Ausstellung

Auszug aus Europa

Benjamin Gruszka ist ein hoffnungsfroher Mann, einer, der sich nicht leicht erschrecken lässt. Und er ist einer, der viel Vergnügen daran hat, Menschen, die ihm nicht wohlgesinnt sind, immer wieder zu entwischen. Seien es polnische Antisemiten in seiner Warschauer Jugendzeit, seien es die deutschen Nazis, als sie am 1. September 1939 Polen überfielen und damit Benjamin Gruszkas bis dahin fast glücklicher Jugend ein jähes Ende bereiteten. Damals, als er erst 14 Jahre alt war. Oder seien es 1947 britische Soldaten, die die Juden, die vor den Gräueln der Schoa, vor den grausamen Erinnerungen an die Todeslager der NS-Schergen auf dem Schiff »Exodus 1947« ins damalige Palästina fliehen und endlich einen eigenen, einen jüdischen Staat gründen wollten.

Doch die Briten, die das Mandat über die Region Palästina hatten, fürchteten eine Destabilisierung der Region durch die Araber, wenn zu viele Juden ins Land kämen. Sie enterten die Exodus in Haifa. Das 127 Meter lange Schiff, ehemals der US-Amüsierdampfer »President Warfield«, den die jüdische Untergrund-Organisation Haganah für 5000 Menschen umgebaut hatte, wurde dabei schwer beschädigt. Die 4500 Menschen an Bord wurden daraufhin auf drei Gefängnisschiffe verteilt und zurück aufs Meer geschickt. Eine unendliche Odyssee begann. Sie landeten schließlich am 8. September 1947, morgens um 6 Uhr, im Hamburger Baakenhafen.

Lager Doch die Menschen wollten nicht von Bord. 300 britische Soldaten trieben sie mit Gewalt, mit Schlagstöcken und Gummiknüppel, mit Wasserschläuchen und Tränengas von den Planken, verfrachteten sie auf Lkws und in Eisenbahnwaggons, deren Fenster mit Stacheldraht verbarrikadiert waren, und karrten sie zurück in die Lager, zurück hinter Stacheldraht und unter die Wachtürme. Nach Bergen-Belsen in Niedersachsen. Und über den Bahnhof Lübeck-Kücknitz in die Lager Pöppendorf und Am Stau bei Lübeck.

Das Jüdische Museum Rendsburg, einst die Rendsburger Synagoge, erinnert jetzt mit der Ausstellung Die Exodus-Affäre – Schleswig-Holstein und die Gründung Israels an die Tragödie vor 70 Jahren, als die Briten die Schoa-Überlebenden zurück ins Land der Täter schickten.

Benjamin Gruszka, der in Warschau im Untergrund überlebte und 1946 nach Lübeck kam, war eines der Mitglieder von jüdischen Untergrund-Organisationen – dazu gehörte auch die Bricha –, die diese Menschen nach qualvollen Wochen in den Internierungslagern wieder auf den Weg nach Palästina brachten. Zudem brauchten sie die jungen Juden als Hoffnungsträger für einen neuen Staat, für Eretz Israel.

Die Ausstellung zeigt mit exakt 106 Fotografien aus aller Welt, viele aus dem Magazin des Jüdischen Museums Rendsburg, den wahnwitzigen Weg, auf den das britische Militär die Überlebenden schickte, die Displaced Persons, die Heimatlosen, die nur eines wollten: endlich ein Zuhause. »Wir sind wohl die einzige Institution, die im weltweiten Gedenken an die Exodus-Affäre eine Sonderausstellung über die Exodus und ihre Menschen zeigt«, sagt Museumsleiter Carsten Fleischhauer.

Konzept »Es ist eine Ironie der Geschichte, dass Schleswig-Holstein nach dem Ende der NS-Herrschaft vorübergehend mehr Juden beherbergte als vor 1933«, meint Gerhard Paul. Der Historiker von der Flensburger Universität hat die Ausstellung gemeinsam mit Fleischhauer konzipiert und mit der Wissenschaftlerin Claudia Kuhn umgesetzt. Das Team des Jüdischen Museums sieht die Präsentation auch als Beitrag der Schleswig-Holsteinischen Landesmuseen zum 70. Jahrestag der Gründung Israels am 14. Mai 2018.

Die Rendsburger Exodus-Ausstellung zeigt in Fotografien, mit Texttafeln und in einem interaktiven Bereich die Odyssee der Menschen, die sich in Schleswig-Holstein in den Internierungslagern Pöppendorf, Am Stau und Bad Segeberg, aber auch in Hamburg-St.-Pauli ereignete. Die weltweiten Veröffentlichungen über das brutale Handeln der Briten machten diese Orte in New York, London und Tel Aviv bekannt.

