Wuligers Woche

»Da stelle mer uns mal janz dumm«

Kapitalismus for Dummies? Foto: Getty Images

Bettina Schulte ist stellvertretende Kulturchefin der »Badischen Zeitung« in Freiburg mit den Themenschwerpunkten Literatur, Theater, Tanz, Hörspiel.

Diese Kunstformen werden zwischen Hochschwarzwald und Dreisam offenbar zu selten gepflegt, um Frau Schulte publizistisch auszulasten. Deshalb widmet sie sich in ihrem Blatt auch regelmäßig politischen Metathemen, vorzugsweise in der täglichen Kinderrubrik »Erklär’s mir«, einer Art Sendung mit der Maus im Südbadener Format.

KAPITALISMUS Vor zwei Wochen beispielsweise erklärte sie den Kapitalismus. Wofür Karl Marx drei dicke Bände schreiben musste, brauchte die Journalistin gerade einmal 976 Zeichen. »Dem Chef oder Chefin einer Firma, die man auch Unternehmer nennt, gehört alles, was mit der Firma zu tun hat. Sie müssen nur die Mitarbeiter bezahlen. Was dann übrig bleibt, ist ihr Gewinn.« So einfach geht die Mehrwerttheorie. Und ich Trottel habe an der Uni drei Semester lang Das Kapital studiert und hinterher immer noch nichts verstanden.

Antisemitismus ist pfui. Und woher kommt der Antisemitismus? Da wird Schulte fast zur Zionistin.

Genauso simpel wie die Marktwirtschaft werden auch der Judenhass und der Staat Israel erklärt. »Was ist Antisemitismus?«, fragte Schulte vorige Woche. Wie Lehrer Bömmel in der Feuerzangenbowle zu sagen pflegte: »Da stelle mer uns mal janz dumm.« Erster Satz: »Wer einen Menschen jüdischer Herkunft und jüdischen Glaubens ablehnt, weil er Jude ist, ist ein Antisemit. Und ein Rassist.«

HERZL Das wäre dann geklärt. Antisemitismus ist pfui. Und woher kommt der Antisemitismus? Da wird Schulte fast zur Zionistin: »Schon im Mittelalter wurden die Juden, die kein eigenes Land hatten und überall in der Welt lebten, für vieles verantwortlich gemacht, was schlecht lief.« Theodor Herzl hat es sinngleich so formuliert: »Andere Völker waren auch von Missgeschicken heimgesucht, aber es kommt ihnen immer wieder eine ungetrübte Zeit. Nur das verstreute Israel wird immer besiegt und kommt nach den Niederlagen nicht zur Ruhe.«

Wofür Karl Marx drei dicke Bände schreiben musste, brauchte die Journalistin gerade einmal 976 Zeichen.

Logisch deshalb, dass »nach dem Krieg die Juden endlich ein Land bekamen, in dem sie leben können«. Und damit könnte die Geschichte auch zu einem guten Schluss gekommen sein. Wenn nicht die Juden jetzt fast das Gleiche machen würden, was ihnen vorher angetan wurde: »Der Staat Israel hat dafür die Palästinenser vertrieben und behandelt sie schlecht.« Israel ist also auch pfui. Und deshalb folgt als letzter Satz die Quintessenz: »Kritik an der Politik Israels zu üben, ist nicht automatisch Antisemitismus, obwohl viele deutsche Politiker das so sehen.«

Man muss Bettina Schulte dankbar sein. Entsprechende Texte im »Spiegel«, im Deutschlandfunk, in der »Süddeutschen Zeitung« und anderswo kann man sich zukünftig ersparen.

Was dort in komplex daherkommenden Worten gesagt wird, hat die Kollegin aus Freiburg einfach auf den Punkt gebracht. Nur die Überschrift muss noch geändert werden. Nicht »Was ist Antisemitismus?«, sondern »Wie funktionieren deutsche Nahostdebatten?«.

Fernsehen

Er ist nicht Leonard Cohen und sie ist nicht Marianne

Warum eine Serie über die legendäre Lovestory von Leonard Cohen und Marianne Ihlen scheitern musste

von Maria Ossowski  02.10.2024

Glosse

Der Rest der Welt

Champagner, Honig oder beides? Wie Rosch Haschana gelingt

von Nicole Dreyfus  02.10.2024

Zahl der Woche

72 Granatäpfel

Fun Facts und Wissenswertes

 02.10.2024

Aufgegabelt

Granatapfel-Gelee

Rezepte und Leckeres

 02.10.2024

Kolumne

Anwesenheit zählt

Eine Agnostikerin in der Dohány-Synagoge in Budapest

von Ayala Goldmann  01.10.2024

Meinung

Cem Özdemir, Diskursganoven und worüber eben doch gesprochen werden sollte

Ein Gastbeitrag von Rebecca Schönenbach

von Rebecca Schönenbach  01.10.2024

Gespräch

»In einer Welt ohne Israel kann ich nicht leben«

Leon Kahane über destruktive Dynamiken, Erlösungsfantasien und Antisemitismus im Kunstbetrieb

von Eugen El  01.10.2024

Literatur

Dana Vowinckel bekommt Buchpreis »Familienroman 2024«

Sie wird für ihren ersten Roman »Gewässer im Ziplock« ausgezeichnet

 30.09.2024

Kino

Liebhaber des Wahnsinns

Regisseur Todd Phillips widmet sich menschlichen Abgründen. Das zeigt er auch in der Fortsetzung von »Joker«

von Jens Balkenborg  27.09.2024