Bob Dylan

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Glaubwürdigkeit statt Plüsch: Bob Dylan Foto: imago

Bob Dylan

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Mit seinem neuen Album »Fallen Angels« versucht sich der Folksänger erneut an Frank Sinatras großen Hits

von Axel Brüggemann  23.08.2016 19:00 Uhr

Bob Dylan treu zu bleiben, ist schon deshalb schwer, weil er sich selbst am liebsten untreu ist. Sowohl sein Leben als auch seine Musik sind vor allen Dingen eines: ein dauernder Wandel. Das Einzige, was jede seiner Wendungen begleitet, ist die knarzige Stimme, dieser unverwechselbare Ton, bei dem sich die Abgründe eines exzessiven Lebens auftun, ein Organ, das aus dem Orkus des ewig Suchenden zu nuscheln scheint, ein Klang, der es liebt, sich an der aktuellen Strömung zu reiben – und am liebsten genau das singt, was gerade nicht von ihm erwartet wird.

Auf seinem vorletzten Album Shadows In The Night hatte Dylan seine Fans damit herausgefordert, dass er im hohen Alter ausgerechnet einem Sängertyp huldigte, der für Dylan-Fans bislang eher als Spießer und Feindbild galt. Dylan coverte Songs von Frank Sinatra, der für viele die Stimme des Establishments war, eine beschwingte und wenig tiefgründige Whiskey-Seele der USA. Kein Wunder, dass auch die Kritiken – besonders in Deutschland – gespalten ausfielen.

Eine fast mythologische Protestikone singt plötzlich Songs von Amerikas Rat-Pack-Darling, und das auch noch mit herzlich krächzender Stimme statt mit bezauberndem und makellosem Timbre. Sowohl Sinatra-Fans als auch Dylan-Jünger zeigten sich irritiert. Und vielleicht war es genau diese öffentliche Reibung, die Dylan nun dazu bewogen hat, es noch einmal zu tun. Er mag sich gedacht haben, dass die eigentliche Provokation heute eher in der Wiederholung liegt als in einer weiteren radikalen Richtungsänderung.

Tony Bennett Aber Dylans leidenschaftliche Songbook-Affäre war freilich kein PR-Gimmick, sondern eine echte Liebesbeziehung. Denn auch sein neues Album Fallen Angels ist eine Hommage an das American Songbook, wie es sonst nur Frank Sinatra oder Tony Bennett gesungen haben. Sicher, die Granden der gepflegten Stimme im Maßanzug und ihre amerikanischen Evergreens wie »Stardust« oder »Moon River« sind gerade heute unter Popikonen angesagt wie selten zuvor: Lady Gaga hat an Bennetts Seite gesungen, davor bereits Amy Winehouse in ihren letzten Aufnahmen, aber auch Mariah Carey oder der Schmusetenor Andrea Bocelli. Und in dieses Line-Up reiht sich nun ausgerechnet Bob Dylan ein!

Zwölf Stücke hat Dylan auf sein neues Album gepackt, die meisten wurden durch Sinatra bekannt. Dylan tritt auch als Produzent auf und hat den Swing gemeinsam mit seinen Musikern auf die typischen Effekte von Folk und Country heruntergebrochen, ohne ernsthaft in das samtig-seidige Nervenkostüm der Songs einzugreifen. Alles bleibt süffig, auch wenn der Ton etwas archaischer ausfällt.

Selbst Schmachtfetzen wie »Melancholy Mood« klingen hier wie ein Schwelgen in den »good old times«. Anders als die anderen Popsterne unserer Zeit steht Dylan eben auch nicht im Duett neben Bennett auf der Bühne, sondern macht sich die Mühe, die Songs zu seinen eigenen Liedern zu machen. Er filetiert sie, schneidet sie auf seine Stimme zurecht, legt sie sich so hin, dass er sie glaubhaft verkörpern kann, dass sie weit entfernt von einem Abklatsch sind.

Soundtrack Natürlich hat Dylan nicht die Stimme eines Sinatra, aber er ist klug genug, um jede Phrase nach seinen Möglichkeiten zu gestalten. Sein Gesang klingt nicht nach glatter Schönheit, sondern eher nach einer bewussten Suche. Dylan scheint in einen alten, längst vergangenen Sound einzutauchen und einen Geist zu suchen, den er nun liebevoll, aber vollkommen neu ausstaffiert. Klar zieht er dabei den alten Sinatra-Songs die Krawatte und den Anzug aus, lässt sie aber als das bestehen, was sie seit jeher waren: ein Soundtrack der USA.

Schließlich gibt es durchaus Parallelen zwischen Sinatra und Dylan, besonders ihre Liebe zur Ballade. Das Bemerkenswerte an seinem Album ist denn auch, dass er die Lieder ganz ironiefrei vorträgt, eher wie eine Suche nach der verlorenen Zeit; in einem Ton, der in den USA heute so selten wie wichtig erscheint: Dylan sucht Glaubwürdigkeit statt Plüsch, will alte Gräben zuschütten, anstatt sie aufzureißen. Kurz: Sein neues Album ist ein geniales Update der United Songs of America.

Bob Dylan: »Fallen Angels«. Label: Smi Col (Sony Music), 2016

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