Yael Ronen

Das Gefühl von Schuld

Tabubrecherin: Regisseurin Yael Ronen ist im Starreigen des deutschen Theaters angekommen. Foto: dpa

Yael Ronen

Das Gefühl von Schuld

Die Regisseurin überzeugt mit ihrer Inszenierung »Common Ground« beim Berliner Theatertreffen

von Fabian Wolff  04.05.2015 20:32 Uhr

Anmerkung der Redaktion (2. August 2023):

Als dieser Text von Fabian Wolff in der Jüdischen Allgemeinen erschien, glaubte die Redaktion Wolffs Auskunft, er sei Jude. Inzwischen hat sich Wolffs Behauptung als unwahr herausgestellt.

Welche Bedeutung hat Theater eigentlich im Deutschland des 21. Jahrhunderts? Gerade gibt es darüber Streit zwischen Altmeister Claus Peymann und dem Berliner Kulturstaatssekretär Tim Renner. Die Debatte selbst wirkt gar nicht wie aus dem 21. Jahrhundert. Viele Menschen, auch und gerade aus dem Kulturbetrieb, sehen in dem Krach nur einen Zwist zwischen Alpha-Männern.

Andere wiederum scheren sich nicht um solche Standortbestimmungen, weil sie ihren Platz schon gefunden haben. Zwischen den Stühlen nämlich – wie Yael Ronen. Laut SPIEGEL ist die israelische Regisseurin der »Star des Berliner Theatertreffens«, das noch bis zum 17. Mai stattfindet. 2008, nach ihrer ersten Produktion in Deutschland, war sie noch wahlweise »enfant terrible«, »Wunderkind« oder »Tabubrecherin«, jetzt ist sie also im Starreigen des deutschen Theaters angekommen.

persönlich Auf dem Theatertreffen präsentiert Yael Ronen Common Ground, eine Art Fortsetzung früherer Arbeiten wie Dritte Generation. Mit Schauspielern bosnischer, serbischer und kroatischer Herkunft sowie einer Israelin und einem Deutschen hat sie ehemalige Kriegsgebiete im Balkan besucht und die Eindrücke sowie auch persönliche Geschichten zu einem Stück verwoben. Immer wieder lässt sie dabei Menschen aufeinandertreffen, die von einem Ort zum anderen ziehen und darüber sprechen, was sie verloren und was sie gefunden haben.

Yael Ronen selbst ist solche Wege schon oft gegangen. Sie ist 1976 in Jerusalem geboren, ihre ganze Familie macht Theater. Ihr Vater Ilan Ronen ist seit 2004 Intendant der Habimah, des israelischen Nationaltheaters in Tel Aviv, ihre Mutter Rachel Hafler ist Schauspielerin. Mit ihrem Bruder Michael, ebenfalls Theatermacher, hat sie schon gemeinsam Stücke produziert.

Ihr Großvater Wolf Fröhlich stammt aus Wien und ist Mitte der 30er-Jahre nach Palästina gegangen – weshalb Yael Ronen gelegentlich den Zusatz »österreichisch-israelisch« erhält. Letztes Jahr hat sie in Graz und später Berlin zusammen mit ihrem Bruder ein Stück zu diesem Teil ihrer Familiengeschichte gemacht. In Hakoah Wien benutzt sie die Geschichte des jüdischen Sportvereines für eine fiktive Begegnung des Opas mit der schon längst erwachsenen Enkelgeneration.

Antisemitismus Die Fußballabteilung von Hakoah wurde 1925 österreichischer Fußballmeister. Ein besseres Symbol für scheinbar gelungene Assimilation einerseits und jüdisches Bestehen andererseits ist kaum denkbar. Ronens Großvater Wolf Fröhlich war im gleichen Sportverein Leichtathlet, bis er wegen des zunehmenden Antisemitismus emigrierte.

70 Jahre später verlässt auch Michael Ronen sein Heimatland, geht nach dem Militärdienst mit einem österreichischen Pass – der ihm wegen seines Großvaters zusteht – nach Europa. Malte Oberschelp schrieb in dieser Zeitung, dass beide, Großvater und Enkel, zu unterschiedlichen Zeiten diesen Weg begehen, weil sie »Krieg und Gewalt befürchten«.

Diese Art von Gleichsetzung – der junge Jude, der aus dem antisemitischen Österreich flüchtet, wo bald Menschen deportiert werden, und der junge Israeli, der Israel als militarisiertes Land erlebt und den Rücken zukehrt – ist nicht unproblematisch. Ronen will individuelle und kollektive Erfahrungen verbinden. Dafür braucht sie Anknüpfungspunkte. Das Ziel ist immer Erkenntnisgewinn – in manchen Arbeiten kann man fast von Selbsttherapie sprechen.

klischees Auf jeden Fall schafft Yael Ronen Räume, in denen Menschen miteinander in Dialog treten können. Für Dritte Generation ließ sie palästinensische, israelische und deutsche Akteure gemeinsam durch Israel reisen. In langen Workshops trugen sie dann ihre Erfahrungen vor, tauschten sich aus. Daraus wurden Szenen erarbeitet, die Klischees und Selbsttäuschungen verhandelten.

Das Stück lief zwei Jahre lang an der Schaubühne, war aber nie unumstritten. Isaak Behar, damals Gemeindeältester der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, forderte die Schaubühne auf, die Inszenierung vor der Premiere zu stoppen, weil das Schicksal der Palästinenser mit dem Holocaust gleichgesetzt werden würde. Ronen antwortete ihm, dass das keineswegs ihre Absicht sei.

