Finale

Benis Welt

Ich schreibe für eine Stadtteilzeitung in Zürich. Es handelt sich um ein Anzeigenblatt, das kostenlos in alle Briefkästen im Viertel gesteckt und meistens gleich weggeworfen wird. Das ist schade, denn immerhin steht in jeder zweiten Ausgabe eine Kolumne von mir. Wenn ich bei uns im Quartier herumschlendere und die Zeitung mit meinen Werken ungelesen in den Mülleimern se-
he, wird mir immer schwer ums Herz.

themen Zugegeben, es ist nicht alles Gold, was ich dort schreibe. Oft fällt es mir schwer, überhaupt ein Thema zu finden. Unser Viertel ist sehr ruhig. Hier ist wenig los. Jeden zweiten Sonntag packt mich deshalb die innere Unruhe. Was soll ich nur schreiben? Ich laufe herum und gucke, ob irgendwo eingebrochen wurde oder sich der Boden aufgetan hat. Leider passiert sowas aber nie. Zur Lokalpolitik würde mir zwar einiges einfallen. Oder zum Thema Religion.

Aber der Chefredakteur will keine kontroversen Texte im Blatt. Notgedrungen setze ich mich also Sonntagnacht vor den Computer und schreibe darüber, wie schön der Herbst die Blätter färbt und dass es laut Wettervorhersage bald schneien wird. Wenn ich auf »Senden« drücke, habe ich ein schlechtes Gewissen. Dafür kriege ich Geld?

hundebaby Vorige Woche aber hatte ich Glück. Ein Hundebaby war verschwunden, ein zwei Monate alter Jack-Russell-Terrier. Ich erfuhr die Story als Erster. Die Besitzerin des Tiers ist nämlich auch jüdisch. Ich traf sie am Schabbat vor der Synagoge, wo sie anderen Beterinnen ihr Leid klagte. Als guter Journalist reagierte ich blitzschnell, griff mir die Frau und interviewte sie, um brisante Einzelheiten zu eruieren.

»Witwenschütteln« nennt man das in unserer Branche. Viel Neues erfuhr ich allerdings nicht. Statt mit Informationen herauszurücken, weinte die Hundebesitzerin nur ohne Ende. Die Gemeindemitglieder schauten mich böse an, als wollten sie sagen: »Trag den Zores mit Deiner Geliebten gefälligst woanders aus als ausgerechnet in der Schul!«

Immerhin hatte ich ein Thema für die Kolumne. Fakten fehlten mir zwar. Aber wofür gibt es journalistische Kreativität? Also mutmaßte ich, der Hund könnte entführt worden sein (Tierversuche?) und schilderte anrührend das Herzensleid seines Frauchens. Damit hatte ich offenbar den Nerv der Leser getroffen. Der Chefredakteur gratulierte mir, auf der Straße sprachen mich Passanten auf den Artikel an. Es lagen auch viel weniger Zeitungen im Müll als sonst, hatte ich den Eindruck.

Fazit: Es lohnt sich, in die Synagoge zu gehen. Und ich habe endlich meine journalistische Berufung entdeckt. In der nächsten Ausgabe: Herzlose Kinder spülen Goldfische das Klo herunter!

TV-Tipp

Sie ging über Leichen: Doku »Riefenstahl« zeigt eine überzeugte Nationalsozialistin

Das Erste zeigt Andres Veiels vielschichtigen Dokumentarfilm über Leben und Wirken von Hitlers Lieblingsregisseurin Leni Riefenstahl. Der Film geht auch der Frage nach, wie ihre Filme bis in die Gegenwart ausstrahlen

von Jens Hinrichsen  15.11.2025

Kunst

Illustrationen und Israel-Hass

Wie sich Rama Duwaji, die zukünftige »First Lady von New York«, auf Social Media positioniert

von Jana Talke  13.11.2025

Kino

Zwischen »Oceans Eleven« und Houdini-Inszenierung

»Die Unfassbaren 3« von Ruben Fleischer ist eine rasante wie präzise choreografierte filmische Zaubershow

von Chris Schinke  13.11.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

 13.11.2025

Film

Dekadenz, Krieg und Wahnsinn

»Yes« von Nadav Lapid ist provokativ und einseitig, enthält aber auch eine tiefere Wahrheit über Israel nach dem 7. Oktober

von Sascha Westphal  13.11.2025

Kolumne

Hineni!

Unsere Autorin trennt sich von alten Dingen und bereitet sich auf den Winter vor

von Laura Cazés  13.11.2025

Zahl der Woche

-430,5 Meter

Fun Facts und Wissenswertes

 12.11.2025

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 13. November bis zum 20. November

 12.11.2025

Interview

»Niemand hat Jason Stanley von der Bühne gejagt«

Benjamin Graumann, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Frankfurt, weist die Vorwürfe des amerikanischen Philosophen zurück und beschuldigt ihn, Unwahrheiten über den Abend in der Synagoge zu verbreiten

von Michael Thaidigsmann  12.11.2025