Redezeit

»Aufstehen gegen Antisemitismus«

Herr Schick, Sie haben in der Doku »Guardians of Heritage – Hüter der Geschichte« mitgewirkt und sich mit anderen Kollegen wie beispielsweise Christian Berkel oder Ulrike Folkerts auf die Suche nach den Spuren der Vergangenheit begeben. Welche Rolle spielt die Vergangenheit heute?
Unser Heute entsteht aus der Vergangenheit. Das heißt für mich, dass wir aus dem Überprüfen dieser Vergangenheit lernen können.

Wird die Vergangenheit zu leicht und zu schnell vergessen?
Sie wird zu schnell als Ballast angesehen. Es geht im Erinnern nicht um Buße. Es geht um die Betrachtung und die Schlüsse, die wir daraus ziehen. Das meine ich in Bezug auf das Private genauso wie in Bezug auf die Gesellschaft. Das Ignorieren der Vergangenheit ist eine große vertane Chance. Wenn man, wie wir Deutsche, so unmenschliche Verbrechen begangen hat in der Vergangenheit, muss man aus dem Betrachten dessen, was passiert ist, lernen und alles dafür tun, dass so etwas nie wieder passiert. Jede Verharmlosung der Vergangenheit nimmt einem die Chance, daraus zu lernen.

Vor der Bundestagswahl im September 2017 haben Sie sich bei der Kampagne »dubistentscheidend« engagiert. Sie sind selbst SPD-Mitglied. Wie blicken Sie auf einen Bundestag, in dem zum ersten Mal auch die AfD sitzt?
Dass es so weit kommen konnte, ist unser aller Fehler. Wir hatten es uns alle zu bequem in dieser Demokratie eingerichtet. Sie als selbstverständlich angesehen. Ich auch. Demokratie ist aber etwas, an dem man sich aktiv beteiligen muss. Kein passiver Spaß. Das müssen wir gerade bitter lernen. Aber was soll’s. So ist es jetzt eben. Jetzt müssen einfach alle aufstehen, denen es um Demokratie und freiheitliche Werte geht, und wenn wir das nicht schaffen, sind wir selbst schuld.

Mitte Februar waren Sie einer von insgesamt 25 Unterzeichnern eines offenen Briefes an die Spitze der SPD. Welche Erwartungen haben Sie an die große Koalition?
Dass weniger darüber geredet wird, was verhindert werden soll, sondern dass Ideen entwickelt werden, um etwas zu gestalten. Wir brauchen zum Beispiel Einwanderung. Die muss aber gestaltet werden. Dazu brauchen wir ein Einwanderungsgesetz. Wir müssen massiv in Bildung investieren. Wir müssen eine Vision für Europa haben, aber dann auch für diese werben und sie vertreten. Wir müssen unsere Werte lauter formulieren. Europa ist viel mehr als ein Wirtschaftsraum. Es ist eine Wertegemeinschaft. Die müssen wir genauso verteidigen wie die wirtschaftlichen Richtlinien.

Außenminister Heiko Maas sprach in seiner Antrittsrede von der schicksalhaften Verbindung und dem Wunder der Freundschaft zwischen Deutschland und Israel. Wie sehen Sie das deutsch-israelische Verhältnis?
Dass unsere Länder heute dieses Verhältnis haben, ist kaum zu fassen, wenn man sich bewusst macht, was die Deutschen den Juden – sei es ihren eigenen Landsleuten oder Juden aus anderen Nationen – angetan haben. Mich berührt das sehr. Aus diesem Verhältnis ergibt sich für mich eine gegenseitige Verantwortung. Antisemitismus ist eine jahrhundertalte Seuche, gegen die nur ein Mittel hilft: Aufklärung. Und auch, wenn man es nicht fassen kann, dass es Antisemitismus immer noch gibt, müssen wir, wo immer er sich zeigt, dagegen aufstehen. Genauso müssen wir uns in den israelisch-arabischen Konflikt einmischen und zu vermitteln versuchen. Wenn wir etwas aus unserer Geschichte gelernt haben, dann doch, wie existenziell es ist, die Menschenrechte zu verteidigen. Wenn es jemals Frieden in dieser Region geben soll, dann nur, wenn sich beide Seiten das Existenzrecht zugestehen und einander respektieren.

Israel hat gerade seinen 70. Geburtstag gefeiert. Sie haben unter anderem mit Dror Zahavi und Oliver Berben für den Film »Jerusalem Syndrom« gedreht. Wie erinnern Sie sich an das Land?
Ich mag Israel sehr. Vor allem Tel Aviv und Jaffa. In Jerusalem ist mir zu viel religiöser Irrsinn zu finden. Ich mag die Kultur, die Sprache, das Essen und den Humor. Man versteht Israel aber eben zum Beispiel auch nur durch die Vergangenheit. Wenn man begreift, dass Israel einer der wenigen Orte der Welt ist, an dem Juden sicher sein können, ihre Religion frei leben zu können, nur dann versteht man dieses Land und seine Menschen.