Damals äußerte sie noch Bedenken, ob die scharfen israelischen Innenansichten bei einem deutschen Publikum nicht vielleicht falsche Eindrücke hinterlassen könnten, sogar »verstörend und gefährlich« sind, wie Ronen damals sagte. Auch Hakoah Wien ist von der Frage geprägt, ob Fröhlichs Enkel Yael und Michael nicht sein Erbe missachten, wenn sie aus dem Land gehen, das er mühsam aufgebaut hat. Für die Ronens stellt sich aber eben auch die Frage, ob es dieses Land überhaupt noch gibt.

Netanjahu Tatsächlich hat es Yael Ronen in einem Interview mit der Berliner Zeitung als Verrat bezeichnet, den sie empfindet, weil sie das Land denen überlässt, denen sie nicht vertraut: »Für Israel ist es ein Riesenverlust, dass so viele weggehen.« An anderer Stelle berichtet sie von ihren Freunden, die angeblich durch die Politik von Israels Premierminister Benjamin Netanjahu depressiv geworden sind.

Israel als Land, das sich selbst schadet, ist ein beliebtes Narrativ, nicht nur bei echten, sondern auch vermeintlichen Freunden. Die Begeisterung über Israelis in Berlin hat auch etwas damit zu tun, dass man implizit oder explizit leichter an lebende Kronzeugen kommt, die die eigene vage negative, vage »besorgte« Meinung zu Israel bestätigen und das sogar dürfen.

Bruder und Schwester Ronen gehören zu genau diesen Israelis. Michael hat eine deutsche Dramaturgin geheiratet, zur Verärgerung ihres Vaters heiratete Yael einen palästinensischen Schauspieler. Aus jeder Äußerung zu ihrem Wohnort Berlin klingt Ambivalenz – sie will jetzt aber endlich Deutsch lernen, um ihrem Sohn eines Tages bei den Schulaufgaben zu helfen.

konzentrationslager Yael Ronen wird eine Außenseiterin bleiben, die Deutschland durchschaut. »Wieder Konzentrationslager in Europa – und dieses Mal haben wir nichts damit zu tun! Was für eine Erleichterung!«, lässt sie in Common Ground einen deutschen Schauspieler über den Balkankrieg sagen.

Dahinter verbirgt sich Spott über deutsche Abwehrmechanismen, aber auch Verständnis für die dritte Generation. Mit ihren Stücken versucht Ronen so etwas wie eine Durchmessung dieser Kohorte, die, ganz gleich aus welchem Land, irgendwie zusammenhängt und sich jetzt im »common ground« Berlin trifft.

Ihr Thema ist nicht Schuld, sondern das Gefühl von Schuld, als echte Last, der man sich stellt oder die man versucht loszuwerden, manchmal auch wirklich nicht tragen muss. Diesem Brocken begegnet sie mit Humor, der oft beißend ist, und mit Theaterlust. Yael Ronens Stücke laden ein, damit sie in den Aussagen auch mal abschrecken können. Damit macht sie tatsächlich Theater für das 21. Jahrhundert – ganz ohne Schlammschlacht.

Dortmund

Herzen in der Halle

Die erste Hälfte der Jewrovision zeigte, was in den Jugendzentren steckt

von Katrin Richter  08.06.2025

Jewrovision

Los geht’s

In Dortmund treffen sich über 1200 Jugendliche zum Gesangs- und Tanzwettbewerb unter dem Motto »United in Hearts«

von Katrin Richter  08.06.2025

Interview

»Es findet ein Genozid statt« – »Israel muss sich wehren«

Henryk M. Broder und Hamed Abdel-Samad über ihre langjährige Freundschaft, was sie verbindet – und was sie nach dem 7. Oktober 2023 trennt

von Philipp Peyman Engel  08.06.2025 Aktualisiert

TV-Tipp

Das Schweigen hinter dem Schweinderl

»Robert Lembke - Wer bin ich« ist ein kluger Film über Verdrängung, Volksbildung und das Schweigen einer TV-Legende über die eigene Vergangenheit. Nur Günther Jauch stört ein wenig

von Steffen Grimberg  08.06.2025

Rheinland-Pfalz

»Aus Beutebeständen« - NS-Raubgut in rheinland-pfälzischen Museen

Viele kleine Museen in Rheinland-Pfalz haben bisher nicht danach geforscht, ob NS-Raubgut in ihrem Besitz ist. In den Sammlungen von vier dieser mehr als 400 Museen sah eine Kunsthistorikerin nun genauer nach

von Norbert Demuth  06.06.2025

Medien

Deutschlands Oberlehrer

Wer will noch mal, wer hat noch nicht? In diesen Tagen scheint die Diffamierung Israels oberste Bürgerpflicht zu sein. Ein Kommentar

von Michael Thaidigsmann  06.06.2025 Aktualisiert

Berlin

Dokumentarfilm »Don’t Call It Heimweh« über Margot Friedländer

Die Dokumentation von Regisseur Thomas Halaczinsky zeigt Friedländers erste Reise aus New York nach Berlin im Jahre 2003. Es war ihre erste Fahrt in die Heimatstadt nach 60 Jahren

 05.06.2025

Bildung

Mehr als nur zwei Stunden Reli

Jüdischer Religionsunterricht muss attraktiver werden und auch Kinder erreichen, die keine jüdische Schule besuchen. Was kann konkret getan werden?

von Uri R. Kaufmann  05.06.2025

Wissenschaft

Wie die Jerusalemer Erklärung Antisemitismus verharmlost

Kritiker der IHRA-Antisemitismusdefinition behaupten gerne, die konkurrierende Jerusalemer Erklärung sei klarer und kohärenter. Doch das Gegenteil ist der Fall

von Ingo Elbe, Sven Ellmers  05.06.2025