Sachbuch

Arbeitnehmer, Migranten, Konzerne

Eyal warnt vor dem Rückbau der Globalisierung. Foto: PR

Sachbuch

Arbeitnehmer, Migranten, Konzerne

Nadav Eyal bereist die Welt und berichtet vom Aufstand gegen die Globalisierung

von Harald Loch  12.03.2020 12:04 Uhr

Globalisierung wirkt sich vor allem lokal aus. Dort macht der israelische Starjournalist Nadav Eyal seine Erfahrungen mit dem, was er als »Revolte« gegen diese örtlichen Auswirkungen bezeichnet. Sein gleichnamiges Buch greift die Dialektik zwischen global und lokal auf und gewinnt dadurch Anschaulichkeit und Überzeugungskraft.

Der 1979 geborene Chefkorrespondent des Fernsehsenders Channel 13 hat in den letzten zehn Jahren die Orte aufgesucht, an denen er von der Globalisierung betroffene Menschen traf – oder die glaubten, wegen der Globalisierung Nachteile erlitten zu haben.

Um es vorweg zu sagen: Eyal warnt vor dem Rückbau der Globalisierung. Er beschreibt etwa den globalen Migrationsdrang sowohl historisch als eine anthropologische Grundeigenschaft und als ein Menschenrecht.

Heimweh Er stellt sich mit den 2015 aus Syrien geflohenen Menschen an der serbisch-ungarischen Grenze an, spricht mit ihnen und fragt Jahre später, wie es ihnen inzwischen in Deutschland geht. Sie haben natürlich Heimweh, aber auch Arbeit, eine Wohnung, ein Leben.

Am Schicksal seines 1933 aus dem polnischen Bialystok illegal nach Palästina eingewanderten Vaters macht er die Folgen von Migrationsverboten deutlich. Seine Familie konnte er zunächst nicht mitnehmen und später auch nicht mehr retten.

Eyal erinnert daran, dass »America first« das Schlagwort der Gegner des Eintritts der USA in den Zweiten Weltkrieg war.

Breiten Raum nehmen in dem von Ruth Achlama glänzend übersetzten Buch die wirtschaftlichen Auswirkungen der Globalisierung und der aus ihnen resultierende Widerstand ein.

Wenn die westlichen Länder ihren Stahl nicht mehr selbst herstellen, sondern aus China beziehen, produzieren die dortigen Hochöfen die giftigen und klimaschädlichen Abgase, nicht mehr die im Ruhrgebiet oder in Pennsylvania.

Und die chinesischen Machthaber vertreiben diese Hochöfen aus der Nähe der Städte in ländliche Gegenden. Aus der globalisierten Produktionsverlagerung wird ein lokales Ärgernis, wenn nicht Schlimmeres.

Nationalist Auf der anderen Seite verelenden die amerikanischen Bergbau- und Industriestädte, werden Menschen arbeitslos, wird eine ganze Mittelklasse zum Opfer der Globalisierung – oder der Propaganda gegen diese.

Eyal besucht Hinterbliebene der Kinder, die 2010 in einer Schule in Connecticut von einem Mörder erschossen wurden.

Die Folgen sind in Trumps Agenda zu sehen: Einschränkung des freien Welthandels. Eyal erinnert daran, dass dessen »America first« das Schlagwort derjenigen war, die gegen den Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg waren. Trump, den Eyal regelrecht demontiert, bezeichnet sich selbst als Nationalisten.

Auch in anderen Ländern interviewte der Autor Nationalisten, Propagandisten der »Neuen Rechten«, Neonazis: Er fährt auf dem Höhepunkt der Krise nach Athen, spricht mit Marine Le Pen, mit thüringischen Rechtsradikalen.

Sie alle stellen das »Wohl« der Einheimischen über das der ganzen Welt, halten Einwanderung aus rassistischen Gründen oder zum vorgeblichen Schutz inländischer Arbeitnehmer zumindest für unerwünscht.

