Finale

Benis Welt

Manchmal besteht der Unterschied zwischen Christen- und Judentum aus drei Monaten. Während die Christen Bettelbriefe vor Weihnachten erhalten, bekommen wir die um Jom Kippur. Hunderte Institutionen drängen mich, ihnen Geld zu überweisen. Eine Blindeneinrichtung braucht neue Toiletten, Rabbiner Jisrael Horwitz will seine sechste Tochter verheiraten und braucht Sponsoren, eine Mädchenschule ist mit dem Salär im Verzug.

spendentopf Normalerweise spende ich etwas Kleines. Ich bin ja eigentlich ein lieber Mensch. Letzte Woche habe ich jedoch Post aus Israel bekommen, die mich nachdenklich macht. Die Organisation heißt »Kuppat Ha’ir«. Übersetzt heißt das: Spendentopf der Stadt. Wie gesagt, ich gebe nicht viel Geld für die einzelnen Schnorrer, schließlich will ich nicht selbst so einer werden. Kuppat Ha’ir verlangt jedoch mindestens 72 Dollar und bietet dafür eine Dienstleistung an, die ich bisher immer vermisst habe: Die größten Rabbiner aus Israel werden für mich vor der Klagemauer beten und ein gutes und süßes Jahr für mich erwirken. Das ist mal etwas anderes als diese Kugelschreiber, Magnete oder Honigtöpfchen, die man bei anderen Organisationen bekommt.

kühlschrank Kuppat Ha’ir, darauf legt diese Stiftung Wert, ist sowieso nicht mit anderen Schnorrern vergleichbar. Ziemlich selbstbewusst schreibt sie über sich: »Wer schützt uns vor einem zweiten Holocaust? Kuppat Ha’ir.« Das finde ich toll. Ich will keinen zweiten Holocaust, also spende ich gerne 72 Dollar. Dieses Geld dient jedoch nicht nur meinem Seelenheil, der Vermeidung einer Massenvernichtung, nein, überdies bewirkt es Wunder. Wie zum Beispiel bei Frau D.: Frau D. aus Israel hatte keine Angst vor einem zweiten Holocaust, jedoch aber vor einer großen Rechnung. Ihr Kühlschrank ist nämlich ausgefallen, und »das Hühnerfleisch zeigte schon Anzeichen des Auftauens«. In der Familiensitzung einigte man sich schnell (wegen dem Hühnerfleisch), 50 Schekel auf die Seite zu legen für Kuppat Ha’ir. Unter der Bedingung, dass Herr und Frau D. keine Reparaturrechnung bezahlen müssen. Der liebe Gott zeigte Erbarmen mit Frau D. und dem Hühnerfleisch und schickte einen Elektriker, der kein Geld wollte! Wer israelische Elektriker ein bisschen kennt, weiß dieses Wunder richtig einzuordnen.

skepsis Meine Frau ist leider eine Skeptikerin. Ich habe ihr die Geschichte mit dem Kühlschrank dreimal vorgelesen und mit dem Holocaust gedroht. Leider hat noch nichts geholfen. Na, egal, dann liest sie hier an dieser Stelle, dass 72 Dollar schon unterwegs sind!

Der Autor ist Lehrer und Publizist in der Schweiz.

Doku

Über eine weitreichende Unwahrheit

»W. – was von der Lüge bleibt« (2020) nähert sich der Lebensgeschichte von Bruno Dösekker alias Wilkomirski, der die Identität eines Schoa-Überlebenden annahm

von Silvia Bahl  16.01.2025 Aktualisiert

Kino

»Wie eine Art Heimkehr«

Schauspielerin Jennifer Grey über den Film »A Real Pain« und Dreharbeiten in Polen

von Patrick Heidmann  16.01.2025

Nachruf

Der Soziologe und das »Gedächtnistheater«

Eine persönliche Erinnerung an Y. Michal Bodemann, der sich unter anderem mit Erinnerungspolitik in Deutschland beschäftigte

von Janine Cunea  16.01.2025

Kultur

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 18. bis zum 27. Januar

 16.01.2025

Freiburg

Kurde aus Syrien eröffnet israelisches Restaurant

Der Besitzer wird schon länger bedroht. Er lässt sich jedoch nicht abschrecken

von Christian Böhmer  16.01.2025

Malerei

First Ladys der Abstraktion

Das Museum Reinhard Ernst in Wiesbaden zeigt farbenfrohe Bilder jüdischer Künstlerinnen

von Dorothee Baer-Bogenschütz  15.01.2025

Frankreich

Iris Knobloch bleibt Präsidentin des Filmfestivals Cannes

Sie ist die erste Frau an der Spitze des Festivals

 15.01.2025

London

Autor Neil Gaiman weist Vorwürfe sexueller Übergriffe zurück

Im »New York Magazine« werfen mehrere Frauen dem britischen Fantasy- und Science-Fiction-Autor entsprechende Taten vor. Nun äußert sich der 64-Jährige

 15.01.2025

Literatur

Die Heimatsuchende

Vor 50 Jahren starb Mascha Kaléko. Ihre Dichtung bleibt erschreckend aktuell

von Nicole Dreyfus  15.01.2025