Diese Öffentlichkeit stellten auch die jüdischen Untergrund-Organisationen her, um auf das Schicksal der Menschen aufmerksam zu machen und die Briten zu stoppen. Auch US-Präsident Harry S. Truman übte massiven Druck auf die Briten aus. Mit Erfolg. Sie gaben ihr Mandat für Palästina schließlich auf. Als die Exodus in Hamburg einlief, standen Journalisten und Fotografen aus aller Welt mit Kameras am Kai. Sie alle berichteten über die europäischen Juden, die erneut auf deutschem Boden eingesperrt wurden, diesmal von den Briten.

Hagana Aufgrund des internationalen Drucks wurden die in Pöppendorf internierten Juden schließlich im Oktober 1947 freigelassen. »Sie zogen einfach ihre Wachen ab«, erinnert sich Noah Klieger, der »Boxer« von Auschwitz, der erst die Konzentrationslager ertragen musste, dann die Odyssee mit der Exodus, und der heute als 91-Jähriger in Tel Aviv lebt. Viele Juden machten sich sofort erneut auf den Weg nach Eretz Israel, mithilfe der Hagana und der Bricha.

Und mithilfe von Benjamin Grutzka, der schon vor dem Abzug der Briten Hunderte von Juden aus den Lagern Pöppendorf und Am Stau befreite, sie erst in der Lübecker Synagoge unterbrachte und sie dann bis Palästina schmuggelte. Grutzka aber blieb 1946 in Lübeck, heiratete 1960 in der Synagoge und wanderte erst 2011 mit seiner Ehefrau nach Israel aus.

Die Ausstellung zeigt nicht nur Pressefotografien, Wochenschau-Berichte und Artikel aus Zeitungen, beispielsweise des Time Magazine und der New York Times, sondern auch Originalfotografien ehemaliger Exodus-Passagiere vom Schiff und aus dem Lager Pöppendorf. Und, als einziges Relikt aus dem Lager Pöppendorf, einen alten Ofen.

»Wir wollen damit eine folgenreiche Episode der jüdischen Geschichte in Schleswig-Holstein schildern«, sagt Fleischhauer. Den Impuls zur Ausstellung gab der Historiker Gerhard Paul, der als bedeutender Grundlagenforscher zur Geschichte der Juden in Schleswig-Holstein gilt und Beiträge zum Ausstellungskatalog geschrieben hat.

»Die Exodus-Affäre – Schleswig-Holstein und die Gründung Israels«. Bis 3. Juni 2018, Di und Sa 12 bis 17 Uhr, So 10 bis 17 Uhr. Eintritt fünf, ermäßigt drei Euro. Jüdisches Museum Rendsburg, Prinzessinstraße 7. Der Katalog zur Ausstellung von Carsten Fleischhauer und Gerhard Paul mit fast allen 106 Fotografien umfasst 108 Seiten und kostet 14,80 Euro.

Glosse

Der Rest der Welt

Superman kommt ins Kino – und wo sind die super Männer?

von Katrin Richter  13.07.2025

Biografie

Schauspieler Berkel: In der Synagoge sind mir die Tränen geflossen 

Er ging in die Kirche und war Messdiener - erst spät kam sein Interesse für das Judentum, berichtet Schauspieler Christian Berkel

von Leticia Witte  11.07.2025

TV-Tipp

Der Mythos Jeff Bridges: Arte feiert den »Dude«

Der Weg zum Erfolg war für Jeff Bridges steinig - auch weil der Schauspieler sich gegen die Erfordernisse des Business sträubte, wie eine Arte-Doku zeigt. Bis er eine entscheidende Rolle bekam, die alles veränderte

von Manfred Riepe  11.07.2025

Thüringen

Yiddish Summer startet mit Open-Air-Konzert

Vergangenes Jahr nahmen rund 12.000 Menschen an den mehr als 100 Veranstaltungen teil

 11.07.2025

Musik

Nach Eklat: Hamburg, Stuttgart und Köln sagen Bob-Vylan-Auftritte ab

Nach dem Eklat bei einem britischen Festival mit israelfeindlichen und antisemitischen Aussagen sind mehrere geplante Auftritte des Punk-Duos Bob Vylan in Deutschland abgesagt worden

 10.07.2025

Agententhriller

Wie drei Juden James Bond formten

Ohne Harry Saltzman, Richard Maibaum und Lewis Gilbert wäre Agent 007 wohl nie ins Kino gekommen

von Imanuel Marcus  13.07.2025 Aktualisiert

Kulturkolumne

Bilder, die bleiben

Rudi Weissensteins Foto-Archiv: Was die Druckwelle in Tel Aviv nicht zerstören konnte

von Laura Cazés  10.07.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Imanuel Marcus, Katrin Richter  13.07.2025 Aktualisiert

Ethik

Der Weg zum Glück

Nichts ist so flüchtig wie der Zustand großer Zufriedenheit. Doch es gibt Möglichkeiten, ihn trotzdem immer wieder zu erreichen – und Verhaltensweisen, die das Glück geradezu unmöglich machen

von Shimon Lang  10.07.2025