Darren Aronofsky

»Das Raue und das Dreckige war enorm präsent«

Zum Screening von »Caught Stealing« kam Darren Aronofsky (56) in die Astor Film Lounge Berlin. Foto: picture alliance / Eventpress Kochan

Seit über 25 Jahren gehört Darren Aronofsky zu den spannendsten und meistbeachteten Regisseuren des US-Kinos. Fünf seiner Filme wurden bereits für Oscars nominiert, er selbst für die Regie von Black Swan. Bei den Filmfestspielen in Venedig erhielt er für The Wrestler den Goldenen Löwen. Nun meldet sich der 1969 als Sohn jüdischer Lehrer in Brooklyn geborene Filmemacher mit »Caught Stealing« in den Kinos zurück und stand dafür im Berliner Hotel »Adlon« Rede und Antwort.

Herr Aronofsky, von »Requiem for a Dream« über »The Wrestler« und »Black Swan« bis hin zu »The Whale« kennt man Sie bislang vor allem für Filme voller Tragik, Schmerz und Abgründe. Nun legen Sie mit »Caught Stealing« Gangster-Action mit sehr viel Humor vor. Wollten Sie zur Abwechslung mal ein Gegengewicht liefern zu unserer Realität, die schon bitter genug ist?
Eigentlich können wir das gern so stehen lassen. Aber ganz so bewusst hatte ich diesen Plan nicht geschmiedet, wenn ich ehrlich bin. Vielmehr hatte ich das Drehbuch schon vor Jahren mit Begeisterung gelesen, die Entwicklung begann als0 bereits vor längerer Zeit. Nach »The Whale« wollte ich so schnell wie möglich wieder arbeiten und war voller Tatendrang. Als ich Austin Butler kennenlernte, wusste ich schnell, dass er der richtige Typ für diese Geschichte ist. Letztlich ist »Caught Stealing« also nicht als Reaktion auf irgendetwas entstanden, sondern weil sich die Gelegenheit ergab und die Zeit reif war. Dass ich mir obendrein den Traum erfüllen konnte, endlich mal wieder zu Hause in New York zu drehen, war dabei das i-Tüpfelchen. Ich konnte morgens zur Arbeit laufen!

Was in der von Charlie Huston selbst adaptierten Romanvorlage war es denn, das Sie so begeistert hat?
Das New-York-Setting war schon sehr entscheidend. Interessanterweise ist Charlie gar nicht aus New York, aber ich konnte in den Worten des Drehbuchs die Stadt dennoch unglaublich intensiv spüren. Überhaupt: Die Atmosphäre der Straßen, das Raue und Dreckige war enorm präsent und authentisch. Das sprach mich sehr an, zumal in Kombination mit den schrägen Figuren und den vielen überraschenden Wendungen der Geschichte. Aber als waschechter New Yorker kann ich nicht leugnen, dass die Stadt in diesem Fall das A und O für mich war. Weswegen ich es dann auch verdammt spannend fand, wie New York am Ende beinahe eine Art Co-Autorin des Films wurde. Oder zumindest eine Mit-Produzentin.

Wie meinen Sie das?
Durch die Suche nach Drehorten in der Stadt entstanden mitunter noch ganz neue Ideen, die Charlie kurzfristig ins Drehbuch integrierte. Eine entscheidende Szene etwa sollte ursprünglich in einem Park am East River, direkt neben dem FDR Drive, spielen. Doch da wird gerade ganz viel umgebaut, und alle anderen großen New Yorker Highways erschienen uns ungeeignet. Dann kam einer der Produzenten auf Flushing Meadows – und ich war sofort begeistert. Der Park ist eine ikonische Location und obendrein gleich um die Ecke vom Flughafen LaGuardia. Außerdem fiel mir bei unserer Begehung auf, dass ganz in der Nähe das Baseball-Team der New York Mets spielt. Da Baseball für den Protagonisten unserer Geschichte ein großes Thema ist, das im Buch recht viel Raum einnimmt, spielte uns das voll in die Hände.

