Komische Oper

Cancan zwischen den Fronten

»Offenbach neues Leben einhauchen«: Intendant Barrie Kosky Foto: dpa

Dass die Komische Oper Berlin unter Barrie Kosky in den vergangenen Jahren kontinuierlich vergessene Musik jüdischer Komponisten wiederentdeckt, könnte natürlich mit der persönlichen Geschichte des Intendanten zu tun haben: Kosky wuchs als Enkel jüdischer Einwanderer aus Russland, Polen und Ungarn in Australien auf.

Doch dem 48-Jährigen geht es weniger um die eigene Vita als um den vergangenen Alltag von Berlin. »Obwohl das jüdische Leben langsam wieder nach Deutschland zurückkehrt, wird es leider nie wieder die Bedeutung erlangen, die es in der deutschen Kultur der 20er- und 30er-Jahre einnahm«, sagt Kosky. »Auch deshalb ist der Schwerpunkt an der Komischen Oper dem gewidmet, was verloren gegangen ist – und nicht mehr zurückkehren wird.«

Comeback Barrie Kosky weiß, dass das Vergangene nicht reanimierbar ist, dass es sich aber sehr wohl lohnt, »Offenbach durch Erinnerung neues Leben einzuhauchen«, wie er sagt. Mit diesem Anspruch hat Kosky in der Vergangenheit bereits eine Kurt-Weill-Woche inszeniert und Emmerich Kálmán sowie besonders Paul Abraham zurück auf seine Bühne geholt.

Da ist es nur konsequent, dass er nun auch Jacques Offenbach vom 10. bis zum 17. Februar mit einem eigenen Festival würdigt. Schließlich gilt der jüdische Komponist aus Köln als »Erfinder der Operette«. Wohlgemerkt: Nicht jener Operette mit Walzer-Kitsch und Champagnerseligkeit, sondern der bitterbösen Musik-Satire, deren Leichtigkeit besonders für Politiker zu Zeiten Offenbachs (1819–1880) nur schwer verdaulich war.

Für Kosky ist Offenbach die Grundlage Kálmáns, Abrahams und Weills, die er in gewissem Sinne vorweggenommen hat. In seinem Festival will er das Werk des Komponisten jetzt in Expertenvorträgen und öffentlichen Diskussionen beleuchten, theatrale Entdeckungen auf die Bühne bringen – und Offenbach auch vor dem Hintergrund seiner Biografie vorstellen.

publikumsliebling Geboren wurde Offenbach 1819 in Köln als Sohn von Isaac Ben-Juda Eberst. Der Vater wählte einen neuen Nachnamen und bezog sich dabei auf seine Geburtsstadt Offenbach – wo er Kantor der jüdischen Gemeinde war. Mit nur 14 Jahren schickte er seinen Sohn zum Studium nach Paris, dort unterrichtete ihn Luigi Cherubini am Konservatorium. Aus Jakob wurde Jacques Offenbach, und der avancierte schnell zum Liebling am Théâtre Français.

Der Komponist mischte die französische Hauptstadt auf, durch seine zynischen und politisch anspielungsreichen Stücke wie Die schöne Helena, Orpheus in der Unterwelt und Ritter Blaubart. Doch mit dem Deutsch-Französischen Krieg im Jahr 1870 ließ Frankreich ihn fallen, beschuldigte den Komponisten, ein Spion Bismarcks zu sein, während Deutschland ihn als Vaterlandsverräter beschimpfte. Offenbach brachte seine Familie in Spanien in Sicherheit und feierte erst am Ende seines Lebens noch einmal Erfolge auf einer großen Reise durch die USA.

Nicht nur die deutsch-französische Identität steht an der Komischen Oper auf dem Prüfstein, sondern auch Offenbachs Musik: Neben den beiden Repertoire-Stücken, der Schönen Helena und Hoffmanns Erzählungen, erzählt die konzertante Aufführung des Singspiels Fantasio, wie Weltgeschehen und persönliche Biografie sich bei Offenbach bedingen.

verspätung Aufgrund des deutsch-französischen Krieges erschien das Werk mit zwei Jahren Verspätung, und die Geschichte um die Prinzessin von Bayern und den Prinzen von Mantua erschien dem Publikum plötzlich veraltet.

In Berlin wird diese Operette nun zum ersten Mal in ihrer 125-jährigen Geschichte mit einem Tenor in der Titelrolle aufgeführt, so wie Offenbach es sich vorgestellt hatte. Eine weitere Ausgrabung ist der Salon Pitzelberger, ein Einakter über drei große Opernstars – die dummerweise alle kurzfristig absagen. Die perfekte Chaos-Grundlage für ein typisches Offenbach-Panoptikum!

Erinnerungskultur

»Algorithmus als Chance«

Susanne Siegert über ihren TikTok-Kanal zur Schoa und den Versuch, Gedenken neu zu denken

von Therese Klein  07.11.2025

Erinnerung

Stimmen, die bleiben

Die Filmemacherin Loretta Walz hat mit Überlebenden des KZ Ravensbrück gesprochen – um ihre Erzählungen für die Zukunft zu bewahren

von Sören Kittel  07.11.2025

New York

Kanye West bittet Rabbi um Vergebung

Der gefallene Rapstar Kanye West hat sich bei einem umstrittenen Rabbiner für seine antisemitischen Ausfälle entschuldigt

 07.11.2025

Rezension

Mischung aus Angst, alptraumhaften Erinnerungen und Langeweile

Das Doku-Drama »Nürnberg 45« fängt die Vielschichtigkeit der Nürnberger Prozesse ein, erzählt weitgehend unbekannte Geschichten und ist unbedingt sehenswert

von Maria Ossowski  07.11.2025

Interview

Schauspieler Jonathan Berlin über seine Rolle als Schoa-Überlebender und Mengele-Straßen

Schauspieler Jonathan Berlin will Straßen, die in seiner Heimat Günzburg nach Verwandten des KZ-Arztes Mengele benannt sind, in »Ernst-Michel-Straße« umbenennen. Er spielt in der ARD die Rolle des Auschwitz-Überlebenden

von Jan Freitag  07.11.2025

Paris

Beethoven, Beifall und Bengalos

Bei einem Konzert des Israel Philharmonic unter Leitung von Lahav Shani kam es in der Pariser Philharmonie zu schweren Zwischenfällen. Doch das Orchester will sich nicht einschüchtern lassen - und bekommt Solidarität von prominenter Seite

von Michael Thaidigsmann  07.11.2025

TV-Tipp

Ein Überlebenskünstler zwischen Hallodri und Held

»Der Passfälscher« ist eine wahre und sehenswerte Geschichte des Juden Cioma Schönhaus, der 1942 noch immer in Berlin lebt

von Michael Ranze  07.11.2025

Provenienzforschung

Alltagsgegenstände aus jüdischem Besitz »noch überall« in Haushalten

Ein Sessel, ein Kaffeeservice, ein Leuchter: Nach Einschätzung einer Expertin sind Alltagsgegenstände aus NS-Enteignungen noch in vielen Haushalten vorhanden. Die Provenienzforscherin mahnt zu einem bewussten Umgang

von Nina Schmedding  07.11.2025

Interview

»Mascha Kaléko hätte für Deutschland eine Brücke sein können«

In seinem neuen Buch widmet sich der Literaturkritiker Volker Weidermann Mascha Kalékos erster Deutschlandreise nach dem Krieg. Ein Gespräch über verlorene Heimat und die blinden Flecken der deutschen Nachkriegsliteratur

von Nicole Dreyfus  07.11.2025