls eine Rolle gespielt haben. Auch darin irrt ein blonder Deutscher durch Israel und wird von diversen Geheimdiensten verfolgt, weil er eine Videoaufnahme bei sich trägt, auf der der historische Jesus zu sehen sein soll.

Bei Schätzing besteht der McGuffin aus zwei Daten-CDs, die sein Held Tom Hagen einem Informanten abgekauft hat und auf der sich sensible Dokumente befinden, deren Bekanntwerden die nationale Sicherheit Israels gefährden könnte. Dass Hagen daraufhin sowohl vom Schin Bet als auch von einer Verräterzelle innerhalb des Inlandsgeheimdienstes durch Israel und das Westjordanland gehetzt wird, hat allerdings weniger mit den eher banalen Infos auf dieser CD zu tun, als mit einer saftigen Lüge, die Hagen in einem abgehörten Telefongespräch seinem Chefredakteur auftischt, um seine Story interessanter zu machen – und die sich im Verlauf der Handlung als wahr herausstellt.

verschwörung
Tom Hagen ist nämlich drauf und dran, ein Komplott aufzudecken, bei dem es um den früheren Premierminister Ariel Scharon geht – der zweiten Hauptfigur in Schätzings Roman. Denn das Buch besteht eigentlich aus zwei Romanen: einem Agententhriller, der im Israel der Gegenwart spielt (aber noch vor Scharons endgültigem Ableben Anfang dieses Jahres), und einer Geschichte des Staates Israel, erzählt anhand der Biografie von Ariel Scharon und der fiktiven Familie Kahn. Diese beginnt im Jahr 1929 im Kibbuz Kfar Malal, wo der kleine Arik sich mit den Söhnen der Kahns, Jehuda und Benjamin, anfreundet.

Jehuda gehört später zu den säkularen Siedlern erst im Sinai, anschließend in Gaza und ist einer der Sympathieträger dieses Handlungsstrangs. Überhaupt werden die Israelis im Westjordanland, obwohl der auktoriale Erzähler kein Hehl aus seiner Ablehnung der israelischen Siedlungspolitik macht, durchweg differenziert und mit Empathie dargestellt. Da ist etwa der Schoa-Überlebende Katzenbach, der, als die Sinai-Siedlung Jamit geräumt werden soll, nicht ein zweites Mal – nach 1938 – aus seinem Haus vertrieben werden will und es vorzieht, Selbstmord zu begehen.

Oder der liberale Rabbi David Cantor in der Westbank-Siedlung Efrat, der seinem deutschen Gast ins Stammbuch schreibt: »Wir können es schon nicht mehr hören, eure ständige Selbstgeißelung: Kollektivschuld über Generationen hinaus, der ganze Quatsch, und andererseits dieser verlogene Man-darf-ja-nichts-gegen-Israel-sagen-sonst-ist-man-gleich-Antisemit-Käse. Doch, man darf! Wir wollen Kritik. Aber wir wollen, dass ihr genau hinschaut.«

sachkundig Schätzing hat genau hingeschaut. Seinen Beschreibungen merkt man an, dass er das Land mehrfach bereist hat. Wer schon einmal in Tel Aviv oder Jerusalem war, wird die Städte in Schätzings Schilderungen wiedererkennen. Der Autor hat sich eingehend mit der Geschichte des Nahen Ostens beschäftigt, mit zahllosen Einheimischen gesprochen – und zugehört. Er hat verstanden, was der islamistische Terror für die Israelis bedeutet, dass die Palästinenser keineswegs nur unschuldige Opfer sind und dass Israel eine dynamische, lebendige und zur Selbstkritik fähige Gesellschaft ist.

Da verzeiht man es sogar, dass Breaking News wahrlich kein sprachliches Kunstwerk ist, dass die Logik bisweilen knirscht, einige der Figuren arg papieren daherreden und die Handlung erst nach knapp der Hälfte der 955 Seiten so richtig in Gang kommt. Wenn der Thrillerfan dann endlich auf seine Kosten kommt – und das kommt er (mehr wird hier nicht verraten) – hat er nebenbei so einiges über Israels Vergangenheit und Gegenwart erfahren.

Frank Schätzing: »Breaking News«. Roman, Kiepenheuer & Witsch, Köln 2014, 976 S., 26,99 €

Berlin

Mut im Angesicht des Grauens: »Gerechte unter den Völkern« im Porträt

Das Buch sei »eine Lektion, die uns lehrt, dass es selbst in den dunkelsten Zeiten Menschen gab, die das Gute dem Bösen vorzogen«, heißt es im Vorwort

 17.09.2025

Israel

»The Sea« erhält wichtigsten israelischen Filmpreis

In Reaktion auf die Prämierung des Spielfilms über einen palästinensischen Jungen strich das Kulturministerium das Budget für künftige »Ophir«-Verleihungen

von Ayala Goldmann  17.09.2025

Berlin

»Stärker als die Angst ist das menschliche Herz«

Die Claims Conference präsentiert in einem Bildband 36 Männer und Frauen, die während der Schoa ihr Leben riskierten, um Juden zu retten

von Detlef David Kauschke  17.09.2025

Auszeichnung

Theodor-Wolff-Preis an Journalisten vergeben

Der Theodor-Wolff-Preis erinnert an den langjährigen Chefredakteur des »Berliner Tageblatts«, Theodor Wolff (1868-1943)

 17.09.2025

Los Angeles

Barbra Streisand über Dreh mit Robert Redford: »Pure Freude«

Mit dem Klassiker »The Way We Were« (»So wie wir waren«) brachen die beiden Stars in den 70er-Jahren Millionen Herzen. Nach dem Tod von Redford blickt Hollywood-Ikone Streisand zurück auf den Dreh

von Lukas Dubro  17.09.2025

Kritik

Toni Krahl hat »kein Verständnis« für israelfeindliche Demonstrationen

Was in der Region um Israel passiere, sei ein Drama, das sich über Jahrzehnte entwickelt habe, sagte Krahl

 17.09.2025

Berlin

Für Toleranz, Demokratie: Margot Friedländer Preis vergeben

Es ist die erste Preisverleihung nach dem Tod der Stifterin. Ausgezeichnet wird der Einsatz für die Ideale der im Frühjahr gestorbenen Holocaust-Überlebenden

 17.09.2025

Hochstapler

»Tinder Swindler« in Georgien verhaftet

Der aus der Netflix-Doku bekannte Shimon Hayut wurde auf Antrag von Interpol am Flughafen festgenommen

 16.09.2025

Eurovision Song Contest

Streit um Israel: ESC könnte wichtigen Geldgeber verlieren

RTVE ist einer der fünf größten Geldgeber des Eurovision Song Contest. Umso schwerer wiegt der Beschluss, den der spanische Sender verkündet

 16.09.2025