Lange Jahre wurden New Yorker Geschichten oft in Toronto oder Atlanta gedreht, weil Filmarbeiten vor Ort viel zu mühsam und teuer geworden waren. Hat sich das wieder geändert?
Mühsam kann es immer noch sein. Aber wir hatten das Glück, dass uns von städtischer Seite wirklich geholfen wurde. Da haben die Verantwortlichen allerlei bürokratische Hindernisse aus dem Weg geräumt. Man spürte deutlich, dass der Stadt wieder viel daran liegt, Dreharbeiten zu ermöglichen. Teuer war das alles trotzdem! Hat sich aber gelohnt, denn man bekommt für das Geld auch echte Qualität.

Die Geschichte spielt in den späten 90er-Jahren. Wie haben Sie die Stadt damals in Erinnerung?
Um es gleich vorwegzusagen: Für mich ist New York auch heute noch eine absolut fantastische Stadt, in der ich unglaublich gern lerne. Aber damals war sie wirklich einzigartig. Was natürlich auch daran lag, dass die Welt insgesamt eine gute Phase hatte und nicht so furchteinflößend war wie heute. Alle blickten mit viel Hoffnung und großen Erwartungen in Richtung des neuen Jahrtausends, die Berliner Mauer war gefallen und die Sowjetunion zusammengebrochen, womit die Gefahr eines nuklearen Holocaust im Kalten Krieg schnell zur Erinnerung verblasste. Und niemand ahnte, dass ein paar Jahre später der 11. September alles verändern würde. Im Rückblick muss man sagen: Wir hatten es damals praktisch paradiesisch – und haben es dann irgendwie doch vermasselt.

Allerdings war doch die Stimmung auch damals nicht ausschließlich gut, oder? In »Caught Stealing« hört man jedenfalls einige Figuren jammern und sich über die Veränderungen in der Stadt beschweren, nicht zuletzt die »Säuberungsbemühungen« des damaligen Bürgermeisters Giuliani.
Klar, die New Yorker beschweren sich sowieso immer. Aber verglichen mit all den Sorgen und Ärgernissen, die uns heute beschäftigen, waren das damals Nichtigkeiten. Giuliani hat allerdings wirklich viel Mist gemacht. Er führte zum Beispiel das sogenannte »Cabaret Law« wieder ein, ein Gesetz, mit dem das Tanzen in Bars verboten wurde. Völliger Irrsinn. Wir konnten gar nicht glauben, dass wir plötzlich irgendwo am Tanzen gehindert wurden. So, als seien wir irgendwo in einem Provinzkaff, so wie im Film »Footloose«.

Sie selbst drehten damals in New York Ihren ersten Spielfilm »Pi«. Vermutlich in einigen der gleichen Ecken, wo nun auch »Caught Stealing« spielt, richtig?
Ganz genau, zum Beispiel in Chinatown und dem East Village. »Pi« kam im Juni 1998 in die Kinos, und »Caught Stealing« spielt im September desselben Jahres. An manchen Drehtagen kam der Produktionsdesigner am Abend zu mir und fragte: »Und? Hast du’s entdeckt?« Denn er hat dann immer wieder »Pi«-Aufkleber oder Schablonen-Graffitis ins Set integriert. Was genau die Wege waren, wie wir damals Werbung für den Film gemacht haben.

War Authentizität beim Abbilden Ihrer Geburtsstadt die oberste Maxime?
Kann man so sagen. Ich wollte New York wirklich in aller Vielfalt und Intensität abbilden, und da kann man einfach nicht faken. Es ging da nicht nur um die Stadtteile, sondern auch um all die unterschiedlichen Widersacher unseres Protagonisten Hank. In New York hat jeder mindestens eine Großmutter aus einem anderen Land. Ganze Generationen kommen hier zusammen, um echte New Yorker zu werden, und für mich steckt in dieser Schmelztiegel-Idee wirklich die Schönheit dieser Stadt. Besonders viel Spaß hatte ich übrigens daran, in Brighton Beach zu drehen. Nebenan in Manhattan Beach bin ich aufgewachsen, daher kenne ich den Stadtteil natürlich bestens, und ausgerechnet dort nun Explosionen und Verfolgungsjagden inszenieren zu können, war eine echte Ehre.