Auf Instagram posteten Sie Bilder Ihrer Urururgroßmutter, der Berliner Jüdin Amalie Beer, und des Komponisten Giacomo Meyerbeer. Wie sehr hat Sie die Geschichte Ihrer Familie geprägt?
Sehr. Meine Mutter stammt aus einer sehr alten großbürgerlichen Berliner Familie. Diese Geschichte begegnet mir jeden Tag an vielen Ecken in Berlin. Auf fast jedem alten Friedhof – sei er jüdisch oder christlich – gibt es ein Familiengrab. Meine Vorfahren lebten am Pariser Platz und im Tiergarten. Die Staatsoper wurde eine Zeitlang von einem Vorfahren geleitet, die ersten Juden im Bundesrat gehörten zur Familie: Ich könnte jetzt ewig so weitermachen. Dadurch war mir Berlin schon immer sehr vertraut und ist heute mein Zuhause. Meine jüdischen Vorfahren waren sehr weltliche Juden, und meine Ururgroßmutter ist zum Christentum konvertiert. Meine Urgroßmutter Cornelie Richter hatte zum Beispiel einen wunderbaren Salon in Berlin. Mein Wunsch war es immer, so etwas wieder aufleben zu lassen. Ich versuche das gerade in der Art, dass ich immer wieder Politiker zu mir einlade und diese mit Freunden aus der Kultur zusammenbringe.

Wie hat sich die Geschichte auf Ihre Familie ausgewirkt?
Bis zum Zweiten Weltkrieg war meine Familie zumindest zu Hause intakt. Meine Großeltern ließen sich 1928 scheiden, meine Mutter wuchs bei einer Tante in einem Kinderheim auf, bis sie nach dem Krieg wieder bei ihrem Vater, meinem Großvater lebte, der mittlerweile seine Sekretärin geheiratet hatte. Sie hat ihre Mutter 20 Jahre nicht gesehen. Ich will damit sagen: Meine Mutter hatte, wie viele Kinder dieser Generation, eine schreckliche Kindheit, worüber nie gesprochen wurde, was sie aber immer, ihr Leben lang, mit sich herumgetragen hat.

Die Fragen an den Schauspieler stellte Katrin Richter.

Der nächste Ausstrahlungstermin aller drei Teile von »Guardians of Heritage – Hüter der Geschichte« ist am Montag, 21. Mai, ab 21.05 Uhr bei HISTORY.

www.history.de

Biografie

Schauspieler Berkel: In der Synagoge sind mir die Tränen geflossen 

Er ging in die Kirche und war Messdiener - erst spät kam sein Interesse für das Judentum, berichtet Schauspieler Christian Berkel

von Leticia Witte  11.07.2025

TV-Tipp

Der Mythos Jeff Bridges: Arte feiert den »Dude«

Der Weg zum Erfolg war für Jeff Bridges steinig - auch weil der Schauspieler sich gegen die Erfordernisse des Business sträubte, wie eine Arte-Doku zeigt. Bis er eine entscheidende Rolle bekam, die alles veränderte

von Manfred Riepe  11.07.2025

Thüringen

Yiddish Summer startet mit Open-Air-Konzert

Vergangenes Jahr nahmen rund 12.000 Menschen an den mehr als 100 Veranstaltungen teil

 11.07.2025

Musik

Nach Eklat: Hamburg, Stuttgart und Köln sagen Bob-Vylan-Auftritte ab

Nach dem Eklat bei einem britischen Festival mit israelfeindlichen und antisemitischen Aussagen sind mehrere geplante Auftritte des Punk-Duos Bob Vylan in Deutschland abgesagt worden

 10.07.2025

Agententhriller

Wie drei Juden James Bond formten

Ohne Harry Saltzman, Richard Maibaum und Lewis Gilbert wäre Agent 007 möglicherweise nie ins Kino gekommen

von Imanuel Marcus  12.07.2025 Aktualisiert

Kulturkolumne

Bilder, die bleiben

Rudi Weissensteins Foto-Archiv: Was die Druckwelle in Tel Aviv nicht zerstören konnte

von Laura Cazés  10.07.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Imanuel Marcus, Katrin Richter  10.07.2025

Ethik

Der Weg zum Glück

Nichts ist so flüchtig wie der Zustand großer Zufriedenheit. Doch es gibt Möglichkeiten, ihn trotzdem immer wieder zu erreichen – und Verhaltensweisen, die das Glück geradezu unmöglich machen

von Shimon Lang  10.07.2025

Essay

Das Jewish-Hollywood-Paradox

Viele Stars mit jüdischen Wurzeln fühlen sich unter Druck: Sie distanzieren sich nicht nur von Israel und seiner Regierung, sondern auch von ihrem Judentum. Wie konnte es so weit kommen?

von Jana Talke  10.07.2025