Geburtstag

Das Prinzip Woody

Ein Skeptiker in der Tradition der großen Komödiendichter: Woody Allen Foto: Cristóbal Schmal

Geburtstag

Das Prinzip Woody

Jedes Jahr ein neuer Film: Woody Allen ist 75 Jahre alt

von Rüdiger Suchsland  30.11.2010 10:28 Uhr

Schauplatz New York, East Village oder Central Park, im Hintergrund ertönt Jazzklarinette, vielleicht etwas von Gershwin, es könnte auch Irving Berlin sein oder Benny Goodman. Ein etwas älterer, intellektuell wirkender Mann geht mit einem jungen Mädchen spazieren, zwischendurch setzen sie sich auf eine Bank. Die beiden reden, besonders der Mann. Es geht um Bücher, um Philosophie und um Kino. Das Mädchen sagt Sätze wie »Mit 13 war ich über Dostojewski hinaus« oder »Eine Katharsis fällt mir leicht, das bekomme ich täglich.« Der Mann erzählt, warum das Leben eine Katastrophe ist, wie er mit seiner Todesangst umgeht, und berichtet von den Sitzungen bei seinem Therapeuten. Aber eigentlich will er das Mädchen küssen. Falls es ihm nicht gelingt, gehen sie zusammen ins Kino. Vielleicht in etwas von Bergman.

new york Aus welchem Film die Szene stammt, weiß man vielleicht nicht. Aber zuordnen kann man sie auf Anhieb. Das muss von Woody Allen sein. Der Komiker, Regisseur und Schauspieler, der am Mittwoch 75 geworden ist (sein neuer Film Ich sehe den Mann deiner Träume läuft einen Tag später in den deutschen Kinos an), hat, wie vor ihm nur Charlie Chaplin, seinen eigenen cineastischen Kosmos erschaffen. So wie »Charlie, der Tramp« zum stehenden Begriff wurde, wurde es auch »Woody«. Man hat sofort das zerknitterte Gesicht, die roten Haare, die schwarz geränderte altmodische Brille vor Augen und den Typus, den Allen in seinen 46 Spielfilmen in der Regel selbst verkörpert: jüdisch, ungläubig, urban, intellektuell, zweifelnd, verklemmt, selbstironisch, im Praktischen unfähig, kurzfristig verführerisch für Frauen – und sei es nur, weil er ihre Mutterinstinkte weckt.

Auch wenn seine Filme einmal nicht in New York spielen, wo Allen am 1. Dezember 1935 als Allan Stewart Konigsberg geboren wurde, spürt man in ihnen immer die Luft des Big Apple. Sein Elternhaus war bürgerlich geprägt, aber verarmt. Die Jahre, in denen er als Kind liberaler Juden aufwuchs, waren die der Schoa in Europa und ihres Bekanntwerdens. Trotzdem war es eine behütete Kindheit, geprägt vom Alltag des Brooklyner Viertels Flatbush, der frühen Schwärmerei für Baseball und Kino, fürs Klarinettenspiel, Jazz und die täglichen Radioshows. In Radio Days hat Allen 1987 dieser Zeit, ihrer Musik, ihren Moden und Atmosphären ein wunderbares nostalgisches Denkmal gesetzt.

stadtneurotiker Sein komisches Talent zeigte sich früh. Als Teenager schrieb er erste Gags für Zeitungen, wurde mit 16 Drehbuchautor und gab sich seinen Künstlernamen. Über zehn Jahre dauerte es dann bis zu ersten eigenen Auftritten als Stand-up-Comedian in kleinen Clubs. Schon dort kultivierte er sein Markenzeichen, das Linkische, die Wendung eigener Selbstzweifel nach außen. Vom Anfang seiner Karriere an ist Allens Komik das Lachen über die eigene Unfähigkeit, sich dem Alltag anzupassen – ein Lachen, das diesen Alltag selbst infrage stellt.