Die dortige jüdisch-orthodoxe Community spielt eine wichtige Rolle im Film. Zu der haben Sie aber keinen persönlichen Bezug, oder?
Nein, ich komme zwar aus der jüdischen Community New Yorks, aber mit dem orthodoxen Teil hatten wir keine echten Berührungspunkte. Das ist ja ohnehin eine sehr abgeschottete Welt. Wobei es nicht schwierig war, Zugang zu Recherchezwecken zu bekommen. In der Romanvorlage sind die Figuren anders angelegt, für meinen Geschmack ein wenig zu offensichtlich und naheliegend. Ich suchte nach einem Weg, sie origineller zu gestalten, und Charlie konnte mit der Idee, Lipa und Shmully in orthodoxe Juden zu verwandeln, viel anfangen. Die Schabbat-Dinnerszene, die er sich dann ausdachte, gehört zum Lustigsten, was ich je gedreht habe.

Liev Schreiber und Vincent D’Onofrio sind großartig in ihren Rollen, aber Carol Kane ist der heimliche Star dieser Szene. Zumal sie nur Jiddisch spricht!
Einen einzigen Satz sagt sie auf Englisch! Aber ich hatte den Eindruck, dass es stimmig und glaubwürdig ist, wenn sie ansonsten Jiddisch spricht. Ganz im Sinne der Authentizität eben. Womit wir auch wieder bei den Großmüttern aus anderen Ländern sind, die ich eben schon erwähnte. Der von Benito Ocasio gespielte Colorado hat sicherlich auch eine Oma, die nur Spanisch spricht. Und die russischen Gangster haben noch einmal eine ganz andere Geschichte. Aber sie sind eben alle typische New Yorker!

Wo wir gerade bei Schreiber und D’Onofrio waren: Wie gewinnt man so prominente Schauspieler für solche vergleichsweise kleinen Rollen?
Ich war ja ganz froh, dass man sie in ihren Kostümen und dem Make-up nicht sofort erkennt, denn das hätte vielleicht ablenkend wirken können. Aber um Ihre Frage zu beantworten: Liev und ich sind seit Ewigkeiten befreundet und wollten schon lange einmal zusammenarbeiten. Ich musste ihn nicht wirklich überreden, sondern es ging nur darum, ob die Drehtage zeitlich für ihn passen. Als er einmal zugesagt hatte, war das wiederum der Grund für Vincent, mir ebenfalls keinen Korb zu geben.

Im Zentrum aber steht natürlich Austin Butler, von dem Sie eingangs sagten, dass er den Ausschlag gab, diesen Film überhaupt umzusetzen. Wo begegneten Sie ihm?
Wir trafen uns einen Winter lang immer wieder bei verschiedenen Preisverleihungen, als er mit »Elvis« und ich mit »The Whale« im Oscar-Rennen war. Mich beeindruckte, was für ein Gentleman dieser junge Kerl war. Ganz zu schweigen natürlich, dass ich schnell erkannte, wie talentiert er ist und wie hart er arbeitet. Schon nach unserer ersten Begegnung dachte ich abends im Bett darüber nach, wie ideal er sich als Hank Thompson in »Caught Stealing« machen würde. Zum ersten Mal sah ich die Geschichte wirklich als Film vor meinen Augen. So habe ich dann angefangen, den Rest des Ensembles um ihn herum zu gestalten. Für die Rolle der Polizistin brauchte ich eine Frau, die es in jeder Hinsicht mit Hank aufnehmen kann, ohne hier zu viel zu verraten. Keine leichte Aufgabe, schließlich ist Austin ziemlich groß. Aber Regina King konnte mit seiner Energie mithalten. Und Zoë Kravitz war jemand, die nicht nur zu ihm passte, sondern auch den nötigen New-York-Flair mitbrachte.

Mit dem Regisseur und Drehbuchautor sprach Patrick Heidmann.
»Caught Stealing« läuft ab dem 28. August im Kino.

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