Propaganda Einige Kapitel schreibt Eyal über die Zustände in den USA, über den freien Waffenbesitz, über die Lügen, die nicht nur der Präsident, sondern rechts-subversive Medien verbreiten. Er besucht Hinterbliebene der Kinder, die 2010 in einer Schule in Sandy Hook, Connecticut, von einem Mörder mit einem Sturmgewehr erschossen wurden.

Die »Revolte« gegen die Globalisierung sei ein Teil der Katastrophe, meint Eyal.

In Verschwörungstheorien wurde behauptet – und von manchen geglaubt –, dass diese Kinder überhaupt nie gelebt hätten, sondern der »angebliche« Mord eine Erfindung Obamas in seiner Kampagne gegen den freien Waffenbesitz gewesen sei.

Überall ist Eyal vor Ort, fragt genau nach und recherchiert dann in allgemein zugänglichen Quellen, nennt Zahlen, widerlegt Propaganda.

All das verdichtet sich zu einer hervorragend lesbaren Analyse des gegenwärtigen Zustandes der Welt, die sich ohne Sinn und Verstand auf eine Klimakatstrophe zubewegt.

Die »Revolte« gegen die Globalisierung sei – so der Befund Eyals – ein Teil der Katastrophe. Helfen könne nur mehr Zusammenarbeit der Staaten – auch gegen die übermächtigen Konzerne.

Nadav Eyal: »Revolte. Der weltweite Aufstand gegen die Globalisierung«. Aus dem Hebräischen von Ruth Achlama. Ullstein, Berlin 2020, 492 S., 29,99 €

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Bettina Piper, Imanuel Marcus  21.11.2025

Holzstörche zur Geburt in Niederösterreich. Noch immer werden neben den klassischen Namen viele biblische Namen den Kindern gegeben.

Statistik

Diese hebräischen Vornamen in Österreich sind am beliebtesten

Österreichische Eltern wählen gern Klassiker. Unter den Top Ten sind auch viele Namen biblischen Ursprungs

von Nicole Dreyfus  20.11.2025

TV-Tipp

Ein Skandal ist ein Skandal

Arte widmet den 56 Jahre alten Schock-Roman von Philip Roth eine neue Doku

von Friederike Ostermeyer  20.11.2025

Kino

»Fast ein Wunder«

Das israelische Filmfestival »Seret« eröffnete in Berlin mit dem Kassenschlager »Cabaret Total« von Roy Assaf

von Ayala Goldmann  20.11.2025

Gespräch

»Der Überlebenskampf dauert an«

Arye Sharuz Shalicar über sein neues Buch, Israels Krieg gegen den palästinensischen Terror und die verzerrte Nahost-Berichterstattung in den deutschen Medien

von Detlef David Kauschke  20.11.2025

»Jay Kelly«

In seichten Gewässern

Die neue Netflix-Tragikomödie von Noah Baumbach startet fulminant, verliert sich dann aber in Sentimentalitäten und Klischees

von Patrick Heidmann  20.11.2025

Nazivergangenheit

Keine Ehrenmedaille für Rühmann und Riefenstahl

»NS-belastet« oder »NS-konform« – das trifft laut einer Studie auf 14 Persönlichkeiten der Filmbranche zu. Ihnen wird rückwirkend eine Auszeichnung aberkannt, die die Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO) zukünftig nicht mehr vergeben will

von Niklas Hesselmann  20.11.2025

TV-Tipp

Sie ging über Leichen: Doku »Riefenstahl« zeigt eine überzeugte Nationalsozialistin

Das Erste zeigt Andres Veiels vielschichtigen Dokumentarfilm über Leben und Wirken von Hitlers Lieblingsregisseurin Leni Riefenstahl. Der Film geht auch der Frage nach, wie ihre Filme bis in die Gegenwart ausstrahlen

von Jens Hinrichsen  20.11.2025

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 20. November bis zum 27. November

 20.11.2025