Nach einigen Auftritten als Schauspieler unter der Regie anderer, 1965 etwa mit Peter Sellers und Romy Schneider in What’s new, Pussycat?, drehte Allen seit 1967 eigene Filme. Das erste Jahrzehnt war das der Absurdität und groben Gags. Zivilisationskomödien (Schläfer), Parodien (Bananas), Grotesken (Die letzte Nacht des Boris Gruschenko) zeigen, dass er in dieser Zeit noch seinen Stil suchte. Ihn fand er 1977 mit Annie Hall (deutsch Der Stadtneurotiker), mit vier Oscars sein bis heute erfolgreichster Film. In dieser Zeit begann auch die zehnjährige Zusammenarbeit mit Kameramann Gordon Willis, bevor der –mit Hannah und ihre Schwestern (1986), dem zweiten Oscargewinn für Allen und seinem bisher finanziell einträchtigsten Film – von Carlo Di Palma abgelöst wurde. Hannah und ihre Schwestern schließt Allens Glanzzeit ab, die Werke danach, geglückte wie missglückte, wirken epigonal und »spätwerkhaftig«. Sie setzen fort, variieren, aber fügen nichts Neues hinzu.

zelig Zwei Filme fallen in Allens Glanzzeit besonders auf; es sind stilistische Ausnahmen und kritische, sehr pessimistische Selbstanalysen des Regisseurs. Der eine ist Stardust Memories von 1980, in dem Allen in der Rolle eines Komödienregisseurs zu sehen ist, der plötzlich »ernsthafte Filme drehen« will. Produzenten bedrängen ihn, Fans verfolgen ihn. Der New Yorker flieht nach New Jersey – auch das ist ein Witz – ins »Stardust Hotel« und stellt sich Publikum und Kritik. Stardust Memories ist eine bitterböse, im Rückblick visionäre Abrechnung mit dem Promibetrieb.

Der zweite Geniestreich der 80er-Jahre ist die Fake-»Dokumentation« Zelig von 1983. Die Hauptfigur Leonard Zelig ist ein menschliches Chamäleon, ein ultimativer Opportunist, der sich seiner jeweiligen Umgebung bis in die eigene Physiognomie anpasst. »Führende französische Intellektuelle« heißt es im Film, »sahen in ihm einfach ein Symbol für alles.« Zelig ist eine Satire auf die mediale Öffentlichkeit, ein Essay über Identität und deren Verlust, vor allem aber eine Zeitreise durch das 20. Jahrhundert in pseudodokumentarischen Bildern, auf denen der Jude Zelig irgendwann auch in Naziuniform neben Hitler auf dem Podium sitzt, wo er dem NS-Führer die Pointe eines Polenwitzes vermasselt. Die zeitgenössische Kritik feierte Zelig als »den Citizen Kane der 80er-Jahre«. Wolfram Schütte etwa schrieb in der Frankfurter Rundschau, Zelig zeige »die Unmöglichkeit der Geschichtsschreibung per Filmbildern auf: Die Bilder Allens belegen, was alles erfunden sein könnte, die historische Zeitreise Zeligs kontaminiert den Wahrheitsanspruch aller Bilder« – eine subversive Feststellung, die 30 Jahre später durch die digitalen Techniken eingeholt und bestätigt worden ist.

Paris So ist der Komiker Allen immer auch ein pessimistischer Kritiker seiner Gegenwart. Unmöglich kann man die Vielfalt seiner Filme auf eine Formel bringen. Nie sind sie nur Komödien, sondern mitunter hochtraurig (Innenleben) oder zynisch (Verbrechen und andere Kleinigkeiten). Auch formal sprengt Allen als Regisseur mit kleinsten Mitteln die Grenzen. Mal kommentiert ein antiker Theaterchor die Handlung (Mighty Aphrodite), mal ist eine Figur den ganzen Film über unscharf, weil Allen die postmoderne These vom Verschwinden des Autors parodieren will, wie in Deconstructing Harry, einem seiner besten Filme aus den vergangenen zwei Jahrzehnten.

Eine Weile schien Allen Lust aufs postmoderne Schlüpfen in Autorenrollen und Genreklischees zu haben – er drehte im Stil von Casablanca, von alten Stummfilmen, von Musicals, von Detektivgeschichten. Seit Anfang des Jahrtausends lässt er sich durch europäische Schauplätze anregen und drehte dreimal in London, dann in Barcelona, zuletzt in Paris – sein neuer Film Midnight in Paris dürfte für Cannes 2011 bereits gesetzt sein. Mit unzähligen großen Stars hat er zusammengearbeitet, vielen von ihnen zum Oscar oder anderen Preisen verholfen. Nach wie vor dreht Allen pro Jahr mindestens einen Film. Er bleibt dabei der philosophischste aller Regisseure, in der Tradition der großen Komödiendichter ein Skeptiker, der nicht nur persönlich immer den Abgründen nahe ist und darum uns alle trifft.

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